Etwas angespannt setze ich mich auf die Hinterbeine.
„Ich wiederhole meine Frage: Was verschafft mir die Ehre? Du hasst den Wald."
Sie schüttelt sich und bestätigt damit meine Aussage.
„Natürlich hasse ich den Wald, er stinkt. Er stinkt, ist dreckig und dunkel. Aber ich habe einen Vorschlag für dich."
„Hmmm, das muss ein guter Vorschlag sein, damit du persönlich den langen Weg hierher auf dich nimmst."
Erneut ertönt ihr Lachen, rau, wie der Donner eines Blaslochs.
„Witzig. Wir können dieses Treffen auch gerne verlegen."
Die Umgebung wandelt sich blitzschnell: Die Bäume über uns schrumpfen in den Boden zurück, die Büsche ändern ihre Form und werden durch den aufgekommenen Wind dicht an die sandige Erde unter uns gedrückt. Alles riecht nach Salz und Tang und Fisch. Der intensive Geruch nimmt mir nach dem sanften erdigen Geruch des Waldes für einen Moment den Atem. Links neben mir schlägt das Meer gegen die Felsen und ich spüre die Gischt auf meinem Fell landen. Ich war lange nicht mehr hier.
„Besser?", frage ich mit betont gelangweilter Stimme.
„Definitiv."
Albar wirkt in der Tat viel entspannter. Ich hingegen bin immer noch angespannt.
„Nun?", frage ich, „Worum geht's?"
Sie guckt mich aus ihren Glubschaugen an und wenn ich nicht wüsste, dass man diese Göttin ernst nehmen muss, würde ich bei dem Anblick zumindest ein leises Kichern zulassen. Stattdessen schlucke ich mein Amüsement herunter und bemühe mich um einen interessierten Gesichtsausdruck.
„Soll ich meine Form wechseln, damit du mich ernster nimmst?", fragt sie neckend, denn natürlich hat sie das minimale Zucken meiner Lefzen mitbekommen. Sie kennt mich viel zu gut. Ich seufze.
„Du weißt, dass ich dich immer ernst nehme."
Sie schnaubt und ersetzt ihren Fischkopf durch den Kopf eines Albatros.
„Ich dachte, wenn ich bei meiner Ursprungsform bleibe, erkennst du mich zumindest sofort. Wer weiß, ob dem so gewesen wäre, wenn ich anderweitig aufgetaucht wäre – immerhin haben wir uns ein paar Jahrhunderte nicht mehr zu Gesicht bekommen."
Bei diesen Worten (die absoluter Blödsinn sind, wir erkennen uns immer) legt sich dieser Schalter in mir um, der die ganze Zeit gefährlich weit vorm Kippen war. Wieder bin ich auf allen Vieren, mein Körper ist angespannt, mein Kopf bedrohlich weit unten. Ich knurre leise. Die Erinnerungen an damals möchte ich lieber nicht erwärmen. Sie macht eine wegwerfende Bewegung mit ihrem Flügel.
„Schwamm drüber, die Zeit heilt alle Wunden nicht wahr?"
Ich suche lange in ihren Augen nach der Wahrheit. Sie scheint in Frieden zu kommen. Also entspanne ich meine Haltung, atme ein paar Mal beruhigend ein und aus.
„Ja. Ich freue mich, dich wieder zu sehen", sage ich dann ehrlich.
Ehrlich - denn ich mochte Albar schon immer. Sie ist witzig, schlagfertig, wandelbar und war für die längste Zeit eine gute Freundin. Vielleicht können wir diese Freundschaft endlich wieder aufnehmen.
„Gut. Mein Vorschlag ist Folgender: Übermorgen gibt es eine Versammlung aller Halbgöttinnen. Ich wusste, dass du in deiner Abgeschiedenheit nichts davon mitbekommen hast, aber ich würde dich gerne dabei haben."
Alle Halbgöttinnen? Auf die Welt verteilt handelt es sich mindestens um ein paar tausend.
„Was wird auf dieser Versammlung besprochen? Wer spricht auf der Versammlung?"
Sie grinst.
„Wie immer stellst du sofort die richtigen Fragen. Wir besprechen die... Gesamtsituation. Unsere Pläne für die Zukunft. Wir haben die letzten Jahrhunderte eine Struktur erstellt, bei der gewählte Sprecherinnen die Interessen der jeweiligen Verbünde besprechen."
„Lass mich raten", unterbreche ich, „du bist eine dieser Vertreterinnen."
Bescheiden nickt sie.
„Natürlich. In unserem Verbund sind die Nordosteuropäischen Halbgöttinnen vertreten, nur dich haben die anderen bisher in deinen Wäldern nie zu fassen bekommen. Woher sollten wir auch wissen, dass du deine Zeit am liebsten als Wölfin verbringst. Anscheinend kann nur ich dich durch unsere Verbindung in dem Zustand überhaupt aufspüren."
Ich ignoriere den Seitenhieb. Genauso wenig wie Albar Wälder leiden kann, kann sie Wölfe leiden. Eigentlich ein Wunder, dass wir uns damals überhaupt angefreundet haben, denn zumindest ein wölfisches Herz schlug schon damals in meiner Brust.
„Geria", sagt sie bestimmt, „bitte sei dabei morgen. Es ist wirklich wichtig."
Ich denke nach. Ich liebe meine Abgeschiedenheit und meine Zeit als Wölfin. Ich liebe meine Wälder, in denen ich mich um die Belange aller Pflanzen, Tiere und Wesen kümmere. Ich liebe diese Welt, abseits von Politik. Aber ich bin nichtmehr dreihundert Jahre alt. Ich weiß, was es bedeutet, wenn eine solche Versammlung ansteht.
Egal, wie ich mich entscheide, Einfluss auf mein Leben wird sie haben.
Wenn ich mit dabei bin, kann ich wenigstens die Art des Einflusses mitentscheiden.Also hebe ich den Blick und nicke.
„Gut. Ich bin dabei."
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Geria
FantasyDie Halbgöttin Geria wird in politische Machenschaften verstrickt. Eine ihrer Bündnispartner*innen ist die Sphinx Labu-A; rätselhaft, humorvoll und viel zu faszinierend. Während Geria sich bemüht, sich nicht ablenken zu lassen und nicht über die Fal...