Kapitel 2

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Melanie huschte um den Felsen, atmete kurz durch und schaute um die Ecke.
Sie hatte es endlich geschafft Bel zu entkommen. Seit Ewigkeiten saß sie schon im Lager fest! Immer hing ihre Aufpasserin an ihr wie Napfschnecken an einem Felsen und war auch genauso schwer abzuhängen.
Die Zeit nach der Sichtung der Menschen war die Hölle. Die Stimmung im Lager war gedrückt und belastet von Angst und Düsteren Vorahnungen. Außerdem hatte Melanie nie Zeit für sich allein, immer wurde sie von Bel verfolgt, die sie auf Befehl von Alana keine Sekunde aus den Augen ließ. Zudem durfte sie das Lager nicht verlassen und musste unter Bels wachsamem Blick die einfachsten und langweiligsten Aufgaben verrichten, während die anderen ausgewachsenen Jägerinnen außerhalb des Lagers jagten und versuchten den Schwarm zu ernähren, was ohne die Jagd in Flachem Gewässer, wo die Menschen waren, eine große Herausforderung darstellte.
Alani war damit glücklich, den ganzen Tag im Lager zu bleiben und einfache Arbeiten zu verrichten, doch Melanie war unzufrieden.
Alana konnte jede helfende Hand gebrauchen, aber trotzdem ließ sie Melanie nicht mitkommen, obwohl sie ihr eine große Hilfe bei der Ernährung des Schwarms sein könnte.
Nein, Melanie musste den ganzen Tag mit Bel im Lager bleiben und mit den jüngeren die Wohnungen ausbessern.
Heute aber war ihre Aufpasserin nach einem Tag voller Arbeit erschöpft eingeschlafen und gab ihr so Gelegenheit für eine Flucht, die Melanie sofort nutze.
Die Meerjungfrau schlängelte sich durch den engen Geheimtunnel, den sie vor nicht allzu langer Zeit, als sie sich für einen kurzen Moment von Bels Obhut befreien konnte, entdeckt hatte und genoss es, die Wendigkeit und Kraft ihres Körpers dabei voll auszunutzen. So konnte sie auch die Wachen umgehen, die seit dem Auftauchen der Menschen ständig um den Felsen Kessel, in dem das Lager lag patroullierten.
Endlich war der Tunnel zu Ende u d Melanie blickte auf die unendliche Weite des Meeres hinaus.
Doch was sollte sie jetzt machen?
Sofort kamen ihr Tausend Möglichkeiten in den Sinn, die sie jedoch nach und nach wieder verwarf.
Endlich fiel ihr etwas ein. Einen Traum, den sie schon immer verwirklichen wollte: sie musste die Oberfläche sehen! Sie musste den Rand ihres Horizonts, von dem so viele Geschichten im Lager kursierten, endlich mit eigenen Augen sehen!
Zielstrebig schwamm sie nach Oben, bis sie über sich eine glitzernde und funkelnde Fläche sah, die immer in Bewegung blieb und sich ständig veränderte, die Oberfläche.
Plötzlich beschlichen sie leichte Zweifel.
War es wirklich eine gute Idee gewesen hierher zu kommen? Die Regeln bestanden schließlich nicht umsonst seit unzähligen Generationen!
Ach Quatsch!
Melanie wischte ihre Zweifel mit einem energischen Schlag ihrer Schwanzflosse beiseite. Sie war ihrem Ziel so nahe gekommen, da konnte sie doch nicht sok kurz davor aufgeben!
Mit kräftigen Schwimmbewegungen bewegte sie sich auf die Oberfläche zu, erreichte und durchstieß sie. In einem Glitzerregen, wie aus tausend Perlen schoss sie an die Oberfläche, die im Schein des Vollmond glänzte.
Atemlos blickte sie sich um. Auf einmal hatte die Welt scharfe, klare grenzen und Ihre Lungen fühlten keinen Wiederstand, als sie die Luft, ein bis dahin unbekanntes Element tief in sich einsog. Hoch über ihr war eine große runde Scheibe, deren silbernes Licht die Meeresoberfläche glitzern und funkeln ließ.
Noch während sie staunend um sich blickte, bemerkte sie, dass vom Land, von dem sie schon so viel gehört hatte, nichts zu sehen war.
Sie dachte einen Augenblick nach. Die alten erzählten doch, dass das Featland daraus entstand, dass das Meer solange flacher wurde, bis der Abstand zur Oberfläche so gering wurde, dass er nicht mehr existierte, und noch weiter. Also, überlegte sie weiter, musste sie so lange ins Fläche Gewässer schwimmen, bis sie das Land erreichte.
Gedacht, getan. Melanie tauchte wieder unter, nachdem sie die Schönheit des Moments ein letztes mal in sich aufgesogen hatte, und schwamm, bis sie das flachere Wasser erreicht hatte. Sie passierte die Stelle, an der sie die Menschen gesehen hatten und ihr Herz klopfte schneller , aber sie schwamm weiter, immer das Ziel vor Augen, das Festland zu sehen.
Ihre ganze Körperlänge passte jetzt nur noch zweimal übereinander ins Wasser, das war weiter, als sie ja zuvor gewesen war!
Vorsichtig schwamm sie weiter.
Endlich kam sie an. Vor ihr war eine massive Wand aus schwarzem, gezacktem Fels, die bis an die Oberfläche reichte. Melanie folgte ihr nach oben und durchstieß erneut die Wasseroberfläche. Sobald ihr Kopf über Wasser war und ihre Atmung sich umgestellt hatte blickte sie sich neugierig um und ihre Erwartungen wurden nicht enttäuscht.
Direkt vor ihr ragte ein Damm aus Felsblöcken aus dem Wasser, daneben lag eine Bucht in einem perfekten Halbkreis und von weißem Sand bedeckt. All das lag von silberweißem Mondlicht beschrieben friedlich und geheimnisvoll da.
Melanie Staunte über das Land, über die Stille und Ruhe der Landschaft und der Luft, über die scharfen Kanten, die die Dinge auf einmal hatten, über die Luft und den Mond und bewunderte die Schönheit des Landes.Doch dann wird sie neugierig.
Wie das Meer wohl von oben aussieht?
Sie zieht sich schwerfällig auf einen der Felsen des Damms und dreht sich dann um.
Wer hätte gedacht, dass es so schwer ist, sich an Land zu bewegen!
Der Großteil ihrer Schwanzflosse befand sich noch im Wasser.
Sie betrachtete die See und die großen Wellen, die an die Felsen schlugen.
Wie anders dass Meer doch von Oben ist! Hier wirkt es feindselig und friedlich zugleich und auch verzaubert und geheimnisvoll.
Dann bricht es aus ihr hervor. Alle Gefühle brechen sich auf einmal Bahn. Ohne nachzudenken öffnet sie den Mund und beginnt zu singen. Sie singt in einer ihr unbekannten Sprache, die sie trotzdem versteht, und singt von ihrer Verbitterung, ihrem Leid und ihrer Sehnsucht nach Freiheit; sie singt ihre tiefsten Ängste hinaus und ihre tiefsten Sehnsüchte. Sie legt all ihre Gefühle in ihre Stimme.
Doch auf einmal bemerkt sie etwas. Es ist keine richtige Wahrnehmung sondern eher ein Gefühl, eine Veränderung der Luft um sie herum. Melanie fährt herum, hinter ihr steht jemand, ein Junge, ein Mensch! Sie erschrickt fürchterlich, blickt in sein Gesicht, das genauso großes Staunen und erschrecken ausdrückt, wie ihres. Ihr Instinkt übernimmt und sie dreht sich um und springt in die Fluten, nur weg von diesem Monster!
So schnell sie kann schwimmt sie nach Hause, in die Sicherheit der Lagers, schlängelt sich durch den Geheimtunnel und zieht sich in eine der Felsspalten zurück wo sie die Augen schließt und einschlafen will, doch der Gedanke an den Menschen lässt sie nicht los.
Warum hatte er sie nicht getötet?

Meerestochter*pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt