Prolog

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꧁✧⭑✩⭑⚔︎⭑☾ Prolog ☽⭑⚔︎⭑✩⭑✧꧂

„Und du bist dir ganz sicher?", krächzte die Stimme des Alten durch die Dunkelheit. 

Die Worte hallten furchterregend von den feuchten Höhlenwänden wider. Ein Schauer kroch über den Rücken des Jungen, während er die sich drehenden Zahnräder der bronzenen Taschenuhr in seinen zitternden Fingern betrachtete. Für einen Moment zweifelte er an seiner Idee, doch besann er sich sofort wieder. Wenn niemand ihn so liebte, wie er war, dann hatte er keine andere Wahl. Er musste sein Schicksal, seine Zukunft und sein Leben selbst in die Hand nehmen.

Entschlossen umgriff er die Uhr mit den Fingern und blickte auf, direkt in die milchigen Augen des Greises. „Ich bin mir sicher!", antwortete er mit gefestigter Stimme und strich sich dabei eine schwarze Haarsträhne hinters Ohr.

„Nun gut, Junge. Dann soll es so sein." Der dürre Mann mit dem weißen schütteren Haar kam ächzend näher. Die Kleider hingen wie Lumpen an seinem ausgemergelten Körper und gaben einige Blicke auf seine bleiche tote Haut frei. Zermürbend langsam streckte er seine knöcherigen weißen Finger aus.

Der Junge hielt die Luft an, verfolgte die feingliedrigen Auswüchse mit den Augen, bis der lang gewachsene gelbliche Fingernagel seine Brust berührte. Erschrocken sog er die Luft in seine Lungen, doch fing er sich sofort wieder. Es würde alles gut werden, redete er sich ein.

Der Greis schloss die Augen. Unzusammenhängende Silben verließen murmelnd seine spröden Lippen, als ihn plötzlich ein schimmerndes weißes Licht umgab. Das Murmeln wurde lauter, dehnte sich aus zu einem markerschütternden Schreien und verschmolz mit dem Echo der Höhlenwände zu einem unheimlichen Singsang. Er riss seinen Mund dabei weit auf, zeigte seine verfaulten Zähne. Ein unangenehmer Geruch nach Tod und Fäulnis fand einen Weg in die Nase des Jungen. Angeekelt versuchte er sich nichts anmerken zu lassen, während sich der lange Fingernagel in seine Brust bohrte.

Er wartete gespannt darauf, was nun passieren würde. Erst merkte er nichts, doch dann spürte er eine Wärme in seiner Brust. Es war angenehm, wie die ersten Sonnenstrahlen im Frühling auf der Haut, doch auf verzehrend langsame Art entwickelten sie sich zu einer unaushaltbaren Hitze. Niemals hätte er gedacht, dass er für seinen Wunsch solche Schmerzen erdulden müsste. 

Es fühlte sich an, als würde er innerlich verbrennen. Das Feuer stieg ihm ins Gesicht, in die Gliedmaßen, doch am stärksten brannte es in seiner Brust. Als würde sich ein Messer in sein Fleisch schneiden und sein Herz herausreißen. Er unterdrückte ein Keuchen, ertrug den Schmerz tapfer, obwohl jede Faser seines Körpers ihn anflehte, sich zu wehren oder aufzugeben. Er kniff seine Augen zusammen und hoffte, dass er es überleben würde.

Dann war es vorbei. Von einer Sekunde auf die andere war der höllische Schmerz wie weggeblasen. Das Feuer war gelöscht. Der Junge öffnete die Lider. Seine Augen fanden ein waberndes rosa Etwas, das sich zwischen den knochigen Fingern des Alten bewegte. Es schien so, als ob das Ding dem Greis entkommen wollen würde, doch dieser hielt es fest in seinem Griff. Es erinnerte den Jungen an die kleinen bunten Vögel, die überall im Palast in den viel zu beengten Käfigen festsaßen und ihr trauriges Lied sangen.

„Zeig mir die Uhr", befahl der Alte. Der Junge schlotterte am ganzen Körper, als er die Hand mit dem Schmuckstück anhob. Sie schien plötzlich unglaublich schwer geworden zu sein. Oder war er einfach nur schwächer geworden, so schwach wie noch nie zuvor? So war das nicht abgemacht, dachte er. Er sollte doch eigentlich stärker werden.

Der Alte zupfte ein Stück von dem wabernden Etwas ab, als wäre es rosa Zuckerwatte, musterte die fein verzierte Taschenuhr in der Hand des Jungen und drückte dann den rosa Fetzen auf die bronzene Ornamentik. Es zischte und Funken stoben durch die Luft. Die Uhr wurde heiß und fast hätte der Junge sein Erbstück fallen lassen, doch dann hob der Alte seine Hand und gab den Blick frei auf sein Werk. 

Mitten in der verschnörkelten Bronze funkelte ein blutroter Rubin. Erstaunt streifte der Junge mit den Fingerspitzen über den Edelstein, der immer noch ganz warm war. Dann wandte er sich wieder dem Alten zu, der gerade dabei war, den Rest der rosa Zuckerwatte zu seiner eigenen Brust zu führen. Das weiße Glühen, das ihn immer noch umgab, verfärbte sich rosa. Mit Erschrecken beobachtete der Junge das Wundersame, was nun direkt vor seinen Augen geschah. 

Der altersschwache und gebrechliche Körper richtete sich plötzlich auf. Die dürren Glieder wurden stämmiger. Muskeln und Fleisch wuchsen unter der rosig werdenden Haut, die sich eben noch wie bleiches Pergament um die Knochen gespannt hatte. Die weißen Haare verfärbten sich von der Wurzel an in ein sattes Schwarz und dunkle Bartstoppeln sprießten aus dem markant gewordenen Kinn. 

Wo eben noch ein alter gebrechlicher Greis gestanden hatte, erhob sich nun ein muskulöser Mann mit dunklem Haar, sicher nicht älter als die Eltern des Jungen selbst.

Doch das einzige, an was der Junge denken konnte, war es, betrogen worden zu sein. Ihm war doch Stärke versprochen worden, stattdessen konnte er sich inzwischen kaum mehr auf den Beinen halten. „Was ist mit meinem Teil der Abmachung", rief er deshalb angsterfüllt.

„Ruhig Blut, sei nicht so ungeduldig", brummte der Muskelmann vor ihm. Wieder hob er die Hand und streckte seinen Finger dem Jungen entgegen, nur legte er ihn diesmal an seine Stirn. Anstatt der Hitze erfüllte den Jungen diesmal eine klirrende Kälte. Das Innere in seinem Kopf schien zu erfrieren und ein stechender Schmerz fuhr ihm wie ein Blitz direkt durch seine Stirn. Es fühlte sich ähnlich an wie der unangenehme Schmerz, der ihn manchmal überkam, wenn er seinen geliebten eisgekühlten Orangensaft zu schnell trank, nur noch hundertmal schlimmer. 

Die quälende Kälte breitete sich aus, erfüllte seinen gesamten Körper, floss bis in seine Zehenspitzen, doch dann war es vorbei. Blinzelnd öffnete der Junge die Augen. Er fühlte sich nicht anders. Wobei dieses seltsame Schwächegefühl zumindest wieder verschwunden war. Er ging ein paar Schritte zu einem alten gesplitterten Spiegel, der an der Höhlenwand hing. Verwundert erblickte er sein zersprungenes Spiegelbild und griff sich in sein Haar, das nun nicht mehr schwarz, sondern silbern war.

„Und jetzt bin ich stärker?", fragte er und drehte sich wieder zu dem Mann um. 

Der nickte und antwortete brummend: "Du bist noch viel mehr als das. Du bist nun ein Magier."

Das Herz des Magiers [MxM]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt