1 - Die Taschenuhr

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꧁✧⭑✩⭑⚔︎⭑☾ Die Taschenuhr ☽⭑⚔︎⭑✩⭑✧꧂

Das Knirschen seiner Chucks auf dem Kiesweg und das Zirpen der Grillen war das einzige, was Levi vernahm, als er in schnellem Schritt durch den dunklen Park ging. Normalerweise mied er diesen Weg bei Dunkelheit. Doch heute hatte er auf der Arbeit noch bis kurz nach Mitternacht das Projekt fertiggestellt, das sein Chef unbedingt am nächsten Tag dem Kunden vorstellen wollte. Und da Levi nie nein sagen konnte, war er auch in dieser Nacht der Letzte im Büro der Marketingagentur gewesen. 

Sein Schritt beschleunigte sich. Er war todmüde und wollte einfach nur noch in sein Bett und da der Weg durch den Park der schnellste war, hatte er sich spontan gegen seine inneren Einwände entschieden. Als er aus der Ferne das laute Lachen von Betrunkenen hörte, bereute er es jedoch sofort wieder, doch um umzukehren war es zu spät. Die Jugendlichen, die es sich mit Bierdosen und Schnapsflaschen auf einer Parkbank bequem gemacht hatten, hatten ihn bereits entdeckt. 

Levi versuchte die aufdringlichen Blicke zu ignorieren, als er plötzlich ein seltsames Geräusch hörte. Als hätte jemand in den kleinen Weiher, an dem er gerade vorbeiging, einen Stein geworfen. Wie magisch davon angezogen, drehte er sich von den Teenagern weg und ging einen Schritt über den kurz geschnittenen Rasen zu dem Gewässer. 

Auf der Wasseroberfläche zogen sich größer werdende Kreise. Es war also wirklich etwas ins Wasser gefallen. Und da entdeckte Levi es auch: Unter der im Mondlicht glitzernden Wasseroberfläche schimmerte ein kleiner metallischer Gegenstand. Ohne auf die dummen Sprüche der Jugendlichen zu reagieren, die er schon hinter sich hörte, kniete sich Levi in den feuchten Rasen und krempelte den Ärmel seines schwarzen Sweaters nach hinten. 

Kurz zögerte er, doch dann streckte er seinen Arm nach dem Gegenstand aus. Das Wasser legte sich kühl um seine Haut, aber bei den noch lauen Temperaturen der Sommernacht war es angenehm. Er streckte sich noch ein wenig weiter und hielt sich mit der anderen Hand am Ufer fest, um das Gleichgewicht nicht zu verlieren. Das Wasser reichte ihm bis zum Ellbogen, durchnässte schon den Saum seines Ärmels, als er mit den Fingerspitzen eine dünne Kette im schlammigen Grund des Teichs erwischte und daran eine bronzefarbene Taschenuhr aus dem Wasser zog.

Fasziniert betrachtete er das außergewöhnliche Kunsthandwerk. Es wog schwer in seiner Hand. Mitten in der filigranen Ornamentik saß ein wunderschöner geschliffener Rubin. Hinter den bronzenen Schnörkeln entdeckte er winzig kleine Zahnräder. Doch zu seiner Enttäuschung bewegten sie sich nicht. Kein Ticken war zu hören, die grazilen Zeiger standen still.

„Hey Schwuchtel", wurde Levi aus seinen Gedanken gerissen. Er zuckte zusammen. Der Lautstärke nach waren die Jugendlichen nun direkt hinter ihm. Schnell rappelte er sich auf, steckte dabei die Taschenuhr in die tiefe Hosentasche seiner schwarzen Cargopants und drehte sich zu den Streitsuchenden um.

„Bist du schwul, oder warum hast du rosa Haare?", fragte einer der Typen belustigt. Es war nicht zu überhören, dass er zu viel getrunken hatte. Von seinem Auge bis zu seiner Lippe zog sich eine lange, noch rosa Narbe. Vermutlich zeugte sie von seiner letzten Schlägerei.

Levis Herz pochte indessen wie wild. Er hasste solche Situationen und erst im Nachhinein würden ihm wie immer erst die schlagfertigen Antworten einfallen. Doch jetzt stand er einfach nur da. Sein Kopf war von der Angst wie leer gefegt. Er wusste, dass er sich als 24-jähriger Mann so etwas nicht von ein paar dahergelaufenen Teenagern gefallen lassen musste. Doch gleichzeitig waren sie in der Überzahl und wirkten, als hätten sie Lust, jemanden krankenhausreif zu schlagen.

Plötzlich umhüllte Levi ein süßlicher Geruch nach Orangenblüten. „Gibt es hier ein Problem?", hörte er eine sanfte Stimme direkt neben sich fragen. Noch bevor er schauen konnte, wer neben ihm stand, prustete einer der Jugendlichen los: „Digger, was hat der denn da an. Is' schon Karneval, oder was?"

Das Herz des Magiers [MxM]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt