Kapitel 4

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Rhythmisch trommelten meine Schritte auf dem Stein, während ich geradezu darüber hinwegflog. Der Gang war schmal und das Deckengewölbe hing nur knapp über meinem Kopf, weshalb ich mir vorstellen konnte, dass die Leute hinter mir Probleme damit bekommen konnten.
Wie erwartet ertönten bereits die ersten Flüche und Schmerzenslaute.
Mit meinen ein Meter zweiundsiebzig war ich eigentlich ganz zufrieden, doch jetzt machte es tatsächlich einen himmelweiten Unterschied, ob ich fünf Zentimeter größer wäre oder eben nicht. Malakai hatte bestimmt seine Schwierigkeiten.

Das schummrige Licht der LED-Lampen, das notdürftig die Schwärze in dem Tunnel vertrieb, flackerte unheimlich. Die schwere Luft war erdrückend, meine Lungen rangen nach Sauerstoff, der in den anderen angereicherten Gasen, mit denen die Atmosphäre geschwängert war, unterging.

Einige Minuten, die sich scheinbar ewig in die Länge zogen, rannte ich durch den Tunnel. Langsam wurde es immer heller, was wohl bedeutete, dass ich mich seinem Ende näherte. Das Licht wurde mit jedem Schritt gleißender, weswegen ich meine Hand hob, um meine Augen vor der plötzlichen Helligkeit zu schützen.
Dadurch verpasste ich den Moment, als ich die Enge des Durchgangs verließ und in eine gigantische Höhle stolperte. Ich hatte mich noch nicht ausreichend an die Einstrahlung gewöhnt und so übersah ich, dass der Boden vor mir mit einem Mal nicht mehr vorhanden war. Mir blieb nicht einmal mehr die Zeit zu schreien, bevor ich auch schon ins Leere trat und stürzte.

Geschockt riss ich die Augen auf, mein Gehirn konnte nicht begreifen, was gerade geschah. Fiel ich? Würde ich sterben? Warum spürte ich keinen Luftzug? Warum näherte sich mir der Boden des Abgrundes nicht? Perplex hob ich den Kopf.
Und ich vergaß um ein Haar, zu atmen.

Strahlend grüne Augen bohrten sich in meine. Iriden, so grün wie die Wälder, die auf dieser Erde so selten geworden waren.
Für die Dauer eines Wimpernschlags verlor ich mich in ihnen, sog ihre Schönheit wie eine Verdurstende in mich auf.
Dann war dieser Augenblick vorüber. Ich blinzelte.
Ein missbilligender Ausdruck bildete sich auf dem Gesicht meines Retters.
"Hast du Todessehnsucht oder so?", fragte Ray in einem abwertenden Tonfall.

Sprachlos starrte ich ihn an. Ich war keineswegs auf den Mund gefallen, aber diese Situation im Zusammenhang mit der Nahtoderfahrung brauchte etwas länger, um verarbeitet zu werden.

"Ich hätte dich einfach in dein eigenes Verderben rennen lassen sollen!", zeterte er weiter.
"Im Ernst, wie kannst du nur für diese Mission ausgewählt worden sein? So unvorsichtig, wie du allem Anschein nach bist?"

Mit einem Schlag machte es Klick in meinem Kopf.
Offenbar zog sich eine Schlucht durch diese Höhle. Und ich war drauf und dran gewesen, mitten hineinzurennen. Innerlich gab ich mir eine Backpfeife für diese Unachtsamkeit. Und ausgerechnet Ray musste mich ja retten.
Seine Standpauke konnte mir jetzt gerade wirklich gestohlen bleiben.

"Ja okay, ich hab's verstanden", zischte ich aufgebracht.
"Würdest du mich jetzt bitte endlich hochziehen?"

Er schien nicht mit einer Erwiderung gerechnet zu haben, denn er reagierte erst, nachdem ich mit der freien Hand, an der er mich nicht festhielt, vor seinem Gesicht herumwedelte. Daraufhin knurrte er unzufrieden und murrte irgendetwas davon, warum ausgerechnet ich mit in diesem Team sei und einige andere unverständliche Dinge.

"Sei froh, dass wir es uns nicht leisten können, auch nur ein Mitglied zu verlieren, kapiert?", führte er seine Tadelung weiter, sobald ich wieder festen Boden unter den Füßen hatte.

Ich blendete seine Worte aus, einfach darüber erleichtert, nicht mehr hilflos über dem Abgrund zu baumeln. Es war schrecklich, nichts ausrichten zu können.
Ich verabscheute dieses Gefühl. Diese Abhängigkeit. Sie ließ einen schwach erscheinen. Hilfsbedürftig. Unnütz.
Ich hasste es, nicht die Oberhand zu haben. Die Kontrolle über eine Situation zu verlieren.
Es fiel mir schwer, anderen zu vertrauen. Daran zu glauben, dass sie mir halfen, mich nicht verrieten, mich nicht ausnutzten.

Shattered NightWo Geschichten leben. Entdecke jetzt