Kapitel 7

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15:09 Uhr
Phil

Es klopft. Eine Hand die gegen Holz klopft.
Ich will nicht aufmachen.
Es hat schon gestern und vorgestern geklopft.
„Phil, ich weiß dass du da bist!" Flo. Er ist die Hand die laut gegen meine Tür klopft.
„Jetzt mach auf!" Nein. Ich will nicht. Warum versteht er das nicht?
„Bitte, es geht um Alex."

Die Tür meines Schlafzimmers quietscht. Was macht man gegen Holztüren die quietschen?
Als ich auf den Flur trete muss ich mir eine Hand vor die Augen halten. Shit, warum ist das so hell? Die Vorhänge in meinem Zimmer sind seit drei Tagen dauerhaft zugezogen. Ich dachte, wenn ich die leere Betthälfte neben mir nicht sehe, fühlt es sich besser an. Spoiler tut es nicht. Es fühlt sich noch beschissener an, man fühlt nur die Kälte die neben einem herrscht. Fast fühlt es sich an als wäre Alex tot.
Ich öffne die Haustür und vor mir steht Flo. Seine kurzen Haare stehen etwas ab und in seinen Augen, hinter seiner dunklen Brille, da liegt irgendwas.
„Endlich. Warum machst du jetzt erst auf? Was hast du die letzten Tage gemacht? Bist du überhaupt aus deinem Bett aufgestanden?"
Weil ich keinen Grund gesehen habe, um aufzustehen.
Geweint. So wie ich es als Kind in den Armen meiner Mutter getan habe.
Nein
So, alle Fragen beantwortet?
Ich zucke mit den Schultern. Es hat mich schon genug Kraft gekostet überhaupt aufzustehen. Meine Hände stützen sich an dem kleinen Schrank, den mir meine Mutter geschenkt hat.
„Alles gut?"
Ha, was eine bescheuerte Frage. Nein natürlich nicht. Mein Freund ist im Krankenhaus und will mich nicht sehen, vielleicht vögelt er ja auch eine Andere. Paula zum Beispiel, Paula, die perfekte Ärztin und Notärztin. Die, die alles kann. Die, die auf meinen Freund steht. Die, die jetzt bestimmt bei ihm ist und ich nicht. Nein, ich hocke seit drei Tagen in diesem gottverdammten Haus, das sich anfühlt wie die Hölle. Alle Räume sind leer, nur ich in meinem scheiß Schlafzimmer. Erbärmlich am heulen, bis ich nicht Mal mehr die Kraft zum heulen hab.
„Ja alles gut."
„Glaub ich dir nicht." Er drängt sich an mir vorbei. Will er hier bleiben? Erst jetzt bemerke ich die Tasche in seiner Hand.
„Was ist das?" Ich deute auf den Stoffbeutel, den man an jeder Straßenecke Kölns bekommt.
„Oh, ich hab mir gedacht, dass du in einem Loch hängst." Was? Tu ich das? Ja tue ich. „Deshalb hab ich gedacht, ich bring dir Essen vorbei. Ich kenn deine Essgewohnheiten nicht, aber isst du Tomatenreis mit Gemüse?"
Ess ich das?
„Bestimmt"
Flo hat sich schon umgedreht und läuft Richtung Küche. „Geh duschen solange ich Essen mache."
Oh wow, danke.
Trotzdem geh ich ins Bad. An der Tür muss ich kurz stoppen. Das Bad scheint sich kurz zu drehen. Hastig schüttel ich den Kopf, dann steht das Bad wieder still. Unmotiviert bringe ich die Dusche hinter mich. Das Wasser fühlt sich manchmal immer noch so kochend heiß an.

Wer nicht lernt, muss fühlen.

Als ich in die Küche komme, steht Flo angelehnt an die Kücheninsel.
„Was ist mit Alex?" Der erste vollständige Satz, den ich seit drei Tagen sage.
Flo schaut komisch.
„Was ist?" Ich gehe einen Schritt auf ihn zu.
„Ok, also nur damit das klar ist, Alex hat mir die Erlaubnis gegeben dir das zu sagen." Ist das jetzt wichtig?
Er richtet sich ein Stück auf. „Alex hat Atypischen Morbus Fabry, aber wir haben...-„
Nein
Nein
Nein
Erbkrankheit
Bitte nicht
„Phil alles gut? Du bist ziemlich blass." Nein, nichts ist gut. Ich spüre wie sich Schweißperlen auf meiner Stirn bilden. „Phil!" Mir ist Schwindelig, meine Beine fühlen sich an wie Gummi. Flo kommt auf mich zu. Panik liegt in seinem Blick. Sein Gesicht verschwimmt. Kleine schwarze Punkte tanzen vor meinen Augen. Meine Beine können mich nicht mehr halten. Ich sacke zusammen, spüre Hände die mich von einem Sturz abhalten. Unverständliche Worte. Mein Körper trifft auf etwas hartes. Mein Kopf wird sachte abgelegt und trifft auch auf etwas hartes. Der Boden? Lieg ich auf dem Boden? Wieder unverständliche Worte. Ein leichter Schlag auf die Wange. Ich fühl mich so schwach, als ob mein Körper gar nichts mehr kann. Selbst die Augen wieder zu öffnen scheint zu schwer. Meine Beine werden hochgehoben und auf etwas gelegt. Ist das ein Stuhl? Ich höre ein klacken. Ich kenne dieses Geräusch. Das Fenster in der Küche wird geöffnet. Zwar nur leicht, aber ich spüre einen kalten Luftzug. Ich spüre wie sich jemand zu mir kniet. Wieder wird mir leicht gegen die Wange geschlagen. „Phil" Das erste Wort, dass ich verstehe. „Komm mach die Augen auf!" Mein Körper fühlt sich matt an, aber trotzdem versuche ich meine Augen zu öffnen.
Das viel zu helle Licht blendet mich und ich schließe meine Augen wieder. „Phil!" Wieder öffne ich meine Augen, nur um ein vollkommen besorgtes Gesicht zu sehen.
„Gott sei Dank." Flo atmet beruhigt aus. „Gehts? Willst du Wasser?" Ich nicke. Er steht auf, holt ein Glas aus dem Hängeschrank und füllt es am Waschbecken mit Wasser. Danach kommt er wieder zu mir.
„Kannst du dich aufsetzen?" Wieder nicke ich. „Gut, aber sag Bescheid, wenn dir wieder Schwindelig wird!" Er hat einen befehlerischen Unterton. Langsam richte ich mich auf und hebe meine Füße vom Stuhl. Jetzt sitze ich auf dem Boden.
„Kann ich mich an den Tisch setzen? Der Boden ist nicht grade bequem." Ich versuche zu lächeln. „Klar" Er hilft mir auf und ich setze mich an den Esstisch. Flo lässt sich neben mich fallen und schiebt mir das Glas Wasser zu. Ich nehme es und trinke einen Schluck. Die Kälte in meiner Kehle tut gut.
Ich stelle das Glas wieder ab. „Besser?" Flo schaut immer noch besorgt. „Ja"
Was sagt man jetzt?
Es ist peinlich, sowas von peinlich.
Ich Idiot hätte die Tür nicht aufmachen sollen.
...
Alex
Alex hat eine Erbkrankheit, nein, reiß dich zusammen.
Meine Hände befinden sich unter dem Tisch, weshalb ich mit meiner linken Hand fest in die Haut meines rechten Armes greife. Meine Nägel bohren sich in meine Haut. Ja, es tut weh, aber das ist auch der Sinn der Sache.
„Tut mir Leid, ich hätte dich nicht so überrumpeln dürfen."

„Was? Das kam nicht nur davon."
„Hä?"
Hab ich schon wieder laut gedacht. Uf, ist eh egal.
Ich raufe mir durch die Haare. „Naja ich hab seit Samstag nicht wirklich viel getrunken geschweige denn gegessen.Und dann jetzt das mit Alex-„ Meine Stimme bricht. „Es war wahrscheinlich alles zu viel." Ich versuche wie jedes Mal meine aufkommenden Tränen zu unterdrücken. „Ach Phil." Flo rutscht näher zu mir.
„Pass auf, erstmal klingt das alles vermutlich total schlimm, aber der Atypische Morbus Fabry ist genauso therapiebar. Es braucht natürlich seine Zeit und die Behandlung geht ein Leben lang, aber das ist alles Sache der Gewohnheit. Ihr könnt ein fast normales leben führen."
„Ihr" ich nuschle es nur, aber er hat es gehört.
„Ja, ihr, Alex und du."
„Vielleicht ist das ja das Problem."
Stille erfüllt den Raum. Ich kann sehen wie es in Flos Gehirn rattert. Er denkt nach, überlegt was ich meine.
„Was wenn Alex und ich nicht das Traumpaar sind?"
Er öffnet den Mund, schließt ihn dann wieder. Wollte er etwas sagen oder ist er geschockt?
„Das ist doch nicht dein Ernst?"
Er ist geschockt.
„Wo kommt der Gedanke jetzt her?" Gute Frage, nächste Frage.
Er wollte mich nicht sehen, schon vergessen? Er hat mich wegschicken lassen."
Und die glorreiche, wundervolle Paula darf neben seinem Bett thronen und ihn mit verliebten Augen anschauen. Was hat sie, das ich nicht habe?
Er war bestimmt nur durcheinander. Aufeinmal liegt er im Krankenhaus und die Ärzte sagen ihm, dass er vielleicht eine schwere Krankheit hat. Da kann man schon mal dumme Ideen haben, die man nicht so meint." Er macht eine kurze Pause, vielleicht sortiert er seine Gedanken. „Alex hat mich hergeschickt um es dir zu sagen, das ist gut. Er will dich teilhaben lassen. Also lass uns doch einfach ins Krankenhaus fahren und du redest in Ruhe mit ihm, allein.
Ohne Paula
„Meinst du?"
„Natürlich" Er steht auf und reicht mir die Hand.
Soll ich? Was wenn er mich immer noch nicht sehen will? Dann steh ich wie der letzte Vollidiot da. Der einsame Phil, der niemals besser sein kann als die erfolgreiche und intelligente Notärztin.
Komm schon." Die Hand ist noch da, dahinter der gut gebaute Körper und das lächelnde Gesicht von Flo.
Ich greife nach seiner Hand und stehe auf. Kurz dreht sich alles um mich herum, aber dann bleibt es stehen. Fast so als wäre nie etwas passiert. „Gehts?" Langsam nicke ich.

16:00 Uhr

Die Häuser ziehen am Autofenster vorbei. In meiner Hand halte ich einen halb gegessenen Müsliriegel, den Flo in seinem Auto rumliegen hatte. Eigentlich tut es ganz gut etwas zu Essen, aber leider wird meine Angst davon nicht weniger. In ein paar Minuten werde ich vor Alex Zimmertür stehen.
Was soll ich dann sagen?
Sorry dass du krank bist und jetzt für den Rest deines Lebens behandelt werden musst.

„Wie gehts dir?" Verängstigte Augen. „We" Ein Schlucken, schmerzverzerrte dunkle braune Augen. „Es ist ok, du musst nicht antworten." Plötzlich zwei Arme, die gegen mich schlagen. Ich halte die zärtlichen, ziemlich dünnen Hände fest. Ich rufe nach Hilfe. Es fühlt sich ewig ein. Ein schreien, die Hände zappeln, Tränen. Ein schluchzten. Ein leiser Versuch, dass Wort „Hilfe" zu sagen, erfolglos. „Hif". Mehr kommt nicht heraus. Warum passiert das ausgerechnet uns? Endlich, die Tür geht auf. Der Arzt mit den dunklen Haaren stürmt ins Zimmer. Er hängt eine neue Infusion. Es dauert ein wenig, aber dann wird der Griff lockerer. Niemand schreit mehr. „Wir haben ihr ihre Benzodiapezine verabreicht."

Hey Phil" eine Hand wedelt vor meinem Gesicht. „Wir sind da." Ja sind wir. Wir stehen vor dem Krankenhaus.
„Soll ich mit rein kommen?"
„Nein, aber kannst du auf dem Parkplatz auf mich warten?"
„Klar" Er legt mir eine Hand auf die Schulter. „Das wird schon." Dann steige ich aus dem Auto.
Ich weiß was ich tun werde. Ich weiß was ich Alex sagen werde. Es gefällt mir nicht, noch schlimmer, es wird mir das Herz brechen. Aber ich muss es tun, egal wie schlimm es wird.

Streit zwischen Liebe und Tod Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt