Du bist wunderschön

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„Die Antwort ist nein!"

Xenia stand im Bademantel in der Tür zu ihrer Wohnung, ich davor. Ich hatte noch sie nicht mal begrüßt, geschweige denn die Frage, wegen der ich hergekommen war, gestellt.

„Darf ich trotzdem rein?"

„Klar."

Wie wir alle lebte auch Xenia in einer WG am Prenzlauer Berg, in einer etwas schmuddeligen Seitenstraße im Vins-Viertel mit zwei anderen Frauen zusammen. Anders als Kate, Anouk und ich hatte sie aber nicht die Gender-Studies belegt, sondern sich in Germanistik eingeschrieben, was, wie ich fand, überhaupt nicht zu ihr passte. Aber unsere Studienrichtungen waren nie Diskussion bei uns, sondern nur unser Faible für Punkmusik. Auf einen Punkkonzert hatten wir uns auch kennengelernt, keine Ahnung mehr welches das war oder wo es stattfand.

Zu fortgeschrittener Stunde nahmen wir sie mit zu uns und leerten dort noch eine Flasche Prosecco. Irgendwer, ich glaube Anouk, legte einen Sampler von Nina Hagen auf und wir sangen erst zu dritt „Rangehn", und „Heiss" und dann „Unbeschreiblich weiblich" in das schließlich auch Xenia einstimmte. Ihr Stimme fegte über uns hinweg wie der Hurrikan Katharina über Florida. Mit offenen Mündern sahen wir uns an, unfähig auch nur ein Wort zu sagen. Mittendrin bollerte der Nachbar an die Tür und drohte an, aus uns Freaks Frikadellen zu machen, wenn wir nicht sofort diesen Lärm ... blablabla, kannten wir schon.

„Singst du in einer Band?", hatte sie Anouk später gefragt

„Ne."

„In einem Chor?"

„Ne."

„Solo?"

„Ne."

„Solltest du aber mit dieser Stimme!"

„Ne."

„Wieso nicht?"

„Ich sing nur für mich, Manchmal. Oder wenn ich besoffen bin, wie jetzt gerade."

Dann stand sie auf und ging.

Und jetzt saßen wir zu zweit in ihrem Zimmer, ich auf dem Boden, sie auf ihrem Bett und sie sah mich unverwandt an.

„Warum bist du gekommen, Liz? Glaubst du ich gebe dir eine andere Antwort als Anouk und Kate? Ich sing nicht mit euch auf dem Contest, das könnt ihr vergessen!"

„Weil du dich für zu dick hältst, ich weiß" gestand ich. „Aber ein paar Kilo zu viel hatten andere tolle Sängerinnen auch. Denk mal an Mahalia Jackson!"

„Gospel!", antwortete sie trocken.

„Big Mama Thornton!"

„Blues!"

„Ella Fitzgerald!"

„Jazz! Und bevor du mir jetzt auch noch mit Adele oder gar Anna Netrebko kommst: Nein, Liz! Ich stelle mich mit diesem fetten Körper auf keine Bühne!"

Mir war zum Weinen. Vor Zorn und Trauer gleichzeitig. Aber auch weil sie mir ihre Unzufriedenheit mit sich selbst übertrug, wie ein Projektor ein Bild auf eine weiße Wand.

„Du bist nicht fett, Xenia", versuchte ich es nochmal, „du bist so wie du bist, genau richtig!"

„Zieh dich aus!", sagte sie plötzlich.

„Was?"

„Du sollst dich ausziehen, sagte ich!"

„Wie, jetzt?"

„Ja, jetzt. Jetzt und hier. Los schon, worauf wartest du? Ich werde dir schon nichts abgucken!"

Ich zog mir Pulli und T-Shirt auf einmal über den Kopf, dann schlüpfte ich aus der Jean und stand nur mehr im Slip vor ihr. Sie hatte mittlerweile ihre Kleider von der Tür, die ihr als Garderobe diente, abgenommen. Dahinter war ein hoher Spiegel.

„Sie dich mal an", sagte sie, nahm mich beim Oberarm und schubste mich vor den Spiegel.

Ich tat es. Xenia legte ihrem Bademantel ab, darunter war sie nackt. Und so trat sie neben mich und ich sah sie und mich im Spiegel an. Ein Unterschied, wie er krasser nicht sein konnte. Hier ich, mein jungenhafter Körper, die kleinen Tittchen, die dünnen Arme, die langen Beine, der schlanke Hals. Da sie, breite Hüften, hinter denen ein prächtiger Arsch lag, darunter stämmige Beinchen, ein kugelförmiges, aber straffes Bäuchlein, darüber zwei glockenförmige Brüste, gewiss Größe D, ein kurzer Hals, das Gesicht ein Vollmond, der nicht lächelte.

Du bist wunderschön, dachte ich, sagte es aber nicht. Doch sie war es wirklich. Warum kam es mir nicht über die Lippen?

„Würdest du mit mir schlafen?", sagte stattdessen sie und legte ihren Arm um meine Schulter, „Jetzt gleich, hier?"

Ich drehte mich um zu ihr, sah sie an, ihre Brüste berührten mich, sie streichelte eine Haarsträhne aus meinem Gesicht.

„Aber ich dachte...", stotterte ich.

„Was, dass ich eine Hete bin? Bin ich ja auch, aber du nicht. Du schläfst mit Frauen. Mit Kate auf alle Fälle, das weiß ich, mit Anouk wahrscheinlich auch. Beide haben einen Typen und bei beiden macht es dir nichts aus. Nur mit mir hast du keine Lust."

„Ach Xenia", sagte ich traurig und wich etwas zurück. Eine unbewusste Abwehrbewegung? Wahrscheinlich. Und doch - wie gerne wäre ich jetzt zwischen ihren Brüsten versunken.

„Und so wie du jetzt", sagte sie, beinahe wie zu sich selbst, „standen die letzten drei Männer auch da. Starrten mich an, wie einen überdimensionalen Pudding und wichen vor mir zurück."

Sie schlüpfte wieder in ihren Bademantel und setzte sich zurück auf ihr Bett. Ich stand noch immer im Slip vor ihr, die Augen auf ihren Schenkel, die aus dem Bademantel guckten.

„Und ihr wollt euch mit mir auf einer Bühne stellen, ihr drei Barbiepüppchen? Wozu? Damit die Jungs im Publikum, was zum Lachen haben? Ne, Liz. Komm wieder, wenn ich fünfzehn Kilo abgenommen habe. In zwei oder drei Jahren."

Jana und Liz - Teil 9: Fünfzehn Kilo zu vielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt