Rede

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Magie mit euch", grüßt eine Halbgöttin links in meinem Blickfeld mit verstärkter Stimme.

Magie mit euch", raunt es aus dem Publikum zurück, was bei der schieren Anzahl von Halbgöttinnen ein beeindruckendes Geräuscherlebnis ist. Meine Ohren zucken, ohne dass ich es verhindern kann.

Der Kreis aus Stühlen bietet Platz für ungefähr zwanzig Halbgöttinnen. Kurz wundere ich mich, warum es nur so wenige sind, da spricht die Vertreterin weiter. Sie ist halb Bär, halb Krokodil und hat dadurch vermutlich schon ohne verstärkte Stimme gute Bedingungen für eine Position als Rednerin.

„Für diejenigen von euch, die heute das erste Mal auf einer unserer Versammlungen sind, eine kurze Erklärung: Wir sind die Magischen Zwanzig, die gewählten Vertreterinnen der gewählten Vertreterinnen der gewählten Vertreterinnen eurer Verbünde. Die Informationen von euch kommen auf dem Weg direkt aus euren Gebieten über eure Vertreterinnen bis zu uns und werden in unseren regelmäßigen Versammlungen besprochen."

Ich kann mir ein Schnauben nur schwer verkneifen. Aus meinem Gebiet ist definitiv niemals irgendeine Information an die Magischen Zwanzig gelangt. Was ist das überhaupt für ein Name? Bin ich in einem Menschentheater gelandet? Aber gut, was erwarte ich von einer Institution, die meine Wälder Rotblattwälder getauft hat. Labu-A neben mir bewegt sich leicht. Hoffentlich nicht wegen meiner Gedanken. Ja, sie hat gesagt, sie ziehe Einsamkeit vor, aber was weiß ich schon? Vielleicht ist die Halbgöttin, die gerade spricht, trotzdem ihre beste Freundin.

„Der Sinn unserer heutigen Versammlung ist der Folgende: Wir sind lange treu an den uns zugetrauten Plätzen geblieben und haben der Natur und den Göttinnen gedient. Doch wohin hat das geführt? Es hat dazu geführt, dass die Menschen sich ausbreiten wie eine Plage, dass sie den Planeten überziehen mit ihren Bauten und Fäkalien. Dass sie unsere Wälder roden, dass sie Steine aus unseren Bergen schlagen. Sie werden immer gieriger."

Ein zustimmendes Raunen aus der Menge. Ich runzele die Stirn. Wovon redet sie? Meine Wälder werden nicht gerodet. Mal hier, mal da wird ein Baum geschlagen, damit die Menschen sich daraus ein Boot oder ein Haus bauen. Sie bleiben im Gleichgewicht mit der Natur. Sie geben zurück. Sie bringen mir und meinen Göttinnen Opfer. Sie sind demütig. Ist das in anderen Gegenden nicht mehr der Fall?

„Unsere Demut hat dazu geführt, dass die Göttinnen ihr Ruder losgelassen haben. Sie denken, wir hätten alles im Griff und sie müssten nichts mehr tun. Sie schwelgen in ihrem Reichtum, in ihrer Macht dort oben und haben die Geschehnisse der Welt aus den Augen verloren. Wir haben uns in eurem Namen an sie gewandt. Sie haben nicht zugehört. Unsere Botin wurde ungetaner Sache zurück geschickt."

Ein paar zornige Schreie erklingen um mich herum. Ich bin verwirrt. Haben die paar Jahrhunderte meiner Zurückgezogenheit wirklich eine so große Wendung im Weltgeschehen gebracht? Wüten die Menschen wie eine Plage Borkenkäfer und sind nur noch nicht bis zu meinen Baumkronen angelangt? Verschließen unsere Göttinnen diesbezüglich wirklich ihre Augen? Irgendwie kann ich das Ganze nicht glauben.

Sie übertreiben, ertönt Labu-As Stimme in meinem Kopf.

Ich dachte, du würdest dich aus meinem Kopf heraushalten.

Ich werfe ihr einen warnenden Blick zu, der vermutlich einfach nur niedlich auf meinem momentanen Gesicht aussieht.

Wie könnte ich, wenn du mir deine faszinierenden Gedanken entgegenschreist?

Meine Wangen werden heiß. Wie gesagt, ich war schon immer schlecht darin, meine Gedanken zu tarnen. Ich sage nichts dazu. Versuche mich wieder auf die Rede zu konzentrieren.

„...an der Zeit, Taten sprechen zu lassen..."

Sie wollen eine Revolution, fasst Labu-A nüchtern zusammen.

Aber. Ich beende den Satz nicht, sondern frage mich immer noch, ob das alles überhaupt stimmt.

Es ist egal, ob es stimmt. Es geht um Macht. Wenn es um Macht geht, werden Fakten gerne mal verdreht.

Kein Wunder, dass du auch Sofia genannt wirst, denke ich mit süffisantem Unterton, so weise wie du bist.

Ihr Lachen rollt rau durch meinen Kopf und sendet mir einen angenehmen Schauer den Rücken hinunter.

„...haben einen Plan erstellt, der einfach auszuführen ist. Wenn wir alle zusammenhalten, können wir die Zeit zurückdrehen und eine Welt erschaffen, in der die Menschen ihren Platz kennen und die Göttinnen aufgewacht sind. Doch dafür brauchen wir wirklich jede einzelne von euch. Wir brauchen euren Mut. Wir brauchen eure Stärke. Wir brauchen euer Durchhaltevermögen. Wir brauchen. Jede. Einzelne. Von. Euch."

Die Sache ist die: Wir haben kaum eine Wahl. Ich konnte die Magie spüren, als ich Albar zustimmte und als ich am Vulkan erschienen bin. Es ist alte Magie, die Magie, aus der wir erschaffen wurden. Die Magie, die uns alle aneinander bindet.
Hätte ich nicht zugesagt, hätte ich eine Chance gehabt dem Ganzen zu entgehen. Diese Chance wäre minimal gewesen, aber es hätte sie gegeben. Wieder habe ich unbedacht gehandelt, wieder bin ich Albars Charme erlegen und zahle den Preis. Die Jahrhunderte haben die Erinnerung an ihr wahres Wesen verschwimmen lassen, ihr Auftritt hat mich an Frieden zwischen uns glauben lassen und eingelullt. Ich hätte auf den Wolfsinstinkt in mir vertrauen sollen, der sich geregt hat, der mich gewarnt hat. Sie hat ihre Schauspielkünste wirklich perfektioniert in der Zeit, in der ich sie nicht gesehen habe. Jetzt habe ich einen magischen Vertrag unterschrieben, nur dadurch, dass ich schwach war und zugesagt habe. Da ich die Zusage schon nicht brechen konnte, habe ich meine Teilnahme an dem Vorhaben besiegelt, indem ich zur Versammlung in dem eng gewebten Netz alter Magie erschienen bin. Sie haben es geschickt eingefädelt. Sie haben uns eine Falle gestellt. Ein Bruch des Vertrages bedeutet Gebietsverlust. Es bedeutet orientierungsloses Umherirren, bis man sich wieder gut gestellt hat. Und das habe ich schon einmal durch. Das möchte ich nicht noch einmal erleben. Ich seufze.

„...lassen euch kurz darüber nachdenken. Magie mit euch."

MAGIE MIT EUCH", tönt es erneut um mich herum, diesmal laut und enthusiastisch.

Die Rednerin scheint also einen Nerv getroffen zu haben.

Wirklich bedauerlich, klingt Labu-As Stimme in meinem Kopf, ich hätte gerne wirklich eine Wahl und nicht nur den Schein einer Wahl.

Ich brumme nur zustimmend. Zumindest bin ich nicht ganz allein mit meinen Gedanken. Doch wir scheinen in der Unterzahl zu sein. Als ich mich umschaue, sind die meisten Halbgöttinnen in freudig aufgeregten Gesprächen vertieft. Ich werfe einen Blick auf das Podium. Albar redet angeregt mit ihrer Nachbarin. Ich bin beeindruckt, wie weit sie es politisch gebracht hat. Beeindruckt und neidisch. Und – wie sollte es anders sein – erneut wütend.

Denn ich bin mir ziemlich sicher, dass ich eine ihrer Sprossen an die Spitze der Leiter war.


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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 23 ⏰

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