Kapitel 9

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Melanie blickte sich noch immer in dem prachtvollen Saal um, doch das leise Flüstern der Stimmen in ihrem Hinterkopf wollte nicht abbrechen.
Im Gegenteil, es wurde immer lauter und eindringlicher.
Ohne darüber nachzudenken schloss Melanie die Augen und ließ sich fallen.
Sie fiel nicht wirklich, doch ihr Geist sank hinab in etwas, das nur schwer zu beschreiben war. Man musste es fühlen. Es war wie eine leere, die doch alles andere als leer war. Eine Leere, die nicht gefüllt war mit fassbarem, sondern von substanzlosem, ursprünglichen sein.
Und dieses sein war überall um sie herum.
Es waren die Stimmen um sie herum, bisher zu fern und leise um sie zu verstehen, doch jetzt ein wenig lauter, deutlicher.
Es war etwas im leuchten der Algen um sie herum.
Es war der Geist, den sie gespürt hatte, begriff Melanie plötzlich und dem sie instinktiv den Namen gegeben hatte, der ihn am besten beschrieb.
Es war nichts körperliches, greifbares, und doch durchdrang es alles greifbare und gab ihm Leben.
Langsam fokussierte sich ihre Wahrnehmung instinktiv, und ohne, dass sie bewusst etwas tat, auf diese Stimmen.
Sie wurden klarer, und bekamen etwas wie eine Gestalt.
Es war nicht wirklich real, fassbar und doch hatte sie eine Ahnung von ihnen, eine Grenze, eine Farbe, einen Geruch und alles, was einen echten Körper ausmacht. Dazu noch ein Gefühl, etwas, wie ein warmer Hauch, eine Ausstrahlung ohne Gestalt.
Und die Stimmen formten sich und bekamen Gestalt.
Sie waren nun nichtmehr substanzlos sondern bekamen einen Körper. Melanie konzentrierte sich auf dieses Bild, hielt es fest und schlug die Augen auf.
Sie schmeckte Blut, wahrscheinlich hatte sie sich auf die Wange gebissen, doch das war ihr jetzt egal.
Auf einmal sah sie, was vorher gefehlt hatte.
Die Stimmen in ihrem Kopf, die zuerst nur gewispert hatten, schwollen nun noch ein letztes mal an und verstummten dann nach und nach und Melanie konzentrierte sich auf das, was sie sah.
Um sie herum schwebten Seeschlangen.
Mächtige Wasserdrachen, die sich alle in Farbe, Größe und Ausstrahlung unterschieden.
Eine von ihnen begann zu sprechen. Sie war besonders groß und schillerte in den Farben von dunklem Moos und Algen, einer wunderbaren Mischung aus grün und türkis, die atemberaubend anzusehen war. Die Farbe veränderte sich auf ihrem Körper, wurde dunkler zur Stirn hin, und heller an der Kehle.
Ihr Mund enthielt weiße, scharfe Zähne, doch Melanie fürchtete sich nicht. Was hätte sie auch tun sollen?
"Willkommen! Wir sind die Alten.
Du hast die erste Prüfung bestanden.
Du bist würdig in unsere Reihen aufgenommen zu werden.
Dies ist deine Bestimmung.
Du hast dein altes Leben verloren doch hier wirst du neues Leben finden.
Du bist eine von uns.
Doch um dein Schicksal zu erfüllen musst du noch vieles lernen.
Ich werde dich leiten."
Melanie wusste nicht, was die Schlange meinte
Sie war wie benommen.
"Nun komm in unsere Gemeinschaft.
Doch zuvor musst du etwas wichtiges lernen.
Du musst lernen zu hören.
Wenn du angenommen werden willst, musst du lernen so zu leben und denken wie wir.
Wir trüben die Geräusche des Lebens nicht mit Worten und versuchen nicht, es in Worte zu fassen.
Du musst lernen zu verstehen.
Du hörst unsere Stimmen, ich weiß es, doch du schließt sie aus und schenkst Ihnen kein Gehör.
Schließe deine Augen und höre."
Melanie versuchte es, doch selbst wenn sie ihre Augen schloss, wusste sie nicht, was sie tun sollte. Hilflos öffnete sie ihre Augen und blickte die Schlange an.
"Versuche es. Konzentriere dich nicht sosehr auf das, was du siehst, sondern auf das, was du fühlst."
Also schloss Melanie wieder ihre Augen und versuchte die Anweisungen umzusetzen.
Eine Weile war sie ratlos und suchte verzweifelt nach etwas, dass sie tun könnte, wobei sie das Wispern in ihrem Hinterkopf, das wieder begonnen hatte und ihr Kopfschmerzen bereitete zur Seite schob.
Jedoch wurde es immer intensiver.
Und endlich begriff Melanie.
Diese Stimmen. Auf sie sollte sie hören. Sie fokussierte ihre Gedanken, blendete alles andere aus. Sie konzentrierte sich nur auf die Stimmen, die in ihrem Kopf wisperten, ließ sie ihr denken vollkommen ausfüllen.
Und dann wurde es klarer. Es war kein Durcheinander mehr sondern sie konnte einzelne Stimmen herausfiltern und verstand, was diese sagten.
Und es waren nicht nur Worte und Sätze, es waren auch Bilder, Gerüche, Gedanken, alle möglichen Gefühle.
Und alle sagten das gleiche: Du bist eine von uns. Willkommen.
Und dies sagten sie voller Freude und sie schickten alle möglichen Empfindungen : Stolz, Geborgenheit, Herausforderung.

Melanie schlug die Augen auf.
Sie war wieder in dem Raum, in dem sie das erste mal aufgewacht war.
In diesem Moment kam eine Seeschlange herein.
Sie war kleiner, als die große, grüne, die Melanie gesehen hatte.
Ihre Schuppen schimmerten in dunklem Lila und blau das ins schwarze spielte.
Freundlich sah Melanie sie an.
Die Lilane schickte ihr im Geist eine Begrüßung.
Melanie erwiderte diese. "Hallo. Wie heißt du?"
Doch die Schlange antwortete ihr nicht mit worten. Sie schickte ihr einen kurzen Eindruck von Ungehaltenheit, kurz darauf erklärte sie ihr mit einer Gedankenstimme, die rein und wohlklingend war: wir haben keinen Namen, wir sind was wir sind.
Und sie schickte ihr einen kurzen Eindruck von Etwas, das Melanie nicht völlig erfassen konnte, von dem sie jedoch wusste, dass es die lilane perfekt beschrieb.
Auch du musst dich benennen. Erklärte ihr die lilane Schlange geduldig. Und antworte mir diesmal mit deiner wahren Stimme. Beschreibe alles was du bist, wer du bist. Wie ist dein Wesen? Was sind deine Stärken, deine Schwächen?Woher kommst du?
Ich- Ich weiß nicht!
Entsetzen brach über Melanie herein wie eine vernichtende Strömung. Sie wusste nichts mehr! Woher sie kam, wer sie war. Alles war weg! Sie biss sich auf die Wange und ballte die Hände zu Fäusten um sich irgendwie darüber klarzuwerden, was das hieß.
Ganz ruhig! Die Schlange sandte ihr Ruhe und Geborgenheit doch Melanie wollte das nicht!
Nichts war in Ordnung!
Sie stieß den anderen Geist von sich.
Lass mich in Ruhe!
Doch die andere ließ nicht locker. Dieses mal lag Autorität in den Gedanken und etwas Geborgenheit.
Genug! Es reicht!
Melanie brach zusammen. Sie zitterte.
Ganz ruhig. Du brauchst deine Vergangenheit nicht. Mache einen Neuanfang. Atme durch. Behersche deine Angst! Beginne mit dem was du von dir selbst weißt! Horche in dich hinein! Dann sage mir: wer bist du?
Die Meerjungfrau tat wie ihr gehießen. Sie atmete tief durch, und als sie ausatmete ließ sie all die Anspannung, all die Panik entweichen. Immer wieder atmete sie, bis sie sich sicher war, nicht erneut zusammenzubrechen. Dann sammelte sie sich und sah ihn sich hinein. Sie prüfte sich selbst, neugierig was sie dort finden würde.
Wer bin ich?
Doch dann merkte sie, dass diese Frage nicht so leicht zu klären war. Ich hatte so viele Aspekte! Darum stellte sie andere Fragen.
Was bin ich?
Ich bin eine Meerjungfrau. Ich habe eine Flosse, die denen der Schlangen ähnelt und Schuppen wie sie. Mein Oberkörper ist ungeschützt. Ich habe Haare. Haare, die in hellem Gelb glänzen. Ich habe Hände, die schmale Finger und breite Krallen haben.
Mein Körper ist stark. Ich kann schnell schwimmen und mich verteidigen.
Wie bin ich?
Ich bin begierig zu erfahren, was es neues gibt. Wer diese Wesen sind, die ich nicht kenne. Wer ich bin.
Ich bin neugierig.
Das alles macht mir Angst aber ich bin sicher, dass ich es überstehen werde.
Ich bin stark. Ich bin hoffnungsvoll.
Ich bin froh am Leben zu sein. Auch wenn das hier neu für mich ist, ist es besser als der Tod. Ich will leben.
Ich bin fröhlich. Ich bin Lebensfroh.
Was will ich?
Die Alten sagten mir, ich hätte eine Aufgabe. Ich will sie erfüllen. Ich will wissen, wer ich bin. Ich will leben.
Es war nicht viel, doch es war alles was sie hatte. Sie hob den Blick, sah der Schlange in die Augen und straffte die Schultern.
Ich bin Melanie.
In diese drei Worte legte sie alles, was sie über sich wusste.
Die andere sah sie anerkennend an.

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Nach Urzeiten melde ich mich wieder.
Wie findet ihr das neue Kapitel?
Zu abstrus und an den Haaren herbeigezogen?
Zu schwammig erklärt?
Oder gut?
Eure Franzifantasy
(Noch ein bisschen Werbung: kennt ihr "heart of courage" von two steps from hell? Dieses Lied ist so episch!)

Meerestochter*pausiert*Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt