6. - Selbstmordkommando

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Anders, als ich es ursprünglich erwartet hatte, erklärte Lili sich schnell dazu bereit, ihren Geburtstag mit mir zu verbringen.
Es bedurfte nur einer kleinen Nachfrage meinerseits, dann nickte sie schon mit roten Wangen und wurde ganz verlegen.

Vormittags war sie mit ihrem Vater und dessen Lebensgefährtin zum Frühstücken verabredet, doch gegen 12 Uhr rief sie mich an, um mir mitzuteilen, dass sie auf dem Weg zu mir war.
Schließlich klingelte es an der Tür, ich drückte auf den Öffner und ließ die dunkelhaarige Frau, die stumm im Hausflur stand, eintreten.
Sie trug eine einfache helle Jeans und, wie könnte es anders sein, einen zu großen Pulli. Sie trug sie ständig.
Ich hatte keine Ahnung, wie Lili es in diesen aushielt, es war schließlich Juni und draußen nicht unbedingt kalt.

Über ihrer Schulter baumelte ein Rucksack, auf den sie jetzt deutete.
"Ich zieh mich dann noch um, habe ich gedacht", erklärte sie leise, "Wollte nicht den ganzen Tag in was Ordentlichem rumlaufen".

Ich nickte und zog sie an ihrem Kragen ein Stück zu mir, sodass sie fast über die Türschwelle stolperte. Ich küsste sie, sie raunte leise. Meine Hände wanderten in ihre Haare und ihre an meinen Hintern.

„Alles gute zum Geburtstag", brachte ich, jetzt schon leicht außer Atem, hervor und drückte sie ein Stück von mir weg. Inzwischen hatten wir es wenigstens in den Flur geschafft.
Die junge Frau mir gegenüber sah mich mit großen Augen an. Mit Genugtuung bemerkte ich, dass auch ihre Wangen gerötet waren und ihr Atem unruhig ging.
Lili bedankte sich leise bei mir, nur um wenige Sekunden später unsere Lippen wieder miteinander zu vereinen.

Jedes mal, wenn wir miteinander schliefen, verabschiedete sich der rationale Teil meines Gehirns. Ich hatte keine Ahnung, wo er hinging, dieser Teil, der mich eigentlich davor bewahren sollte, Fehler zu machen. Fehler, die von Anfang an, rein rational betrachtet, offensichtliche Fehler gewesen waren.

Mich auf Lili einzulassen war, rational betrachtet, eine vollkommene Katastrophe. Eine katastrophale Dummheit, die ihresgleichen suchte. Mich jetzt auch noch in sie zu verlieben glich einem Selbstmordkommando.

Doch wie gesagt, der rationale Teil in mir hatte gegen Lili und ihre unverkennbaren Reize nicht die geringste Chance. Egal, wie oft ich mir vorgenommen hatte, das zwischen uns zu beenden, oder wenigstens ein für alle mal zu klären, sobald die dunkelhaarige Schönheit vor mir stand, war einfach alles weg.

Lili küsste mich und berührte mich auf so einzigartige Art und Weise, dass ich jedes Mal, wenn sie ging, Angst davor hatte, nie wieder in diesen Genuss kommen zu dürfen. Es lag nicht daran, dass sie eine Frau war - das hatte ich natürlich eingehend geprüft, sicherlich hätte sich da jemand erreichbareres als eine ehemalige Schülerin gefunden. Es lag einfach daran, dass sie sie war.

Und das schlimmste war: Lili wusste es. Sie wusste genau, wie sie mich um den Finger wickeln konnte. Wie sie meine Knie zum Zittern und mein Herz zum Rasen bringen konnte.

Ich wusste zwar nicht, weshalb Lili sich so geschickt davor versteckte, das zwischen uns auf ein nächstes, festeres Level zu bringen, aber Eines war mir klar: Lili wusste genau, dass ich es nicht einfach so beenden würde.

-

"Sara", sagte Lili mit großen Augen und wachsender Panik in der Stimme, als wir die letzten Schritte auf das Restaurant zugingen, "Das ist viel zu schick und viel zu teuer. Ich bin total underdressed".

Ich schüttelte den Kopf, "Quatsch, das ist weder viel zu schick noch viel zu teuer. Warte doch erstmal, bis du drinnen bist". Lili sah ungläubig zu mir herüber, folgte mir dann jedoch in den Innenraum des Lokals.

Wie mit dem Kellner abgesprochen suchten wir uns dann einen Platz im Hinterhof, der von gemütliche Lichtern und Kerzen erleuchtet war. Durch die sommerlichen Temperaturen war es hier hinten zwar noch warm, jedoch nicht so stickig wie drinnen.

Erleichtert ließ Lili sich auf den Stuhl mir gegenüber fallen. Bei ihrem Anblick musste ich kurz schlucken, denn obwohl sie sich selbst für underdressed hielt, sah sie unfassbar aus. Allein ihre dunklen Haare, die offensichtlich kürzlich einen neuen Schnitt verpasst hatten und ihr nun lose ins Gesicht hingen, reichten aus, um mich fast in den Wahnsinn zu treiben. Die Erinnerung daran, meine Hände in ebendiesen weichen Haaren zu vergraben, was Lili stets ein leises Stöhnen entlockte, machte sich in meinem Kopf breit.

Und dann auch noch der Rest von ihr. Ihre dunklen Augen, ihre Lippen, die sich so gut auf meinen anfühlten. Der Rest, den ich gerade offensichtlich so gierig anstarrte, dass ich den Kellner neben uns nicht wahrgenommen hatte.

Lili grinste mich vorsichtig an, während sie meine Hand, die auf dem Tisch lag, leicht drückte.

„Was darf es denn bei Ihnen sein?", fragte der junge Mann, der neben unserem kleinen Tisch stand, mich nun.
Ich suchte einen Moment in der Speisekarte, denn an die Nummer der Gerichte, die ich mir ausgesucht hatte, konnte ich mich natürlich auf die Schnelle nicht erinnern.
„Ich hätte gern die Nummer 21 als Vorspeise und dann die 58", sagte ich schließlich und lächelte den blonden Kellner an, „Hast du schon etwas zu trinken bestellt, Lili?".

Lili schüttelte den Kopf, noch immer grinste sie in sich hinein. Ich sah sie für einen Moment an. Worüber sie wohl nachdachte?
Dann wandte ich mich wieder an den Kellner, „Dann hätten wir gerne noch eine Flasche von dem trockenen Rotwein hier".

„Alles klar, vielen Dank", lautete die kurze Antwort des jungen Manns, der im nächsten Moment unsere Speisekarten einsammelte und sich davon machte.
„Es ist wirklich viel zu teuer hier, Sara", sagte Lili nun und sah mich mit kritischem Blick an.

„Hör auf, dass zu sagen. Du hast Geburtstag, du bist mir wichtig. Ich möchte dich gern einladen. Basta".

Die Frau mir gegenüber schluckte, dann nickte sie. Ihre Hand lag noch immer auf meiner, ihr Daumen strich sanft über meine Haut.
„Okay", sagte sie dann, „Danke".

Was darauf folgte, weiß ich selber nicht mehr allzu genau. Obwohl Lili diejenige unter uns beiden war, die sich formschön betrank - wir waren schließlich mit dem Auto gekommen - sind auch meine Erinnerungen an diesen Abend ziemlich verschwommen.

Alles, woran ich mich erinnerte, war, dass Lili schön war und lustig und klug. Dass sie mit dem Kellner, der offensichtlich einen Narren an ihr gefressen hatte, flirtete, während sie zwei meiner Finger immer wieder zwischen ihre nahm. Ich wusste, dass ihre sie sich die Haare absichtlich so hinter die Ohren strich, dass ich den Biss, den ich ihr am Morgen versehentlich zugefügt hatte, sehen konnte. Dass sie sich absichtlich auf die Lippen bis, wenn ich sie anstarrte. Dass Ihre Augen immer dunkler und lustvoller wurden, je länger sie mich nicht berühren konnte.
Und ich wusste, dass sich plötzlich zwei warme Hände von hinten um meine Augen legten.

„Rate mal, wer ich bin", hörte ich eine bekannte Stimme hinter mir quietschen.
„Tanja?", fragte ich ein wenig entgeistert und drehte mich zu der Frau, die hinter mir stand und mich breit angrinste, um. Lili ließ meine Hand vorsichtig los.

„Wer sonst könnte es wohl sein", lautete ihre Antwort. Ich stand auf und nahm Tanja, die zu meinen besten Freundinnen gehörte, kurz in den Arm.
Die Tatsache, dass sie mich mit Lili hier traf, überforderte mich. Zwar wusste Tanja vermutlich, dass ich mich mit jemandem traf, doch die Details hatte ich ihr bisher vorenthalten.

Tanja grinste mich verschwörerisch an, dann ging sie einen Schritt auf Lili, die sich inzwischen ebenfalls erhoben hatte, zu.
„Hi. Ich bin Tanja", stellte sie sich dann selbst vor und streckte Lili selbstbewusst die Hand entgegen.

Wieder einmal beeindruckte Lili mich mit ihrer besonnenen und lässigen Reaktion.
Ich in ihrem Alter wäre vermutlich schreiend weggerannt, wenn ich in ihrer Situation gewesen wäre.
Stattdessen schüttelte sie meiner Freundin nur die Hand und stellte sich ebenfalls vor, bevor sie Tanja wie selbstverständlich anbot, sich doch zu uns zu setzen.

Tanja lehnte gut gelaunt ab und verabschiedete sich im nächsten Moment auch schon wieder von uns. Sie ging zurück in den Innenraum des Lokals, nicht aber, ohne mir einen verschwörerischen Blick zuzuwerfen.

Lili sah mich mit hochgezogenen Augenbrauen an, als Tanja verschwunden war.
„Ich weiß, ich bin schon etwas beschwipst", sagte sie, „Aber lerne ich jetzt schon deine Freunde kennen?".

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