Vorbereitungen

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Wie ab ihr hier vielleicht merken werdet, ist Geria, wenn sie einen Groll hegt, nicht die zuverlässigste Erzählerin...
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Als ich aus meinem tiefen Schlaf zurück in den Wachzustand gleite, spüre ich die kühle Erde des Waldes unter mir, die taubehangenen Blätter des Busches um mich herum. Statt des wellenartigen überwältigenden Geruches des Meeres, zupft der Duft des Waldes harfengleich und dezent an meiner Nase. Nach meinem Gespräch mit Albar habe ich mich spätnachts noch einmal dazu entschieden, zu schlafen. Natürlich muss ich nicht schlafen, ich bin nicht auf diese Art von Erholung angewiesen. Und doch fühlt es sich wie ein kleiner Urlaub an, weshalb ich es immer wieder gerne tue. Während ich träge den Kopf ein wenig hebe und den erwachenden Wald um mich herum betrachte, taucht mein Versprechen Albar gegenüber wieder in meinen Gedanken auf:

„Gut, ich bin dabei."

‚So ein Mist', denke ich nun im Hellen.

Jetzt bin ich nicht mehr direkt Albars Charme ausgesetzt. Ich hatte vergessen, wie gut sie mich einlullen kann. Die Tatsache steht immer noch, dass diese politischen Umschwünge sich auf mich auswirken würden, aber... Was sind schon meine paar Wälder in Anbetracht der ganzen Welt?
Mein Revier ist überhaupt nicht groß genug, um politisch relevant zu sein. Es würde doch nichts ausmachen, wenn ich nicht zu dieser Versammlung gehe, es würde nicht auffallen, dass ich nicht da bin. Es würde nicht auffallen und somit wären meine Wälder in Sicherheit. Die Gesamtsituation... Was genau meinte Albar damit überhaupt? Die Gesamtsituation ist doch gut? Bei meinem nächsten Gedanken schnellt mein Kopf automatisch in die Höhe: Sie hat mich manipuliert.
Mein animalisches Ich lässt mich wütend knurren. Sie braucht mich. Und nicht ich brauche, wie sie so schön meinte, die Versammlung. Es ist wie damals. Ich heule auf vor Wut. Wie konnte ich so dumm sein, ihr zu vertrauen? Wie konnte ich glauben, dass es ihr tatsächlich um mich geht? Ich bin kurz davor, zu ihr zu reisen, um sie zur Rede zu stellen. Doch wie schon gesagt – ich bin nicht mehr dreihundert Jahre alt. Ich zügele meine Wut und atme ein paar Mal tief durch.

‚Pech gehabt', denke ich dann selbstmitleidig.

Ich könnte die Abmachung natürlich brechen, aber ich würde es teuer bezahlen müssen. Ich seufze. Stehe auf und schüttele die Tautropfen aus meinem Fell. Gähne. Gehe diesen neuen Tag an.

***

Als die Schatten länger werden, überlege ich, ob ich heute Lust habe zu schlafen. Wenn etwas Großes bevorsteht, träume ich jedoch immer unruhig und der Erholungseffekt tritt nicht ein. Also entschließe ich mich dazu, die Nacht als Uhu zwischen den Bäumen hindurch zu streifen und ein paar Mäuse zu erledigen. Dieser Teil des Waldes wird zurzeit gewaltig von den kleinen Nagetieren geplagt. Ich könnte ihre Anzahl natürlich einfach mit einem Gedanken halbieren, aber wo bliebe da der Spaß? Die Nacht vergeht wie im Flug und als die Morgendämmerung hellblau und warm einsetzt, lasse ich mich kurz auf einen Ast nieder und betrachte das Stück Wald unter mir. Ich habe ganze Arbeit geleistet. Ich schüttele mein Federkleid und überlege, wie ich nachher auf dieser Versammlung auftauchen werde. Albar hatte gesagt, dass die anderen sich immer in ihrer Urform treffen, aber darin fühle ich mich immer so... nackt. Durchschaubar. Jung. Schutzlos. Ich nutze diese Form genau aus diesen Gründen beinahe nie. Auch wenn ich beinahe unsterblich bin gibt mir meine Urform immer das Gefühl, sterblich zu sein. Nervös tapse ich auf dem Ast hin und her. Es wäre vermutlich unhöflich, wenn ich in einer Fremdform erschiene. Na, zum Glück habe ich noch ein paar Stunden, um das zu entscheiden; die Versammlung beginnt erst am späten Nachmittag.

Deshalb ist meine erste Tat im Hellen, die Nymphe Smirne aufzusuchen. Wie immer befindet sie sich in ihrem Heimattümpel, und scherzt mit den anderen Nymphen herum.

„Smirne", rufe ich sie, über dem Tümpel kreisend.

Sie schaut zu mir herauf und ihr Gesicht erblüht in einem erfreuten Lächeln.

„Geria! Lange nicht gesehen."

Ich lande auf einem großen moosbewachsenen Felsbrocken, der aus dem grünen Wasser ragt. Sie löst sich von der Gruppe und kommt zu mir herüber geschwommen.

„Ich habe deine Dienste lange nicht mehr in Anspruch nehmen müssen", meine ich entschuldigend.

„Ich sehe dich auch gerne, wenn du nicht meine Dienste benötigst."

Sie lächelt und ihre grün-braunen Augen strahlen mich an.

Oh, diese Nymphe.

„Ich weiß", murmele ich und schaue unangenehm berührt ein paar Zentimeter an ihrem Gesicht vorbei.

„Aber", sagt sie dann und streicht mein Flügelgefieder liebevoll, „ich bin dir natürlich auch nicht böse. Ich weiß am besten, wie viel Arbeit deine Wälder machen."

Erleichtert atme ich aus.

„Ich brauche nach all der Zeit wieder deine Hilfe. Hoffentlich nur für einen Tag."

Sie zieht neugierig die Augenbrauen hoch, aber weiß, dass ich ihr keine Antwort auf eine Nachfrage geben würde. Stattdessen streckt sie mir routiniert ihre Hände entgegen. Ich berühre sie mit meinen Flügeln.

„Danke", sage ich. Dann murmele ich die alten Zauberformeln. Goldenes Licht strömt von meinen Flügelspitzen über ihre Fingerspitzen in ihre Adern, sodass diese leicht golden leuchten.

Sie seufzt andächtig. „Das ist immer wieder beeindruckend."

Ich bedanke mich noch einmal und verabschiede mich. Die Wälder sind für die Zeit, die ich weg bin, in guten Händen.

***

Ich schaue an mir herunter und verdrehe die Augen. Also wirklich. Warum sind Menschen so unfassbar nackt?

„Ohne Menschen gäbe es uns gar nicht", hatte Albar einmal gesagt, als wir gemeinsam in Menschengestalt durch eine größere Siedlung streiften und mal wieder entsetzt vom deren Primitivität waren.

„Das ist ein Gerücht", sagte ich lachend, denn ich war mir sicher, dass es eines war.

Warum sollte es uns nicht geben, wenn es keine Menschen gäbe? Wir waren für die Natur zuständig und Menschen gehörten zur Natur. Albar wiegte den Kopf hin und her.

„Da bin ich mir nicht so sicher. Schließlich existieren wir beide erst, seitdem die ersten paar Menschen hier wandeln."

„Ja, aber es gibt genügend Halbgöttinnen, die schon davor lebten", sagte ich und konnte nicht umhin, ein wenig genervt zu klingen. Ich wollte den Menschen nicht die Macht über meine Existenz geben, nicht einmal hypothetisch.

Bei dem Gedanken an dieses Gespräch, nervt es mich umso mehr, dass mein Oberkörper nun so lächerlich menschlich anmutet. Ich brauche außerdem unglaublich lange, um meine Haare so zu morphen, dass sie mir nicht die ganze Zeit das nackte Gesicht kitzeln. Ich bin definitiv aus der Übung. Wann war ich das letzte Mal in meiner Urform? Oder Mensch? Ich glaube das letzte Mal war tatsächlich einer dieser Ausflüge mit Albar. Denn obwohl wir die Menschen primitiv fanden, waren wir immer wieder der Verlockung ihrer Freizeitaktivitäten erlegen.
Ich schüttele den Kopf, um diese Erinnerungen wieder in eine hintere Ecke meines Kopfes zu verbannen und lasse meinen Blick noch einmal über den Spiegel vor mir schweifen. Immerhin sind meine Beine elegant und flink und das samtbraune Fell geht bis zu meinen Achseln. Immerhin habe ich schöne, große, rehbraune Augen.
Die nackten Arme und der nackte Hals und das nackte Gesicht irritieren mich trotzdem dermaßen, dass ich die nächsten paar Minuten immer wieder überlege, doch als Wölfin bei der Versammlung aufzuschlagen. Ich überlege, ob ich noch irgendetwas packen sollte, aber beschränkte mich auf den Ring, den ich immer an einer unzerstörbaren Kette bei mir führe. Er ist meine Unterschrift, meine magische Quelle. Ich werfe einen letzten Blick auf meine Urform, unterdrücke ein Schnauben und verlasse meine Höhle.

GeriaWo Geschichten leben. Entdecke jetzt