Kapitel 2

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Am nächsten Morgen wachte ich kurz vor meinem Wecker auf. Ich war doch ziemlich nervös, da es der erste richtige Arbeitstag in der neuen Kanzlei ist.

Ich zog ein enges weißes Top sowie eine Skinnyjeans an. Über das Top zog ich einen Blazer an. Als ich mich im Spiegel begutachtete um meine dunkelbraunen Haare zusammenzubinden, blickten mir müde grünen Augen entgegen. Gestern saßen wir noch bis nach 23:00 Uhr zusammen, um uns alle bisschen besser kennenzulernen.

Als ich unten in der Küche ankam und mir was zum Frühstück machte, kam meine Mutter. „Willst du das tatsächlich zum ersten Arbeitstag tragen? Zieh doch bitte ein Kleid an. Du weißt doch, der erste Eindruck zählt." „Ich wünsch dir auch einen wunderschönen guten Morgen, Mutter!" erwiderte ich sarkastisch auf ihr Kommentar, dass sie sich sparen konnte. Ich kam noch nie wirklich gut mit meiner Mum aus. Seit sie mich damals im Keller einsperrte, nur weil ich nicht lernen wollte und auch andere Dinge mir antat, war ich nicht gut auf sie zu sprechen. Meine Mum wollte immer, dass ich eine Vorzeigetochter bin, sowie meine Brüder, die beide gut in der Schule waren und sind. Ich dagegen war faul und interessierte mich nicht wirklich dafür. Das einzige Fach für das ich schwärmte war Mathe. Sprachen waren bei mir ein absolutes „No Go".

Wie man es so will, war ich das schwarze Schaf der Familie, die aber ihre Ausbildung hinter sich hatte und sich für ihren jetzigen Beruf extrem begeisterte. Ich wollte nichts mit der Firma meiner Eltern zu tun haben. Ich wollte mein eigenes Leben aufbauen und unabhängig werden. Ob es meiner Familie passte oder nicht.

Auf meine Erwiderung verdrehte meine Mutter nur die Augen und seufzte verärgert.

Nachdem ich fertig war, nahm ich meinen Helm und Rucksack und verließ das Haus. In der Garage stand mein Motorrad. Meine Eltern sind damals extrem ausgeflippt, als ich den Führerschein bestand und mir heimlich eine Kawasaki zulegte. Ich liebe alles, was meine Eltern hassen. Ich ließ mich auch, wie ich 18 wurde, meinen kompletten Arm tätowieren. Mittlerweile habe ich auch meine Beine tätowieren lassen. Das ich überhaupt noch zu Hause wohnen darf und noch nicht rausgeschmissen wurde, wundert mich. Mein Vater drohte mir immer wieder, dass er mich rausschmeißen wird, bislang ist es aber noch nicht passiert.

Als ich auf dem Parkplatz meiner Arbeit ankam, erblickten mich bereits meine Kollegen. Phillip, ein neuer Kollege, kam sofort auf mich zu mit einen anderen Kollegen, dessen Namen ich vergaß, im Schlepptau. „Nettes Bike." „Danke...". „Darf ich mal mitfahren?" fragte er. Ich wusste nicht, ob er tatsächlich Interesse an dem Motorrad hatte oder ob es ein Annäherungsversuch war. „Hmm... irgendwann mal, bei mir geht es derzeit schlecht." Er ließ nicht locker und meinte „für eine kleine  Spritztour hat man doch immer kurz Zeit." „Ich nicht wirklich, ich muss nach der Arbeit lernen oder hab meine Fortbildung." „ Ah oke, sag mir Bescheid, wenn's mal geht. Würd mich freuen."

Wir gingen gemeinsam in die Kanzlei rein. Zum Glück arbeiten die beiden Kollegen im oberen Stockwerk. Sie sahen schon sehr gut aus und waren auch durchtrainiert, aber irgendwie hatte ich keinerlei Interesse, mit ihnen was zu unternehmen.

Nachdem alle Kollegen und Kolleginnen da waren und ich meinen PC startete, wurden kurz die heutigen Aufgaben nochmals angesprochen. Gegenüber von mir saß meine Kollegin Nikki. Wir verstanden uns von Anfang an sehr gut, sodass wir gestern bereits beschlossen, dass wir Nachbarn werden. Nikki war eine sehr gesprächige Person. Sie wusste über jeden Kollegen, Anwalt und Mandant etwas. Sie war auch dementsprechend neugierig.

Ich ging mit ihr in die Küche um uns einen Kaffee zu machen. „Ich hab gehört, dass du dich bereit erklärt hast, für die Rabe zu arbeiten. Ich sag nur, viel Spaß mit der." „ Hä, wieso? Ist die so schlimm?" Nikki prustete und meinte „du wirst den Teufel höchstpersönlich heute begegnen. Aber was ich sagen muss, sie ist echt heiß, obwohl sie so scheiße ist."

Oh man, was tu ich mir da schon wieder an, dachte ich mir. Ich war immer so dumm, zu jedem ja zusagen. „Danke für deine Info, Nikki. Melli meinte gestern, dass sie es so einschätzt, dass ich mit ihr keine Probleme haben werde".

„Naja, wir werden schon sehen. Der Teufel macht seine Arbeit schon gut, aber was er manchmal von den Angestellten verlangt, geht gar nicht. Wie ich hörte, machst du ja den Rechtsfachwirt. Vielleicht hilft dir dann die Fortbildung, dass die Rabe bisschen besänftig wird."

Ich zerbrach mir nun den Kopf und malte mir jegliche Szenarien aus. Als ich ein Teil meiner Aufgaben erledigte, kam Frau Klein, die ich auch mit ihren  Vornamen, Anne, ansprechen durfte, zu mir. Sie übergab mir paar Schreiben, die ich Auslauf fertig machen soll. Diese gingen an unterschiedliche Straftäter, die derzeit in der Justizvollzugsanstalt einsaßen, weil sie Menschen missbraucht haben oder sogar schlimmer.

Strafrecht war extrem interessant, vor allem, wenn man Dinge haut nah mitbekam.

Ich war gerade so extrem in einem Schriftsatz vertieft, als sich jemand neben mir räusperte. Ich erschrak und sah zu der Person neben mir hoch.

Eine Frau, ich schätzte sie auf 28 Jahre, stand dort. Sie hatte rabenschwarze Haare, die ihr im gewellten Zustand zur Brust reichten. Ihre Augen ergaben dagegen einen starken Kontrast, da diese hellblau oder grau waren mit einem dunklen Ring drumherum. Sie hatte hohe Wangenknochen und ein leicht kantiges Gesicht.

Es schüchterte mich ein und gleichzeitig war ich so geflasht von ihrer Ausstrahlung. Ich bin noch nie so einer schönen, aber gleichzeitig beängstigenden Person begegnet.

Auf einmal schnipste sie mit ihren Fingern vor mir und ich erschrak mich erneut. „Du bist die Neue, die für mich jetzt zuständig ist?" „Ähh...ich denke schon. Es hieß, dass ich ab heute für Frau Rabe arbeite."

Sie lächelte kurz und meinte dann wieder monoton „Ja, ich bin Frau Rabe. Lucy Rabe."

Brief an das LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt