Kapitel 2

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Kapitel 2 - Das Calmwood-Reservat

Logan hatte Recht, die Route entlang der nordöstlichen Grenze des McGrey Reservates war wirklich lang, was zum wohl daran lag, dass James’ Gebiet verhältnismäßig riesig war. „Darf ich mich verwandeln?“, fragte Logan zum mindestens fünften Mal. „Das wäre aber geschummelt“, sagte ich und blieb beim nächsten Baum stehen um mich nach ihm umzusehen, „Mit vier Beinen bist du schneller als mit zwei!“ „Bitte bitte bitte“, sagte er und ich konnte sehen wie er ein Grinsen unterdrückte, „Bitte mit Kirsche oben drauf?“ Ich schüttelte lachend den Kopf. „Okay, meinetwegen. Aber nur wenn ich auch darf“. Logan antwortete gar nicht mehr. Das nächste was ich von ihm sah, war wie er in goldenes Licht eingehüllt war und Sekunden später stand der Leopard Logan vor mir und streckte sich. „Fühlt sich besser an“, knurrte er und gähnte, sodass ich seine langen Fänge sehen konnte. Ich verdrehte die Augen. Wach auf, Tiger. Ich schloss die Augen als das blau schimmernde Licht mich einhüllte und meinen Körper veränderte. Als ich die Augen wieder öffnete fand ich Logan mich anstarrend vor. „Was?“, fragte ich, meine Stimme hörte sich in dieser Gestalt fast wie ein Schnurren an. Logan schüttelte den Kopf. „Deine Verwandlung ist cooler als meine“, meinte er dann. Ich schnaubte und schüttelte mein Fell. „Willst du jetzt weitersabbern und mich anstarren oder laufen?“ Logan verdrehte die Augen. „Keine Sorge mein Lieber“,sagte er und verfiel in ein gemütliches Tempo, „Ich werde nie wegen dir sabbern“ „Das will ich hoffen“, sagte ich grinsend und überholte ihn. Im Augenwinkel sah ich noch wie Logan ebenfalls sein Tempo beschleunigte und knapp hinter mir herlief. Eine Weile lang joggten wir so nebeneinander her bis wir die östlichste Grenze des McGrey Reservates erreicht hatten. Der Wald ging zwar noch weiter, aber das Gebiet gehörte niemandem. Entfernt konnte ich ein Auto auf der Hauptstraße ungefähr drei Kilometer links von mir hören. Logan und ich wollten gerade umdrehen, dann änderte sich die Windrichtung. Logan schien es nicht zu merken, aber ich blieb wie angewurzelt stehen. Irgendwann merkte er dann, dass ich nicht mehr bei ihm war, drehte sich 360 Grad um die eigene Achse und kam verwirrt aussehend wieder zurück. Meine Nackenhaare stellten sich auf, der Geruch, den der Wind da zu uns trug war mir vertraut. „Was ist los?“, fragte er mich, „Cole? Alles okay?“ Nein. Ich drehte den Kopf in die Richtung aus der der Wind kam. Nein. „Cole?!“ Logan lief um mich herum. Ich schüttelte den Kopf. „Tiger“, brachte ich hervor. „Was?“, Logan blieb stehen um mich anzusehen. „Tiger“, wiederholte ich, „Die Spur ist frisch. Hier war einer“. „Du meinst, hier war ein Tiger“, stellte er fest. „Habe ich das nicht gerade gesagt?“ „Schon, aber auf der Ostküste gibt es seit zehn Jahren keine Tiger mehr“ „Ach wirklich?“, fragte ich sarkastisch und ging langsam in die Richtung aus der der Geruch kam. „Willst du ihn aufspüren?“, fragte mich Logan und begann mir zu folgen. „Es interessiert mich einfach“, sagte ich und beschleunigte mein Tempo. Was wenn James und Sam doch Recht hatten?

Die Spur führte im guten Sicherheitsabstand an der Hauptstraße entlang und je weiter wir liefen, desto mulmiger wurde mir zu Mute. Wir entfernten uns immer weiter vom McGrey Reservat, nicht mehr lange und wir würden... „Cole?“, fragte mich Logan von hinten, „Führt die Spur etwa...?“ „Ja“, sagte ich rau. Die Spur verlief in die Richtung vom alten Calmwood-Reservat. Ich war seit Jahren nicht mehr dort gewesen. Vor genau zehn Jahren hatte ich es verlassen und mich nicht mehr getraut zurückzukehren. Ich war mir nicht mal sicher, ob ich das jetzt wollte. Konnte ich das überhaupt? Der Ort barg viele Erinnerungen. Dort war ich aufgewachsen, hatte den Großteil meiner Kindheit verbracht, hatte eine Familie gehabt. Artgenossen. Nichts gegen die McGreys. Sie waren wie eine Familie für mich und ich verdankte ihnen mein Leben, aber sie konnten meine Tiger-Familie nicht ersetzen. Meine Füße bewegten sich wie von selbst und schlugen den Feldweg ein, der fast aus dem Nichts auftauchte. „Cole...?“, fragte Logan von hinten, „Bist du dir sicher...?“ „Nein“, ich warf ihm einen Blick über die Schulter zu, „Aber die Spur führt hierher und ich will ihn oder sie finden“. Logan nickte nur. Ich sah mich um bevor ich weiterlief. Die Natur um uns wirkte ruhig und friedlich, ein paar Vögel zwitscherten. Aber je weiter wir den Feldweg entlang liefen, desto mehr roch es entfernt nach Rauch und Schießpulver. Ich schauderte. Es war der Tod, den man hier riechen konnte. Logan hinter mir blieb still bis wir zu dem Eisentor kamen, das unser Gebiet früher beschützt hatte. Offenbar hatte es gegen die Einbrecher nichts genutzt. Ich seufzte und zog den Tiger zurück, richtete mich in meiner menschlichen Gestalt auf. Logan neben mir tat dasselbe. „Wow“, murmelte er und fuhr mit den Fingern über ein Einschussloch im verbogenen Metall des Tores, „Das hier muss die Hölle gewesen sein“. Ich nickte nur und sah nach oben, wo ich eine alte Sicherheitskamera entdeckte. Das Objektiv war zerbrochen, von der zweiten Kamera fehlte jede Spur. Ich versuchte mich innerlich gegen das zu wappnen, was mich drin erwarten würde und drückte das verbogene Tor soweit auf, dass wir durch kamen.

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