Kapitel 7

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Gruul hatte sich in seinem Leben noch nie so unbehaglich gefühlt: Eine Weißhaut, ein Vertreter der ihm verhassten Rasse, spazierte mit ihm durch die Straßen dieser Menschenstadt, seinen Arm um die Schultern des Orks gelegt. Mit einem breiten Lächeln grüßte diese durch und durch merkwürdige Gestalt jeden Passanten, dem sie begegneten. Manche, seien es sehr lustig gekleidete Personen oder kleinere Menschengruppen, wurden sogar in ein Gespräch verwickelt, wobei der ahnungslose und perplex dreinschauende Gefangene immer einbezogen wurde. Den meisten von ihnen war derselbe Gesichtsausdruck anzusehen wie Gruul: Sie waren vollkommen überfordert von dieser abstrusen Situation.

Gruul fühlte sich wie ein Tier auf dem Präsentierteller, begafft von neugierigen Augen. Der Kontakt des Menschenarms auf seiner Schulter brannte auf seiner Haut, als würde der bloße körperliche Kontakt ihn erniedrigen. Während die Passanten angesichts des nicht gefesselten Orks im Arme eines Menschen offenkundig zwischen Angst, Unglaube und Neugier schwankten, sahen die Gedankengänge ihres Gegenübers etwas anders aus. Gruul versuchte, sich einen Reim auf die Situation zu machen. Der Kontrast zu seiner bisherigen Behandlung verwirrte ihn zutiefst. Was geschah hier nur? Was bedeuteten die Worte dieses Mannes? Hatte er ihn wirklich richtig verstanden, als ihm Freiheit versprochen wurde? Diese zwar sehr unklar gesprochenen, aber definitiv orkischen Worte schwirrten vor Gruuls geistigem Auge wie eine nervige Fliege. Die Fluchtpläne, an denen der junge Ork bereits etwas gearbeitet hatte, wurden durch seinen neuen Besitzer ebenso verkompliziert. Eines war gewiss: Er musste bei diesem Schauspiel vorerst mitmachen und seine Lage neu evaluieren.

Die Straßen der Stadt waren ein Labyrinth aus fremden Gerüchen und Geräuschen, die Gruuls Sinne überfluteten. Gewisse Gassen und Winkel dieser Stadt schien Gruuls Begleiter mit voller Absicht zu meiden. Hier war wohl ein besseres Publikum, vermutete der gefangene Ork. Eines, das nicht dazu neigte, mit Steinen zu werfen. Obwohl Gruul dies als Schutzmaßnahme des Menschen interpretierte, fühlte er sich dadurch auch eingeschränkt. Sein Wunsch, auf die Menschen loszugehen und sie zu töten, brodelte in seinem Inneren und würde in nächster Zeit bestimmt auch nicht verschwinden. Der Griff um Gruuls Nacken verstärkte sich und er spürte den Blick dieser seltsamen Weißhaut. Schockiert davon, dass er seine Fantasien und Gedanken nicht vor den Anwesenden verborgen, sondern sich ihnen hingegeben hatte, beruhigte Gruul seinen Geist.

Nach einem etwa einstündigen Spaziergang durch die Stadt, welcher den verletzten Ork nicht nur körperlich, sondern auch geistig zugesetzt hatte, erreichte das ungleiche Paar ein dreistöckiges Gebäude im Herzen der Stadt. Auch, wenn es nicht mit den verzierten Wohnhäusern, an denen er an diesem Vormittag vorbeigekommen war, mithalten konnte, so erstaunte es den unerfahrenen Ork trotzdem ungemein. Er konnte sich nicht erinnern, jemals ein Gebäude von solcher Größe gesehen zu haben. Neugierig drehte sich Gruul im Kreis, alles genau analysierend; sein Käufer gewährte ihm diese Bewegung mit einem Lächeln. Vor diesem Gebäude befand sich ein großer Platz, auf dem Händler unter lautem Geschrei versuchten, ihre Waren loszuwerden. Warum sie sich so große Mühe gaben, verstand Gruul nicht: Der Platz war immerhin berstend voll mit neugierigen Weißhäuten.

Das Gewimmel, die fremden Gerüche und die ungewohnte Lautstärke überwältigten Gruul. Jeder Schritt durch diese Menschenstadt war eine Herausforderung für seine Sinne. Das Gebäude selbst fiel nicht nur durch dessen drei überdurchschnittlich hohen Stöcke auf, sondern auch aufgrund der zahlreichen Arbeiter, die dort ein und aus gingen, Waren transportierten oder mit anderen Tätigkeiten beschäftigt waren. Gruul konnte die Energie und Geschäftigkeit spüren; es war eine andere Art des Lebens, eine andere Dynamik, die ihn gleichzeitig anzog und abstoßend wirkte. Dieser Anblick war vollkommen neu für den jungen Ork, der ein komplett anderes Leben und Arbeitsweise gewohnt war. Dennoch pochte die Neugier in Gruuls Herzen und auch wenn er sich dafür hasste, war er von dieser Welt beeindruckt. Er war wohl bereits zu lange mit Staunen beschäftigt, denn sein Käufer schob ihn mit einer Hand in das Innere dieses Bauwerks.

Orkblut und Menschenherzen: Ein Ork im Haus der MenschenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt