6. Kapitel - Ruhig Blut

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„Leider Gottes wurde die Aufgabe eure Bücher abzuholen in meine Stunde gelegt. Obwohl wir so viel Stoff vor uns haben!", jammerte die alte Frau vor der Tafel. „Aber das ist jetzt wohl so." Sie verzog ihren Mund zu einem Strich, strich währenddessen ihre gepunktete Bluse glatt und blickte über ihre Brille hinweg Lisa an. Von ihrem Liebling erhoffte sich Frau Dahmer wie immer Zuspruch.

Wirklich bemitleidenswert, dass sie zehn Minuten ihrer kostbaren Zeit für organisatorische Belangen aufopfern musste. Sie war wirklich arm dran. Ich blickte zu Tobi, der anscheinend Ähnliches dachte. Sein Blick sprach Bände.

„Also, auf auf!", ertönte ihre kratzige Stimme. Stühle quietschten über den Boden und meine Mitschüler fingen an sich zu unterhalten, während sie blind hinter unserer Deutschlehrerin her schlurften. Als ich gerade aufstand, um mich ihnen anzuschließen, spürte ich etwas, das gegen meinen Hinterkopf prallte.

Abgefuckt starrte ich auf meine Tischplatte, hielt in meiner Bewegung inne, drehte mich allerdings nicht um. Anstelle Rechnungen zu lösen, hatte Yanik die halbe Mathestunde schon dafür genutzt, seine Blätter zu zerreißen, kleine Papierkügelchen zu formen und diese dann wahllos gegen alle Hinterköpfe in seiner Nähe zu werfen. Irgendwann hatte er wohl beschlossen, dass er mich solange reizen würde, bis er eine Reaktion von mir bekäme. Anscheinend hatte er, trotz dem ausbleibenden Erfolg zur Pause hin, nicht vor damit aufzuhören.

Ich atmete tief durch die Nase aus und setzte mich wieder in Bewegung. Einfach nicht darauf achten. Ignoriere ihn. Er ist es nicht mal ansatzweise wert sich aufzuregen. Ich drehte den Kopf zur Seite und lächelte Tobi an, der bereits im Gang stand und fragend zu mir sah. Er hatte Yaniks Provokation mitbekommen und schien nun meine Reaktion darauf abzuwarten. „Lass uns gehen, Tobi", wand ich mich an ihn und gab mir dabei größte Mühe meine Stimme ruhig und entspannt klingen zu lassen.

„Hmm." Er hatte seine Lippen fest aufeinander gepresst und seine Hände in den Hosentaschen versenkt. Seine Augen musterten mich, während er nachdachte. Ich schloss zu ihm auf, schenkte ihm ein zweites Lächeln und ging gemeinsam mit ihm zur Tür. Bis auf wenige andere trödelnde Schüler war das Klassenzimmer bereits leer. Ich hörte Yaniks ekliges Lachen hinter uns.

„Los, komm Nils, lass uns zu den Anderen gehen. Stegi hier, zeigt mir ja nur die kalte Schulter. Nicht sehr unterhaltsam." Sein Grinsen war, während er sprach, deutlich hörbar und ich spürte seinen bohrenden Blick im Rücken. Für ihn war das alles nur ein Spiel zu seiner Belustigung. Das kannte ich schon.

Ich versuchte seine halb an mich gerichteten Worte ebenfalls auszublenden und fing zur Ablenkung ein Gespräch mit Tobi an, als die schrille Stimme unserer Lehrerin aus dem Flur ins Klassenzimmer hineindrang. „Beeilung! Wir wollen heute noch viel schaffen! Nun trödelt doch nicht so. Hop, hop. Oder macht ihr das mit Absicht?" Zum Ende hin klang sie wieder so leidvoll, als würde die ganze Welt nur gegen sie allein arbeiten.

Tobi und ich schlossen zu Lia auf, die alleine hinter Aiysha und ihren Freunden her trottete und ziemlich in Gedanken versunken war. „Meine Güte, die Frau hätte lieber am Theater arbeiten sollen. In ein Drama von Goethe würde die sich nahtlos einfügen", kommentierte ich Frau Dahmers Auftritt und sah durch die hohen Fenster entlang des Ganges nach draußen auf den Hof.

Meine Stimmung war immer noch nicht ganz wieder auf dem normalen Niveau angekommen, Tobi jedoch kicherte. „Wahrscheinlich ist es sogar insgeheim ihr Traum einmal bei Faust mitwirken zu dürfen", spann er den Gedanken weiter. Ich sah in der Spiegelung der Fenster wie auch ich nun schmunzelte.

Ich löste den Blick von den Schülern, die draußen gerade Sportunterricht hatten, und sah zu Lia, die still zu meiner Linken schlenderte. Nachdenklich musterte sie die goldenen Ringe an ihren Fingern. „Alles okay bei dir?", fragte ich verwundert den sonst so fröhlichen Sonnenschein.

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⏰ Letzte Aktualisierung: Aug 04 ⏰

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