Kapitel 1

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Jeder Muskel in meinem Körper war angespannt. Starr war mein Blick auf einen unsichtbaren Punkt in der Luft gerichtet. Meine Augen strahlten nichts als emotionslose Gleichgültigkeit aus.
Doch obwohl ich mich nicht bewegte, nahmen meine Sinne alle Eindrücke des kahlen Platzes auf.

Mit der Größe eines ganzen Flugzeughangars schien sich der raue Beton in endlose Weiten zu erstrecken. Doch der feine Unterschied war, dass die eintönige Fläche nicht von Flugzeugen, sondern jungen Menschen in graubraunen Militäruniformen gefüllt war, und sich auf dem Untergrund verdächtig braune Flecken befanden, die von vergossenem Blut zeugten. Gedimmtes Licht aus Leuchtstoffröhren, die an Drahtseilen von der hohen Höhlendecke hingen, erleuchteten mein Umfeld.

Die Luft war von dem Geruch von Schweiß und Angst erfüllt. Aus dem Augenwinkel konnte ich einzelne Schweißtropfen auf den Stirnen der anderen Rekruten erkennen.
Sie waren nervös. Natürlich. Diese Begutachtung würde über den weiteren Verlauf ihrer Karriere entscheiden.
Bewegungslos standen sie in Reih und Glied, niemand wagte, auch nur einen Muskel zu rühren.
Die Kommandanten zogen mit grimmigen Mienen ihre Kreise um die angehenden Soldaten, wie ein Rudel Wölfe eine Herde Schafe umringte, um die kranken und schwachen Tiere herauszupicken.
Und genau genommen taten sie gerade exakt das. Sie suchten die heraus, die auch nur ansatzweise auf die Musterungen reagierten und filterten so die Unfähigen aus der Masse.

Also warum war ich nicht beunruhigt?
Ganz einfach. Ich wusste, dass sie mich nehmen würden. Ich war mehr als ausreichend ausgebildet und kampferprobt, dass mich ihre stechenden Begutachtungen völlig kaltließen. Sie kannten meine Vergangenheit nicht, so wie ich ihre nicht kannte. Nur konnte ich ohne mit der Wimper zu zucken sagen, dass meine um Weiteres finsterer aussah, als die ihre.
Außerdem bewarb ich mich nicht für den Posten als Soldat, oder auch Kanonenfutter, je nach dem wie man es nahm, sondern um die Position als Bodyguard. Allein so würde ich in den Palast gelangen.
Ich - und meine Teammitglieder. Bei diesem Gedanken musste ich ein verächtliches Schnauben unterdrücken.
Als ob ich diesen Job nicht problemlos alleine erledigen könnte!
Statt mich also als Einzelperson auf den Auftrag zu schicken, mussten sie natürlich noch ein komplettes Team aus sechs Personen, mich eingeschlossen, zusammenstellen, da es ja sonst zu riskant sei, jemanden auf der Mission zu verlieren.
Allerdings musste ich zugeben, dass sie sehr fähig waren. Und als zusätzlichen Pluspunkt befand sich ebenfalls mein bester Freund unter ihnen. Besagter zwinkerte mir in einem unbeobachteten Moment heimlich verschwörerisch zu, was mich beinahe zu einem Grinsen bewegte. Stattdessen blinzelte ich nur zweimal zum Zeichen, dass ich seine kleine Geste zu schätzen wusste. Wir verständigten uns meistens stumm, was in solchen Situationen ganz praktisch war.

Seine Aufmerksamkeit wandte sich wieder von mir ab, als ein Kommandant unsere Reihe passierte. Auch ich starrte aufs Neue ins Nichts.
Durchdringend analysierte der mittelalte Mann zuerst meinen Freund, dann mich.
"Namen", sagte er monoton.
Innerlich grinste ich triumphierend. Wir hatten unser erstes Ziel erreicht.
"Cade Devon"
"Lyanna Blackcliff"
Der Mann nickte.
"Folgen Sie mir"

Gleichzeitig traten wir aus der Reihe. Mit uns verließen auch einige andere Rekruten die Formation und durchschritten die große Höhle. Teilweise konnte ich Geflüster unter den Übriggebliebenen hören. Missbilligend zog ich eine Augenbraue leicht hoch. Und solche Leute, die nicht einmal eine Stunde still stehen konnten, dachten tatsächlich, sie hätten eine Chance, aufgenommen zu werden.

Aber hier konnten sie sich so etwas schließlich erlauben. Auf dieser Seite der Erde kämpften sie nicht die ganze Zeit darum, die nächste Mahlzeit auf den Tisch zu bekommen.
Sie brauchten keine Angst vor Überfällen durch verzweifelte Menschen, die genauso wenig besaßen, wie man selbst, zu haben.
Sie lebten in Sicherheit und Wohlstand, denn ihre Städte waren noch intakt, wenn auch unter die Erde verlegt, wegen der heftigen Strahlung der Sonne.
Sie hatten genug Ressourcen, um ihre gesamte Bevölkerung durchzufüttern, während die Menschen auf der dunklen Seite unter Mangel litten.

Shattered NightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt