Kapitel 7

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Ich überlegte kurz, wie ich mich jetzt rausreden konnte bzw. wie viel ich preisgeben kann ohne das jemand drauf kommt, wen ich gut fand. Die beiden sahen mich bereits erwartungsvoll an. „Das möchte ich nicht sagen."

„Ach komm schon, wer A sagen kann, kann auch B sagen" meinte Nikki schnippisch. Wieso musste sie das jetzt bringen. Vielleicht locke ich die beiden einfach auf eine falsche Fährte, dann werden sie schon aufhören Fragen zu stellen.

„Naja, es ist mein bester Freund. Er versucht derzeit sein Glück bei einem Mädchen aus unserer Clique. Um ehrlich zu sein, er versucht sie schon fast seit 5 Monate von sich zu beeindrucken, weil er sie mag."

„Und deshalb hast du jetzt so ein Drama gemacht" meinte Nikki skeptisch.

„Ich versteh sie schon. Ich erzähle den Leuten in der Arbeit  auch ungern etwas über private Dinge. Es kann oftmals gegen einen verwendet werden."

Nikki rollte nur genervt die Augen auf das Kommentar von Lucy. Schnell überging sie das Ganze und wollte nun ein Bild von meinem Freund sehen. Zum Glück war Benni tatsächlich mein bester Freund und sah zu dem auch noch ziemlich gut aus.

Benni war ein groß gewachsener Kerl mit hellgrünen Augen und dunkelbraunen Haaren. Er selbst legte viel Wert auf sein Auftreten und seine Outfits. In seiner kleine Wohnung hatte er bereits zwei Kleiderschränke und eine Kleidungsstange, da der Platz für einen weiteren Schrank nicht ausreichte.

Ich holte nun mein Handy raus und rief auf Instagram das Profil von Benni auf.

„Du willst mich doch verarschen. Das soll dein bester Freund sein?! Kein Wunder das du ein Auge auf ihn geworfen hast." Nikki hob dabei mehrmals ihre Augenbrauen.

"Sieht nicht schlecht aus", meinte Lucy trocken. "Nicht schlecht?! Mach doch mal deine Augen auf, dass ist eine echte Augenweide! Ich glaub, du hast eine Geschmacksverirrung." regte sich Nikki über Lucy auf.

Als die beiden sich über den Geschmack stritten, versank ich wieder mal in meine Gedanken. Es passierte mir in den letzten Tag, seit ich in der neuen Kanzlei bin, ständig, dass ich sogenannte "Zoom outs" hatte. Ich konnte mich meistens gar nicht mehr erinnern, über was ich gerade nachgedacht hatte, sobald ich wieder in der Realität gelandet bin. Ich ging davon aus, dass es etwas mit meiner Vorgesetzten zu tun hatte.

"Weilst du noch unter den Lebenden, Charlie?"

Eine vor meinem Gesicht schnippende Hand ließ mich aufschrecken. "Ja. Ja, klar. Was ist los?".

"Ich hab dich gefragt, was du dazusagt, wer den besseren Geschmack von uns beiden hat." Nikki zeigte zwischen sich und Lucy hin und her.

"Ich halte mich da lieber raus. Sonst ist man immer der Idiot."

"Gute Entscheidung, Charlie. Sieh her, Nikki, deine Kollegin weiß wenigstens, wie man sich klug verhält." Lucy streckte dabei Nikki die Zunge heraus.

Die beiden verhielten sich so, als würden sie sich schon seit Ewigkeiten kennen, dabei hat Lucy ihr erst gestern das "Du" angeboten. Ich war irgendwie neidisch, dass die beiden miteinander so locker umgehen konnten und nur ich hatte mal wieder diesen "beschissenen Stock in meinem Arsch".

Weshalb konnte ich nie ich selbst sein, bei Personen die ich mochte. Ich verstellte mich seit der 7. Klasse gegenüber meinen Freunden, Bekannten und Fremden. Lediglich zu Hause konnte ich, ich selbst sein. Aber nicht einmal da, konnte ich mich wirklich durchsetzen. Sobald meine Mom mir etwas anschaffte und ich mich weigerte, es zu machen, weil ich zu wenig Zeit hatte, zeigte sie mir so lange die kalte Schulter, bis ich es doch tatsächlich machte. Es regt mich so tierisch auf, dass ich immer zu allem "Ja" sagte. Ein "Nein" gab es bei mir nur selten.

Meine Omi sagte immer, dass ich ein Herz aus Gold hätte. Ich würde eher sagen, dass ich einfach nur dumm bin. Meine Nettigkeit nutzten sehr viele aus und erst zum Ende überriss ich es, dass ich mal wieder übers Ohr gehauen wurde.

Aber genug von mir. Als sich die beiden wieder abgeregt hatten, war bereits die Mittagspause zu Ende. Nikki ging bereits vor in unser Büro, da ich mir noch kurz einen Kaffee machen wollte.

Während der Kaffee durchlief, lehnte ich mich an die Fensterbank und machte mir einen Kopf über die heute fälligen Fristen. Wieder einmal vertieft in meinen Gedanken, bemerkte ich nicht, dass hinter mir die Tür aufging.

Ein gut gelaunter Philipp kam rein und ich erschrak gerade zu. "Nah, alles klar bei dir?" wollte er wissen.

Ich nickte nur, da ich keine Lust hatte, mit ihm Smalltalk abzuhalten. "Hast du gestern deine Getränkewahl noch überlebt oder einen ordentlich Kater erwischt?"

"Hab's überlebt, war ja nicht all zu viel." meinte ich daraufhin.

"Wenn du meinst. Ich hätte wahrscheinlich meinen Kater des Lebens. Habe mitbekommen, dass du gestern von der Rabe noch heimgefahren wurdest."

"Mhm... und?"

"Wie fährt sich's in ihrem Auto? Solche Gelegenheit bekommt nicht jeder mit einem Mustang Shelby mitzufahren."

"Was soll ich jetzt da zusagen? Keine Ahnung kann mich nicht wirklich dran erinnern? Sorry Philipp ich muss jetzt arbeiten." warf ich ihm genervt zu und schnappte mir meinen Kaffee bevor ich aus der Küche flüchtete.

Noch ein so unnötige Gespräch heute und ich mach Feierabend. Soll er sie doch selbst fragen, ob er bei ihr mitfahren kann.

Nach meiner Pause hat sich nicht viel geändert an meiner Laune. Ich war müde und genervt. Als ich unten an meinem Schreibtisch ankam, klebte ein Notizzettel auf meiner Tastatur. Darauf stand, dass ich bitte nochmals ins Büro von Frau Rabe kommen soll zwecks einer Aktenbesprechung.

Als ich oben ankam, klopfte ich einmal kurz an der Tür und trat ein. Der erste Kommentar "Du musst nicht klopfen, du kannst jederzeit reinkommen".

"Okeyyy. Du wolltest mich wegen einer Akte sprechen."

"Ja, um ehrlich zu sein, versteh ich da etwas nicht. Es geht da um den Mord von der lebendig begrabenen Frau. Hier sind Videodateien in der Akte, die sich aber nicht öffnen lassen. Kannst du mal kurz rumkommen und dir das ansehen."

Ich ging um ihren Schreibtisch. Da der Schreibtisch ziemlich nah an der Wand steht, weil das Büro von ihr so klein war, passte ihr Stuhl rein, aber wenn man hinter den Stuhl ging, schliff man an der Wand.

Um mir einen Überblick über die Akte in ihrem PC zu verschaffen, musste ich näher an sie rücken als gewollt.

"Kannst du mal mit dem rechten Mausklick auf diese Datei gehen?" Ich zeigte auf ihre Maus, die ich nicht erreichen konnte sowie auf die Datei im Monitor.

"Könntest du das nicht schnell für mich lösen?" Sie stand auf und zeigte auf ihren Platz, damit ich mich setzte, was ich auch tat. Sie selbst stellte sich genau hinter mich, sodass ein schnelles entkommen nicht möglich ist.

Ich öffnete ihr die Videodateien. Diese waren nur mit einem Passwort von der Staatsanwaltschaft verschlüsselt, damit die Videos von neugierigen Menschen enthalten bleiben. Das Passwort selbst kannte nur ich, die Staatsanwaltschaft und eigentlich sollte es ebenfalls die zuständige Anwältin es wissen.

Als die Videos entschlüsselt waren, meinte ich zu ihr "so, das war's, du kannst jetzt die Videos ansehen." Sie selbst blieb jedoch weiterhin hinter dem Stuhl stehen. Ich drehte mich leicht um, als sie sich bereits vorbeugte um nach der Computermaus zu greifen und eines der Videos anzuklicken.

Sie meinte dann "Du kannst gerne hierbleiben und mit mir die Aufnahmen ansehen. Vier Augen sehen besser als zwei, oder nicht?"

Super, was mach ich jetzt? Die Nähe zu der Junganwältin war viel zu viel und verwirrte mich.

Sie stellte sich nun neben mich und stützte sich mit ihren Ellbogen auf den Tisch um besser in den Bildschirm zu sehen. Ich hoffte, dass diese Aufnahmen nicht all zu lange dauern, ansonsten würde ich das nicht überleben.

Brief an das LebenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt