Teil 10

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Am nächsten Morgen wachte ich auf, eingekuschelt an Jamals Brust. Das Gefühl war ungewohnt, aber zugleich auch irgendwie wunderschön. Ich konnte seinen ruhigen Atem hören und die Wärme seines Körpers spüren. Ich blieb einen Moment lang so liegen, versuchte, die Ruhe zu genießen, bevor der Tag begann und wir uns erneut der Unsicherheit stellen mussten. Die Erinnerung an die Ereignisse der vergangenen Nacht kam wieder hoch, und ich wusste, dass wir nicht viel Zeit zum Ausruhen hatten.


Vorsichtig löste ich mich aus Jamals Umarmung und stand leise auf, um ihn nicht zu wecken. Der Raum war still, und ich hörte in der Ferne die Geräusche der Stadt, die zum Leben erwachte. Die Luft war frisch, und ein leichter Lichtstrahl schien durch das Fenster. Ich ging zum Fenster und blickte nach draußen, überlegte, was der Tag bringen würde. Die Stille des Morgens war angenehm, doch ich wusste, dass sie trügerisch sein konnte. In einer Situation wie dieser konnte sich alles schnell ändern.Ich drehte mich um und sah, dass Jamal noch schlief. Sein Gesicht wirkte entspannt, fast friedlich, und ich fragte mich, was er wohl träumte. Ich wusste, dass er mehr durchgemacht hatte, als er preisgab, und ich hoffte, dass dieser Moment der Ruhe ihm ein wenig Frieden bringen konnte.


Ich beschloss, in die Küche zu gehen und Kaffee zu machen. Ein neuer Tag hatte begonnen, und ich wusste, dass wir uns vorbereiten mussten. Egal, was kommen würde, ich musste stark sein und darauf vertrauen, dass wir einen Weg finden würden.  


Ich bereitete gerade Kaffee vor, als Jamal wütend in die Küche stürmte. In seiner Hand hielt er meinen Pfefferspray, und sein Gesichtsausdruck war alles andere als freundlich. Ich hatte das Spray in meiner Tasche gelassen, als ich eingeschlafen war, und jetzt fragte ich mich, warum er so aufgebracht war. Sein Gesicht war angespannt, und seine Schritte hörten sich entschlossen an. Ohne ein Wort knallte er den Pfefferspray auf den Küchentisch, sodass das Geräusch in der stillen Wohnung widerhallte. Der Zorn in seinen Augen war unmissverständlich.

„Warum hast du das mitgebracht?" fragte er scharf, seine Stimme schneidend. „Vertraust du mir und Infinit nicht?"Die Frage traf mich härter, als ich erwartet hatte. Ich öffnete den Mund, um etwas zu sagen, aber es kam nichts heraus. Jamal hatte mich erwischt. Die Tatsache, dass ich den Pfefferspray dabei hatte, deutete darauf hin, dass ich vielleicht nicht das Vertrauen hatte, das ich hätte haben sollen.


Jamal wartete einen Moment, dann schüttelte er den Kopf, offenbar enttäuscht. „Wir riskieren alles, um dich zu schützen, und du kommst mit einem Pfefferspray an?" Seine Stimme war laut, und ich konnte sehen, wie sehr ihn das störte.Ich fühlte, wie mir die Röte ins Gesicht stieg, aber ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Die Wahrheit war, dass ich mich unsicher fühlte und dachte, dass der Pfefferspray mich irgendwie schützen könnte. Aber jetzt, mit Jamals wütendem Blick auf mir, fühlte ich mich schuldig und unsicher.Jamal nahm einen tiefen Atemzug, seine Brust hob und senkte sich. Er schien sich zu beruhigen, aber der Blick in seinen Augen war immer noch hart. „Ich dachte, wir wären auf derselben Seite", sagte er leise, als ob er gegen den Drang ankämpfte, wieder laut zu werden. „Wenn wir das gemeinsam machen, musst du uns vertrauen. Sonst funktioniert das nicht."Er drehte sich um und verließ die Küche, das Echo seiner Schritte hallte durch den Flur. Ich blieb allein zurück, das Geräusch des Kaffees, der in der Maschine brühte, war das Einzige, was die Stille durchbrach. Ich fühlte mich schuldig und wusste, dass Jamal recht hatte. Vertrauen war keine Einbahnstraße, und wenn ich ihm und Infinit nicht vertrauen konnte, wie sollten wir dann gemeinsam durch diese schwierige Zeit kommen?


Ich blickte auf den Pfefferspray auf dem Tisch und wusste, dass ich eine Entscheidung treffen musste. Wenn ich Jamal und Infinit misstraute, riskierte ich nicht nur mein eigenes Leben, sondern auch ihres. Und das war ein Risiko, das ich nicht eingehen wollte.  Als Jamal die Küche verlassen hatte, fühlte ich mich, als wäre der Raum plötzlich doppelt so groß geworden. Der Pfefferspray lag immer noch auf dem Tisch, ein stummer Zeuge meiner Unsicherheit. Ich wusste, dass Jamal recht hatte, aber die Angst, die mich dazu gebracht hatte, den Pfefferspray bei mir zu tragen, ließ sich nicht so leicht abschütteln.Ich ging ins Wohnzimmer und setzte mich auf die Couch, mein Blick wanderte durch den Raum, als ob ich nach Antworten suchte. Der Tag hatte gerade erst begonnen, aber es fühlte sich schon an, als hätte ich einen Fehler gemacht, den ich nicht so leicht rückgängig machen konnte.Ich nahm mein Handy aus der Tasche, obwohl ich wusste, dass es riskant war, es einzuschalten. Jamal hatte gesagt, dass wir möglichst unsichtbar bleiben sollten, und ein eingeschaltetes Handy konnte uns verraten. Aber ich wollte wissen, ob es Nachrichten von meinen Brüdern gab oder ob jemand versucht hatte, mich zu erreichen.


Das Display leuchtete auf, und ich sah sofort eine Reihe verpasster Anrufe und Nachrichten. Ein Name sprang mir ins Auge—Omaar. Mein Herz setzte für einen Moment aus, als ich die Nachrichten öffnete. Die Worte waren kurz, aber sie waren voller Dringlichkeit.„Nour, wo bist du? Melde dich, es ist wichtig."Ich schluckte und überlegte, ob ich zurückrufen sollte. Wenn Omaar so besorgt war, bedeutete das, dass etwas Schlimmes passiert war? Oder war es eine Falle? Die Nachrichten zeigten, dass sie mich suchten, aber ich wusste nicht, ob es sicher war, Kontakt aufzunehmen.Gerade als ich darüber nachdachte, was ich tun sollte, erschien Jamal wieder in der Tür. Sein Blick fiel auf das Handy in meiner Hand, und er sah sofort, dass es eingeschaltet war.„Nour, was machst du?" Seine Stimme war ruhig, aber seine Augen verrieten, dass er besorgt war. „Weißt du, wie gefährlich das ist?"Ich stotterte eine Antwort, aber Jamal trat näher und nahm mir das Handy aus der Hand. „Wenn jemand uns überwacht, können sie uns finden. Ich habe dir gesagt, wir müssen uns bedeckt halten."


Ich spürte, wie meine Kehle trocken wurde. Der Gedanke, dass ich uns in Gefahr bringen könnte, ließ mich zittern. Ich hatte es nur gut gemeint, aber ich hatte möglicherweise alles noch schlimmer gemacht. Die Realität unserer Situation traf mich wie ein Schlag, und ich wusste, dass ich mich in der Kontrolle üben musste, wenn wir überleben wollten.


-- 30 Minuten später --

Ich war auf dem Weg zum Balkon, um eine zu rauchen, als plötzlich lautes Klopfen an der Tür ertönte. Der Klang ließ mich zusammenzucken. Verdammt! Waren wir aufgeflogen? Mein Herz setzte einen Moment aus, und ich spürte, wie Panik in mir aufstieg. Die Geräusche waren hart und drängend, als ob jemand mit Nachdruck versuchte, hereinzukommen.

Ich drehte mich um und blickte zu Jamal, der ebenfalls aufgesprungen war, sein Gesicht war angespannt. Infinit kam aus einem anderen Raum, und ich konnte die Anspannung in der Luft spüren. Wir alle wussten, dass das Klopfen nichts Gutes bedeutete. Der Versteckort, der eben noch sicher erschien, schien plötzlich alles andere als sicher. Und ich wusste, es war meine Schuld, hätte ich mein Handy lieber nicht angemacht.

Der Junge aus dem KartellWo Geschichten leben. Entdecke jetzt