Der Abschied

4 0 0
                                    


Der Abschied

Die Tage vergingen. Ab und an überprüfte Nika neben dem Postkasten vor seinem Haus auch jenen in Bajard und die Truhe im Kistenkeller, doch blieb eine Antwort aus. Vielleicht hatte Rowena endlich Vernunft angenommen und beschlossen, ihn aus ihrem Leben zu schneiden? Er verwarf den Gedanken rasch wieder.

An einem frühen Abend schwang er sich auf Rehja und ritt nach Junkersteyn zu ihrem Hof. Er konnte auf den ersten Blick sehen, dass etwas nicht stimmte. Nicht, dass es unordentlich gewesen wäre, doch waren die Tiere unruhig, sie wirkten ausgezehrt und dreckig. Eine einzelne Spinnwebe glitzerte in den letzten Sonnenstrahlen des Tages vor der Eingangstür des Hauses. Nika war sofort klar, dass ihr etwas passiert sein musste. Niemals würde sie die Tiere hungernd zurücklassen. Die Durchsuchung des Hauses erbrachte nichts. Alles war an seinem Platz, auch ihre Kleidung. Neben der Spüle stand noch eine dreckige Pfanne. Es wirkte, als wäre sie nur für eine Weile zur Tür hinaus, doch als wäre diese Weile sehr viel länger geworden als geplant. Bevor er den Hof verließ, fütterte er die Tiere. Noch wusste er nicht, dass er den Ort, an dem er so viel Zeit verbracht hatte, nie wieder betreten würde ...

Nachdem Nika Fabiennes Hof in Schwingenstein eine Weile beobachtet hatte und er sicher war, dass Rowena nicht bei ihrer Freundin untergekommen war, blieb nur ein Rückschluss: Sie hatte es ihm selbst geschrieben, sie musste irgendwo da sein, wo sie am liebsten war. Zunächst folgte er der Küste von Junkersteyn aus in beide Richtungen, durchsuchte die nächsten Waldränder und -lichtungen und weitete den Radius immer weiter aus. Am Abend des zweiten Tages seiner Suche fand er sie.

Rowenas Körper lag halb verdeckt von einigen Ästen, die jemand über sie geworfen hatte, ausgestreckt auf dem Waldboden. Auf dem roten Kleid, das er ihr geschenkt hatte und das sie immer trug, waren die rostfarbenen, getrockneten Blutflecke kaum auszumachen.


Die blonden, langen Haare umrahmten ihr vertrautes Gesicht. Wären ihre Augen nicht offen gestanden, hätte man denken können, sie ruhe sich nur aus. Nika sank neben ihr auf die Knie und legt sich die Hand über die Augen. Zahlreiche Gedanken schossen ihm durch den Kopf, doch blieb keiner lange genug, um ihn zu greifen. Schwarze Haare auf dem Boden ausgebreitet, leere, graue Augen.


Er zwang seinen Atem unter Kontrolle, brachte dann aber nur ein gepresstes „Scheiße" hervor. Eine Weile verharrte er reglos neben ihrem Körper, ehe er etwas gefasster die Hand sinken ließ und den Blick wieder auf ihre Züge richtete. Nika schloss ihr die Augen.

„Rowena, es tut mir leid. Ich denke, ich schulde dir diese Entschuldigung", sprach er dann an die Ohren, die ihn nicht mehr hören konnten und fuhr über die Wange, die das nicht mehr spüren konnte. „Ich habe dir immer gesagt, ich bin nicht gut für andere, aber du wolltest lieber an das Gute glauben. Ich weiß, ich bin nicht schuld an dem, was dir nun passiert ist, aber ... vielleicht wäre dein Leben anders verlaufen, wenn wir uns nicht begegnet wären ... Oder wenn ich dich hätte gehen lassen. Vielleicht hättest du dann einen Mann gehabt, der dich besser beschützt hätte." Er strich ihr eine Haarsträhne aus der Stirn. „Ich hoffe ... wo auch immer du nun bist, bist du unbeschwerter als du es hier sein konntest und du fühlst nicht mehr das Gewicht, das dich hier niederdrückte. Ich bewahre dich in meiner Erinnerung, versprochen. Mit all den anderen, die verschwinden. Ich vergesse euch nicht ... bis wir uns irgendwann wiedersehen.

Rowenas Abenteuer - Auf unsicheren PfadenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt