Die Strafe beginnt

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Nein, ich war keine Gute und ja, ich saß zurecht. Hatte einen Typen das Butterfly-Messer in den Oberschenkel gerammt und bedauerte nach wie vor, nicht seine Eier getroffen zu haben. Dass der zuvor seine Frau quer über die Straße geprügelt hatte, interessierte den Richter nicht. Meine Vorstrafen, allesamt mehr oder weniger geringe Delikte, aber sehr wohl. Und da eine davon noch bedingt war, packte ich die volle Ladung aus. Drei Jahre. Wegen guter Führung das letzte Jahr bedingt.

Ich kann für meine Karriere als Kriminelle kein desolates Elternhaus vorweisen, keine Drogenkarriere und auch meine sexuelle Orientierung ist keine Entschuldigung. Gut ich bin alles andere als eine Lipsticklesbe. Klein, bullig, kurzes Haar und ein betont raues Auftreten lassen mich am ehesten in die Kategorie „Butch" fallen, was bei den Mädels, die ich sexy finde, jedoch gut ankommt. In vorgegebene Normen ließ ich mich nie pressen und mein Aggressionspegel war immer höher als der Durchschnitt.

Mit fünfzehn brach ich eine Lehre als Kauffrau ab und begann eine als KFZ-Mechanikerin. Als mir ein Kunde mal auf den Arsch griff, schlug ich zu. Mit dem Wagenheber. Dem folgte die Lehre zur Elektrikerin. Am Bau herrschte ein rüder Ton und ich konnte den bald selber sehr gut. Nahe kam mir dort keiner mehr. Vielleicht auch, weil ich mich bald outete.

Nach der Lehre mal diesen Job, mal jenen, auch welche knapp am Rande der Illegalität, aber eigentlich immer mit Glück an gröberen Zores vorbei, sah man mal von den Prügeleien ab. Ich lernte ein Mädel kennen, mit der ich hätte länger was haben wollen, sie aber nicht mit mir. Sie ging fremd, ich drehte durch, demolierte das Auto ihrer Neuen, soff wie ein Loch. Die übliche Spirale abwärts. Auch meine Eltern und Schwestern konnten mich nicht auffangen. Dumm gelaufen. Dann die Sache mit dem Messerstich. Okay, Schwamm drüber.

Im Knast ging die Kacke zunächst mal munter weiter. Es brauchte erst ein paar Fights mit den anderen Bitches, dann ging es aber. Ich hatte sogar ein Mädchen dort. Nichts Ernstes zuerst, bloß um nicht ständig so underfucked rumzulaufen.

Sie hieß Hanna, war Kassierin in einem Supermarkt und ließ irgendwann mal die Abendkasse mitgehen. Bekam acht Monate. Bei Diebstahl kennen die kein Pardon. Draußen war sie die treue Gattin und fürsorgliche Mama, hier im Bau machte sie auf Hardcore. Stand darauf, wenn ich sie etwas härter rannahm. Blümchensex, sagte sie, hätte sie dann zuhause wieder.

Sie mochte es, wenn ich ihr mit Erdungskabeln, die ich aus der Werkstatt klaute, die Hände auf den Rücken fesselte, ihr mit einem Handtuch den Hintern versohlte oder ihr beim Vögeln den Kopf hart ins Kissen drückte. Dass wir den anderen beiden in unserer Zelle jede Nacht eine heiße Show boten, störte uns nicht.

Aber aus den Spielchen wurde ernst. Wir verliebten uns und beschlossen zusammenzuziehen, wenn auch ich freikam, also ein knappes Jahr später. Bis dahin würde sie sich scheiden lassen und alles wäre paletti. Und tatsächlich schrieb sie mir eines Tages, dass ihr Mann in die Scheidung eingewilligt hatte. Und ihre neue Adresse. Und dass sie auf mich warten würde. Und dann war plötzlich alles weg.

Im Knast wurde ich der Gebäudepflege zugeteilt. Die letzte Elektrikerin war kurz zuvor entlassen worden, also kam ich ihnen gerade recht. Wenn ich nicht grade arbeitete oder mit Hanna zugange war, las ich mich langsam, aber stetig durch die Bücher der Gefängnisbibliothek. Und das war, neben dem Warten auf meine Entlassung, wahrscheinlich die größte Herausforderung von allen, denn als ich einfuhr, war ich das, was man eine De-facto-Analphabetin nennt. Und bis heute habe ich Probleme mit komplizierteren Texten, aber mittlerweile geht es besser. Ich übe fleißig und komme sogar schon mit diesem Hemingway zurecht.

Ich hatte in der Schule zwar lesen und schreiben gelernt, konnte es aber nie wirklich. Hatte bereits Probleme damit, einen Erlagschein auszufüllen oder die Gebrauchsanleitung für eine Knoblauchpresse zu verstehen. Wie ich durch die Lehrzeit und die Berufsschule kam? Keine Ahnung. Interessierte niemand.

Hanna schon. Sie brachte es mir langsam, aber sicher bei. Zuerst mit Kinderbücher, dann mit Schundromanen und später sogar mit echter Literatur. Als sie ging, gab mir sie mir „Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin. Ich verstand kein Wort davon, außer diese eine Szene ganz am Anfang des Romans, wo Franz Biberkopf aus dem Knast kommt, sich denkt, dass er nun frei sei und doch weiß, dass genau jetzt die eigentliche Strafe beginnt. Und das war bei mir nicht anders

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