4. Kapitel - Müde Stunden

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Nachdenklich starrte ich auf meine Schuhe, während ich zum Eingang ging. Warum hatte Tim das gesagt? Ich würde später in der Pause Lia um eine Analyse beten. Die wusste immer, was so rätselhafte Aussagen bedeuteten, denn sie selbst warf hauptberuflich nur so um sich, mit solch mehrdeutigen und verwirrenden Sätzen.

Vor der geschlossenen Klassenzimmertür angekommen, hielt ich an. Jetzt war ich also doch noch zu spät gekommen. Ohne zu zögern, ergriff Nils die Türklinke und machte die schwere Stahltür mit Schwung auf. Brandschutz war die Rechtfertigung der Schule, mich jedes Mal ein halbes Armworkout betreiben zu lassen, wenn ich einen Raum betreten oder verlassen wollte. Schlechte Ausrede.

Tim betrat als erster unseren neuen Aufenthaltsraum für das kommende Jahr und blieb direkt hinter dem Türrahmen wieder stehen. Nils und ich folgten ihm und stellten uns unschlüssig neben ihn vor die erste Reihe.

Als ich gerade den Blick durch den Raum schweifen lies, spürte ich einen leichten Windhauch, da hinter mir nun Rafi und neben diesem Yanik zum Stehen kam. Sofort hatte ich wieder ein leicht mulmiges Gefühl im Bauch und eine Mischung aus dem Geruch von kaltem Rauch und einem herben Männerparfüm in der Nase.

„Na, immer 'rein mit den Herrschaften", ertönte die Stimme von Herr Stüber, der sogar noch recht freundlich klang. „Sucht euch einen freien Platz und setzt euch. Dann können wir endlich anfangen." Mein Blick huschte zielstrebig zu den Fensterreihen. Ich hatte Glück, Tobi hatte meinen Platz wohl verteidigt, denn neben ihm auf dem Stuhl saß niemand.

Ich lächelte zaghaft in seine Richtung und drängelte mich an Tim vorbei. Den Anderen schien es wohl nicht so leicht zu fallen, sich zu entscheiden, wo sie hinwollten.

Obwohl sich kaum noch freie Plätze im Klassenzimmer befanden.

Ich durchquerte den kleinen Raum und quetschte mich durch die Reihe. Beim letzten Platz am Fenster angekommen, zog ich den Stuhl nach hinten und lies mich drauf fallen. Ich pustete mir ein paar Strähnen aus dem Gesicht, spürte wie mein Herz kräftig gegen meine Brust schlug und lächelte Tobi an.

„Hey", flüsterte dieser und sah mich fragend an. „Später", erwiderte ich und blickte nach vorne. Lia hatte ihren Platz eine Reihe vor mir, kippelte mit dem Stuhl, sodass sie einen Arm auf meinem Tisch abgelegen konnte und grinste mich vielsagend an. Auch ihr schenkte ich ein herzliches Lächeln.

Ich hörte wie ein Stuhl hinter mir über den Boden geschliffen wurde. Von Neugier angetrieben, schwenkte ich meinen Blick durch den Raum und sah, dass gerade Yanik und Rafi gemächlich durch den schmalen Gang zwischen den Tischen nach hinten gingen.

Tim saß bereits mittig in der zweiten Reihe auf der Wandseite des Klassenraumes und tuschelte mit Stella, die sich direkt umgedreht hatte, als sie realisiert hatte, dass Tim nun hinter ihr sitzen würde. Das blonde Mädchen mit den Engelslocken ließ auch gar keine Möglichkeit aus mit ihm zu flirten und wickelte wie jedes Mal eine Haarsträhne um ihren Finger.

Lieblos warf Rafi seinen Rucksack auf den Tisch rechts neben Tim, sodass das beliebte Mädchen zusammenzuckte, und beanspruchte damit den Platz für sich. Schadenfroh grinste ich. Der vertraute Moment zwischen ihr und Tim war vorbei.

Ich hörte wie erneut ein Stuhl hinter mir zurückgezogen wurde. Mein Lächeln erstarb. Ich zögerte mich umzudrehen, denn dieses Geräusch bedeutete, dass Yanik, viel zu dicht an mir dran, das ganze restliche Schuljahr sitzen würde.

Letztendlich tat ich es aber doch, um mich zu vergewissern, dass mein Schicksal wirklich besiegelt war, und sah, dass Nils hinter mir gelangweilt aus dem Fenster blickte und der Unruhestifter hinter Tobi platzgenommen hatte. Schnell drehte ich den Kopf wieder nach vorne und zog die Mundwinkel nach unten. Das würde definitiv anstrengend werden.

Ein Jahr zum Verlieben - StexpertWo Geschichten leben. Entdecke jetzt