❴𝐤𝐚𝐩𝐢𝐭𝐞𝐥 𝟏❵

154 10 58
                                    

Im Flur stapelten sich Kisten, braune Umzugskartons mit breitem Klebeband verschlossen. Eric schritt durch die offen stehende Tür, bevor er den nächsten Karton anhebte, zögerte er. Die Neugier packte ihn, auf einem der noch geöffneten Kisten lag ein kleines Notizbuch. Er wusste, er sollte keinen Blick hineinwerfen, aufhalten konnte er sich allerdings nicht und so nahm er das Buch in die Hand, blätterte hindurch.
“Erster August 2021?“, murmelte er vor sich hin.
“Was machst du da?“
Eric erschrak und klappte das Buch mit einem lauten Knall zu, als er die Stimme seiner Freundin vernahm.
“Ähh, ich hab‘ nur-“
“Hast du in Ava‘s Sachen herumgeschnüffelt?“
Eric fühlte sich ertappt und rieb sich peinlich berührt den Hinterkopf. Vanessa lachte laut auf, ihren Kopf legte sie auf seiner Schulter ab.
“Ich hab‘ Ava nur einen kleinen Trainingsplan angefertigt, die Saison geht schließlich los“, erklärte sie, Eric atmete erleichtert auf.
Die neue Saison stand in den Startlöchern, noch war nicht jeder im Training, doch die Spielerinnen von Turbine Potsdam hatten Großes vor.

“Okay, wie viele Kisten müssen noch in den Transporter?“, fragte Vanessa, sie zeigte auf die vier Kartons im Flur.
“Einmal die hier, und dann stehen glaube ich noch ein paar im Wohnzimmer“, meinte Eric, er bückte sich, mit einem Schnaufen hob er sie an.
Vanessa derweil seufzte tief auf. In der Wohnung waren sie nicht alleine, im Wohnzimmer, und damit nicht wirklich im Weg, hielt sich die Inhaberin der Wohnräume auf.
Die Torhüterin schlich über den Laminatboden, sie hätte am liebsten auf die Begegnung mit Eric‘s Mutter verzichtet, allerdings würde es genauso zum Streit führen, wäre Eric die Kartons im Wohnzimmer holen gegangen.

Furchen im Gesicht, ergrautes Haar, Frauke war alles, nur nicht gut gealtert. Sie drehte ihren Kopf zu Vanessa, stumm musterte sie die junge Frau von oben bis unten, ehe sie angeekelt die Nase rümpfte.
Vanessa presste ihre Lippen aufeinander, sie wollte nur so schnell wie möglich die Kartons aus dem Zimmer holen.
“Kannst du nicht wenigstens versuchen, nicht wie ‘ne Kampflesbe auszusehen?“, brach Frauke das Schweigen, abwertend sah sie auf Vanessa hinab.
“Ich meine, mein Sohn steht weder auf Lesben, noch auf Schwuchteln. Wirst du sicher auch noch merken, wenn er sich eine richtige Frau sucht.“
Sie schwieg, konzentrierte sich nur auf die zwei Kartons und blendete Frauke aus, so gut sie es konnte. Es war nicht das erste Mal, dass sie sich solche Kommentare von ihr anhören durfte, sie lernte, dass sie diese nicht an sich heranlassen sollte.
Stumm trug sie die Kisten in den Flur, wo Eric auf sie wartete.
“Auf Fragen antwortet man“, rief Frauke ihr angewidert hinterher.
“Aber das passt zu dir, respektlos zu sein.“
“Tut mir leid“, wisperte Eric ihr zu, mit einem Kopfnicken deutete er ihr, dass sie den Plattenbau zuerst verlassen sollte.

Ein weißer Transporter parkte auf den tristen, grauen Plätzen vor dem großen Plattenbau-Komplex, wo eine Ecke der anderen glich. Zwischen Eric und Vanessa herrschte ein eher unbehagliches Schweigen, bis sie endlich alle Umzugskartons verstaut hatten und vorne einstiegen.
Eric schloss mit einem lauten Knallen die Tür des Sprinters, er atmete laut aus und legte die Arme auf dem Lenkrad ab.
“Ich kann mich nicht oft genug für meine Mutter entschuldigen“, brach er die Stille, Vanessa drehte ihren Kopf ihm zu.
“Du kannst da doch nichts für“, beruhigte sie ihn und strich ihm durch sein lockiges, blondes Haar. Sie wusste, dass ihn das zumindest ein wenig aufmuntern würde.
“Ich will gar nicht wissen, wie schlimm das alles für Ava sein musste.“
Eric schüttelte den Kopf, dann richtete er sich auf.
“Das war schon früher so, als Paps noch bei uns gewohnt hat. Ava durfte nie zum Fußballtraining, Paps hat sich aber immer für eingesetzt, dass sie zum Training kam“, erklärte Eric, er starrte durch die Windschutzscheibe in die Leere.
“Als Paps dann das Sorgerecht vor Gericht verlor, hab‘ ich Ava immer zum Training gebracht.“
Vanessa legte ihren Arm tröstend um ihren Freund und lehnte sich an ihn. Es war ganz gleich, wie oft Eric ihr davon erzählte, von der Zeit, in der seine Eltern sich scheiden ließen, ihn nahm all das noch immer mit.

𝐓𝐞𝐥𝐥 𝐦𝐞 𝐰𝐞'𝐫𝐞 𝐝𝐫𝐞𝐚𝐦𝐢𝐧𝐠 | a woso fanficWo Geschichten leben. Entdecke jetzt