Das Päckchen

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Nein, sie gab mir Hannas Adresse nicht. Aber sie löschte tatsächlich das Strafregister. Auch mein Arbeitsvertrag wäre ab nächste Woche sicher. Alles andere werde sich fügen.

Die Hitze draußen fuhr mir wie eine Faust in den Nacken. Ich lud das Werkzeug in den Transit, unterm Scheibenwischer war ein Strafzettel. Ich nahm ihn und legte ihn auf das Päckchen, das mir Ernestine noch zugesteckt hatte bevor ich ging.

„Sie haben uns ein Päckchen gebracht, nun nehmen Sie eins von uns an, liebste Karin", hatte sie noch gekichert. Es war nicht schwer zu erraten, was sich unter dem altmodischen Seidenpapier befand – ein Buch. Wahrscheinlich eine Lesefibel.

Ich zwängte den Wagen aus der Parklücke und fuhr nach Hause. Natürlich war noch immer Stau, wie jeden Tag in dieser verrückten Stadt in diesem verrückten Sommer.

Zuhause duschte ich erstmal und versuchte mit dem Dreck und Schweiß auch diese drei durchgeknallten Omas aus meinem Hirn rauszuspülen, was aber nicht wirklich gelang. Und trotz, dass ich Hannas Adresse dann doch nicht bekommen hatte, die Sache mit dem Strafregister war ziemlich cool.

Ich setzte mich im Bademantel auf die Couch und wollte erst mal durch die Fernsehprogramme zappen, da fiel mir das Päckchen von Ernestine wieder in die Hände. Bücher, dachte ich während ich es auswickelte, ja, ich sollte mehr lesen, vielleicht würde ich dann auch Sachen wie Arbeitsverträge verstehen. Endlich hatte ich den Wälzer von seiner Verpackung befreit.

Es war „Berlin Alexanderplatz" von Alfred Döblin. Ich schlug den Deckel auf und dahinter lag ein Kuvert. An Karin Kelemen, derzeit Justizanstalt Schwarzau. Der Absender war eine Hanna Marhold, aus Wiener Neustadt, Wiesengasse 32.

Und dann begann ich zu weinen wie ein kleines Kind.

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