Ein glockenheller Ton

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„Hast du von ihr das Halsband?" 

Xenia nickt.

„Dann hast du also auch eine BDSM-Beziehung, so wie ich mit meiner Jana?"

„Ja,", antwortet sie, „wobei ich natürlich nicht weiß, welcher Art genau eure Beziehung ist. Aber bei mir ist Jane der Boss."

„Tja, bei mir ist es Jana!", gebe ich gerne zu.

Der Kellner kommt wieder vorbei und wir bestellen zwei Gläser Sekt mit Hollundersaft. Kommt auch gleich und wir stoßen an. Auf die schlechten Zeiten und auf die guten.

„Es war irgendwie schon strange", berichtet Xenia weiter, „Wir saßen in dieser dämlichen Therapiegruppe in Bedlam, Jane und ich und noch drei oder vier Frauen und mussten über unsere Probleme quatschen. Irgendwann war auch ich dran. Ich wollte eigentlich gar nicht, aber die Psychologin bestand darauf. Also druckste ich herum, von wegen zu fett und nicht geliebt und so, und alle hörten bloß stumm zu, beschäftigt mit ihrem eigenen Dachschaden, oder sie hörten gar nicht zu, keine Ahnung. Ich war noch ziemlich benebelt von den Antidepressiva-Infusionen, also laberte ich irgendwas daher, wie minderwertig ich mich fühlte und blabla, all des krude Zeug, dass dir durch den Schädel geht und von dem du nicht weißt, aus welchem Loch von deinem Gehirn diese Kacke kommt, und die Therapeutin fragte mich, wenn ich denn mein Idealgewicht hätte, was ich dann tun würde. Und ich sagte: Scheiße, ich würde in einer Punkband singen und jeden Tag ein Groupie vernaschen!"

„Echt jetzt?", lache ich, „Und machst du das jetzt auch?"

„Nein, woher denn", sagt sie. „Das ist nur ein Klischee. Aber ein nettes finde ich."

Sie taucht ihren Finger in den Sekt und streicht damit über den Rand des Glases. Ein glockenheller Ton entweicht ihm und erfüllt den Raum zwischen uns. Als würden Engel mit den Flügeln schlagen, so hört sich das an.

„An diesem Tag, also nach der Therapiesitzung", erzählt Xenia weiter, „kam Jane zu mir und sagte: Sing was. Und ich: Was? Und sie: Irgendwas halt, Punk oder Rock, wenn's geht. Und ich dachte mir, okay und sang die ersten beiden Strophen von Gossips Heavy Cross. Sie hörte sich das an, dann schüttelte sie den Kopf und sagte: Du willst dich umbringen, weil du zu fett bist und wenn du ein Lied singen sollst, kommst du mit dieser Nummer? Ich sah sie an und guckte nur blöd."

Ich stehe vermutlich ebenfalls auf der gleichen Leitung, wie Xenia damals, denn ich sehe genauso blöd aus der Wäsche. Sie merkt es und grinst. „Beth Ditto! Verstehst du?"

Und jetzt überkommt auch mich die Erkenntnis. Beth Ditto ist die Sängerin von Gossip und „Heavy Cross", war über sechzig Wochen in den deutschen, mehr als neunzig Wochen in den britischen Charts und machte die Band weltberühmt. Sie hat mehr als dreißig Kilo Übergewicht und war die erste offen lesbisch lebende Frontsängerin, die sich gegen den, in der Punk- und Rock-Szene so verbreiteten, Schlankheitswahn stellte.

„Tja, dann machte mir Jane zwei Angebote", erzählt Xenia weiter, „Das eine war, in ihrer Band zu singen. Das andere war, mit ihr ins Bett zu gehen. Und ich nahm beide Angebote an."

Sie nimmt noch einen Schluck von ihrem Hollundersekt und fügt hinzu: „Aber sie stellte zwei Bedingungen. Erstens, sie ist der Boss. Im Bett und auf der Bühne. Und zweitens, ich durfte kein Gramm Körpergewicht verlieren. Ich akzeptierte. Und habe es bis heute keine einzige Minute bereut."

Und dann steht plötzlich Jane vor uns und tippt Xenia an. „Let's go, honey. The Bus ist starting!"

Xenia umarmt mich, küsst mich auf beide Wangen, unter ihrem dicken Busen glaube ich ihr Herz pochen zu hören. Dann geht sie Hand in Hand mit ihrer Herrin weg.

Leb wohl, Xenia, du Schöne, denke ich.

Jana und Liz - Teil 9: Fünfzehn Kilo zu vielWo Geschichten leben. Entdecke jetzt