2. Kapitel - Gedanken in der Dämmerung

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„Wunderbar, anscheinend startet das Schuljahr direkt mit einem Konflikt", jammerte Tobi. „Ich wollte das letzte Jahr mit unserer Klasse doch einfach nur genießen. Mich entspannt in die dritte Reihe setzen, bei lustigen Momenten lachen und wieder nach Hause gehen. Nichts allzu aufregendes. Einfach genau so wie es immer war!" Um seinem Leid noch mehr Ausdruck zu verleihen, lies er sich, während er sprach, auch auf sein Handtuch fallen, warf den Kopf in den Nacken und gab einen gequälten Laut von sich.

Verständnislos erwiderte ich: „Du hast den heiligen Tim ja nicht umgerempelt, also werden sie an dir auch nichts auszusetzen haben. Du kannst immer noch dein Leben chillen. Ich hingegen darf jetzt um mein Leben bangen, wenn ich morgen Yanik zu nahe komme. Der Typ hat so nen Knacks, wenn es um seine Freunde geht." Lieblos blickte ich auf das Fleckchen Erde neben meinem Handtuch und fing an Grasbüschel auszurupfen.

Auch wenn ich es niemals zugeben würde, schüchterte mich Yanik doch etwas ein. Ich hatte keine Angst davor, dass er mich körperlich angehen würde, aber hundertprozentig sicher war ich mir da auch nicht. Es war ja eigentlich nur ein Versehen gewesen und mehr als eine kleine Schramme hatte Tim auch nicht zu beklagen. Aber ich wusste, dass Yanik in der Vergangenheit schon wegen weniger Veilchen verteilt hatte. Und seine stechenden Blicke ließen meine Zweifel auch nicht weniger werden.

„Aber ich hab dich einfach weggezogen und Tim stehen gelassen, wenn er das vor seinen Freunden erwähnt hat, ist das auch schon Grund genug, um auf Yaniks Abschussliste zu landen", zweifelte Tobi.

„Ach Tobi, mach dir nicht gleich ins Hemd. Wenn er Tims Ehre für so sehr beschmutzt halten würde, würde er schon 'rüber kommen." Ich guckte Tobi auffordernd an und wartete darauf, dass er mir zustimmen würde. Das ganze Gespräch und das unwohle Gefühl, das er nun auch in mir ungewollt verursacht hatte, waren doch mehr als unnötig. Wir hatten Tim ja nicht angespuckt oder beleidigt. Er war einfach nur kurz hingefallen.

Ich konnte sehen wie Tobi kurz zur Seite spähte, um zu überprüfen, ob Yanik wirklich nicht gerade wütend auf uns zu stapfte. Und als dem tatsächlich nicht so war, seufzte er. „Du hast recht, ich hab mich etwas unnötig reingesteigert." Ich schmunzelte. „Wo ist denn dein ganzer Mut hinverschwunden? Vorhin hast du noch mir und Tim 'ne Ansage gedrückt und jetzt?", überspitzte ich Tobis tatsächlichen Auftritt.

Er blickte erst etwas unbeholfen auf den Boden, lächelte dann aber. „Ja, keine Ahnung. Bei Tim habe ich ja nicht zu befürchten, dass ich auf einmal 'ne schmerzende Wange habe." „Du wirst sehen, morgen werden das alle schon wieder vergessen haben", versuchte ich ihn aufzumuntern.

Gedankenverloren musterte er das Farbenspiel aus Grün- und Blautönen auf seinem Handtuch. Um ihn aus diesem Tief wieder herauszuholen, legte ich meinen rechten Arm um seinen Hals, zog ihn an mich ran und fing mit der linken zur Faust geballten Hand an, ihm über den Kopf zu reiben. Überrascht stieß er Luft aus.

„Krieg ich jetzt doch noch 'ne Abreibung?", fragte er und lachte auf. „Irgendjemand muss dich ja wieder erden!", grinste ich. „Sonst sagst du mir ab jetzt immer, was ich tun soll!" Ich ließ ihn wieder los, da ich mein gewünschtes Ergebnis erzielt hatte und Tobis hellblaue Augen wieder glücklich leuchteten.

„So, langsam habe ich jetzt aber Hunger", verkündete ich und warf einen prüfenden Blick auf die Uhrzeit auf meinem Sperrbildschirm, „und es ist auch schon Viertel nach acht." Tobi nickte. „Dann sollten wir mal alles zusammenpacken und nach Hause fahren." Ächzend stand ich auf, streckte die Beine durch und lies meinen Blick kurz über die verbleibenden Leute schweifen. Mittlerweile hatten die meisten, wohl auch vom Hunger geplagt, schon den Weg nach Hause angetreten und grillten vermutlich nun in ihren Gärten.

Tim und seine Freunde allerdings, saßen noch da, lachten und hatten jeder ein Bier in der Hand. Als ich ihn ansah, drehte Tim zeitgleich den Kopf zur Seite und unsere Blicke kreuzten sich. Er trank gerade einen Schluck aus seiner Flasche, seine Augen strahlten und ich meinte auch zu erkennen, dass er ein Lächeln auf den Lippen trug.

Ein Jahr zum Verlieben - StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt