5. - Eskapaden

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An einem Abend im Januar kam Lili zu mir nach Hause. Verspätet, aber gut gelaunt stand sie mir gegenüber, als ich die Tür öffnete.

Sie trug eine Jeansjacke und einen viel zu großen Pullover, aus dem ihr Kopf hervor lugte. Und sie lächelte mich fröhlich an.

Ich bat sie nach einer kurzen Begrüßung herein - noch immer wartete sie jedes Mal darauf, dass ich sie aufforderte - und setzte mich nach einem kurzen Gespräch über ihren Uni-Fortschritt mit ihr auf den Balkon.
Mit leisen Schritten und auf Socken tapste sie mir durch die Wohnung hinterher.

„Möchtest du etwas trinken?", fragte ich sie und bereute es schon im selben Moment. Lili nickte stumm, „Hast du Wein da?".

Ich schüttelte ungläubig den Kopf, dann beschloss ich, Lilis Einschätzungsvermögen bei Gelegenheit zu überprüfen.
„Trinkst du den mit mir?", fragte sie nun und sah mich erwartungsvoll an.
„Nein", entgegnete ich, „Ich habe mich noch nicht von gestern Abend erholt. Aber ich mag dich sehr, wenn du betrunken bist".
Lili lachte kurz auf und nahm die Flasche Rotwein, die ich ihr hinhielt, entgegen.

Wenn sie Alkohol trank, rauchte sie zu viel. Viel zu viel.
Für meinen Geschmack rauchte sie eigentlich immer viel zu viel. Und vermutlich trank sie auch zu viel.

„Was ist los?", fragte ich schließlich, leicht verwirrt, „Du grinst wie ein Honigkuchenpferd".

„Ich bin einfach froh, dich zu sehen", gab sie leise zu und senkte den Blick, während sie sich gerade eine Zigarette drehte.
Ein Filter steckte zwischen ihren hellen Lippen, ihre Wangen färbten sich rosa.

Manchmal, wenn Lili sich von mir überrumpeln ließ, sah sie wieder aus wie ein Teenager. Dann wurde ihr Gesicht ganz schmal und ihre Augen groß und rund, während sich ihre Wangen unverkennbar röteten.
Meist senkte sie dann nach kurzem Augenkontakt den Blick, nur um nach wenigen Minuten mit neu erstarktem Selbstvertrauen wieder ganz die Alte zu sein.

„Du rauchst zu viel", ermahnte ich sie nun und kam mir augenblicklich sehr alt vor. Verdammt, ich hatte mir doch vorgenommen, ihr gegenüber nicht die Ersatzmutter zu spielen. Was auch absolut absurd gewesen wäre.

„Ich weiß", lautete Lilis schlichte Antwort.
Ich nickte und wir schwiegen, während sie rauchte und ich sie beobachtete.
Wie ihre dunklen, wirren Haare ihr vom leichten Wind aus der Stirn geweht wurden. Wie sie ihre langen Finger immer wieder an ihren Mund führte, um anschließend den Rauch in die Nacht zu atmen.
Manchmal formte sie mit ihren Lippen kleine Wölkchen, die mich zum Lachen brachten.
Der Wein hatte ihre Lippen dunkel gefärbt und mich dazu gebracht, mich ihr über dem Tisch immer weiter zu nähern, obwohl sie mir unbeirrt lässig zurückgelehnt gegenüber saß.

„Möchtest du auch?", fragte Lili nun und hielt einen Klumpen in die Höhe, den ich im ersten Moment fälschlicherweise als einfachen Tabak identifizierte.

„Keine Zigaretten ohne Alkohol bei mir zuhause", entgegnete ich deshalb, „Das weißt du doch".

„Sicher", sagte Lili grinsend, aber leise, „Ist ja auch Gras".

Ich schloss die Augen für einen Moment, „Manchmal bin ich wirklich sehr alt, oder?".

„Naja", versuchte Lili geschickt, dieser rhetorischen Frage auszuweichen, „Manchmal merkt man einfach, dass du deine wilden 20er hinter dir gelassen hast".
Noch immer lächelte sie vielsagend und fummelte an einen Pape und besagtem Klumpen herum.

„Ich habe auch in meinen wilden 20ern nicht viel gekifft", gab ich dann zu und versuchte, mich an das letzte mal zu erinnern, dass mir das Rauschmittel untergekommen war.
Es war sicherlich schon um die 15 Jahre her.

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