Kapitel 6 - Langsamer Start

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Das Kleid, ein fließendes Sommermodell in einem sanften Blau, fühlte sich angenehm auf meiner Haut an. Nachdem ich mich frisch gemacht hatte, trat ich wieder aus dem Badezimmer und sah, dass Adrian sich bereits auf dem Boden eingerichtet hatte.

„Wie sieht's aus, Adrian? Alles in Ordnung da unten?" fragte ich lächelnd, während ich mich vor dem Spiegel noch einmal betrachtete und das Kleid zurechtzupfte.

Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen, als er sich aufsetzte und mich aufmerksam beobachtete. Sein Blick war ruhig und durchdringend, während er schwieg.

„Hübsch", sagte er schließlich, sein Lächeln unübersehbar.

Mit roten Wangen drehte ich mich zu ihm um, unsicher, ob sein Kommentar ernst gemeint war. Das schüchterne Lächeln, das sich auf meinen Lippen ausbreitete, verriet, dass ich mich über das Kompliment freute, obwohl ich mir nicht ganz sicher war, ob ich es als aufrichtig oder einfach nur freundlich interpretieren sollte.

"Amber war gerade noch einmal hier und hat das Programm vorbeigebracht", sagte er dann, stand langsam auf und lief auf eine Kommode zu, auf der ein Flyer lag. Er überreichte ihn mir und schaute mich mit ruhigen Blick an.

„Sie ist ziemlich...", begann er, als ob er die richtigen Worte suchte.

„Umwerfend, perfekt, wunderschön?", flüsterte ich leise, während ich das schmerzliche Gefühl in meiner Brust versuchte zu verbergen. Ich wollte keine andere Frau schlechtreden, und Neid war mir fremd. Doch das Gefühl, nicht genug zu sein, ließ sich nicht ignorieren.

Adrian betrachtete mich einen Moment, bevor er sagte: „Sie ist schon hübsch, das stimmt. Aber es wirkt irgendwie ein bisschen gezwungen. Alles an ihr scheint so geplant und durchdacht. Es ist nicht, dass sie nicht attraktiv ist, aber es wirkt fast so, als ob sie jeden Schritt genau einstudiert hat."

Ich schluckte schwer und versuchte, Amber zu verteidigen. „Vielleicht ist sie einfach nur nervös. Schließlich ist das eine große Hochzeit. Vielleicht versucht sie einfach, alles perfekt zu machen."

Adrian sah mich nachdenklich an. „Das könnte sein."

Er zuckte mit der Schulter und ich wandte mich wieder dem Programm in meinen Händen zu. „Whiskey-Tasting, Afternoon Tea, Bootstour", zählte ich einige der Höhepunkte auf, die in den nächsten Tagen auf uns warteten.

„Wie viel Geld haben die beiden denn eigentlich?", fragte Adrian spöttisch, während er sich zurücklehnte und die Augenbrauen hochzog.

„Noah ist zwar nicht arm, aber reich sind sie auch nicht", erwiderte ich nachdenklich. „Das muss wohl von ihrer Seite kommen. Vielleicht haben sie die Hochzeit großzügig finanziert bekommen oder einfach ein großes Budget eingeplant. Diese Art von Events ist nicht gerade billig."

Adrian schnaubte leise und schüttelte den Kopf. „Manchmal frage ich mich, ob diese ganzen Extravaganz-Events wirklich notwendig sind. Aber gut, wenn man es sich leisten kann und es einem wichtig ist..."

Er hatte Recht, all der Prunk war tatsächlich nicht unbedingt nötig. So wie ich Noah kannte, war er immer ein ziemlich bodenständiger Typ gewesen. Ich erinnerte mich an die Zeiten, als wir gemeinsam unterwegs waren – der Roadtrip durch Italien, zum Beispiel. Wir hatten in einem alten, klapprigen Camper übernachtet, die Nächte mit dem Klang der Zikaden verbracht und uns von einfachem, aber köstlichem Essen aus kleinen Landgasthöfen ernährt. Die besten Erinnerungen waren nicht die von Luxus, sondern die von spontanen Abenteuern und authentischen Erlebnissen.

Mit einem Lächeln dachte ich an diese Zeiten zurück. Wir hatten damals in einer kleinen italienischen Stadt Halt gemacht und die beste Pizza meines Lebens gegessen. Die Chefin der Pizzeria hatte uns herzlich empfangen, und wir hatten uns stundenlang über das Leben und die Liebe unterhalten. Es war eine Zeit ohne Schnickschnack, ohne große Erwartungen – einfach nur wir beide, die ein Stückchen Welt erkundeten und uns dabei selbst entdeckten.

Jetzt, hier, in dieser luxuriösen Umgebung, schien all das irgendwie fern. Noah war nicht mehr der Junge, mit dem ich diese unbeschwerten Momente geteilt hatte. Der Prunk und Aufwand seiner Hochzeit standen in starkem Kontrast zu dem Bild, das ich von ihm im Kopf hatte. Vielleicht war das alles wirklich Amber geschuldet.

"Ich versteh es auch nicht", murmelte ich, als ich merkte, dass ich gedanklich abgedriftet war.

"Immerhin wird es dann nicht langweilig", sagte Adrian und schaute über meine Schulter auf das Programm. "Eine Feier wie diese hat ja auch ihren eigenen Charme, auch wenn sie nicht jedem gefallen mag."

"Sie starten heute direkt mit einem großen Abendessen", las ich laut vor und seufzte. So schnell würde ich Noah also schon wieder begegnen? Der Gedanke allein ließ mein Herz schneller schlagen.

"Bis dahin ist es noch ein wenig hin. Wir könnten solange ein wenig die Klippe entlanglaufen", schlug Adrian vor.

Die Aussicht, frische Luft zu schnappen und die Klippen entlang zu schlendern, erschien mir angenehm. Die Idylle der Insel, die sanfte Brise und das Rauschen des Meeres würden vielleicht helfen, meine nervösen Gedanken zu beruhigen. "Das klingt nach einer guten Idee", sagte ich schließlich und griff nach meiner Jacke. Er lächelte und tat es mir gleich, ehe wir das Zimmer verließen.

Als wir die Burg verließen und den Garten durchquerten, öffnete sich der Blick auf die Klippen, die sich majestätisch über dem türkisfarbenen Wasser des Atlantiks erhoben. Der Weg entlang der Klippe war schmal und windig, gesäumt von wild wachsenden Gräsern und bunten Wildblumen, die sich im leichten Wind wiegten. Der Blick über das Meer war atemberaubend, die Wellen schlugen sanft gegen die Felsen, und die salzige Luft brachte eine erfrischende Brise mit sich.

Adrian und ich schlenderten in gemächlichem Tempo, die Füße in den weichen Grasabschnitten abgedrückt. Der Weg führte uns weiter entlang der Klippen, mit immer wiederkehrenden Ausblicken auf das tiefblaue Wasser und die schroffen, zerklüfteten Felsen darunter. Die Szenerie war so idyllisch und friedlich, dass sie fast surreal wirkte, besonders im Vergleich zur festlichen Anspannung, die uns später am Abend erwarten würde.

Meine Gedanken schweiften zurück zu Noah und Amber. Erinnerungen an unsere gemeinsame Zeit, die uns so nahe gebracht hatte, mischten sich mit der gegenwärtigen Realität. Ich erinnerte mich an die Zeiten, als Noah und ich zusammen die Welt erkundet hatten – ein Roadtrip durch Italien, unbeschwerte Nächte unter dem Sternenhimmel, das einfache, aber glückliche Leben in Cornwall.

Aber jetzt, hier auf dieser eleganten Hochzeit, wirkte Noah wie jemand, den ich nur noch von alten Fotos kannte. Alles an der Hochzeit, jeder Luxus und jedes Detail schien in scharfem Kontrast zu dem Leben zu stehen, das wir früher geteilt hatten. Ich fragte mich, ob Noah sich durch Amber so sehr verändert hatte oder ob diese ganze Extravaganz von ihr stammte. Vielleicht hatte er sich einfach den Umständen angepasst, oder er war tatsächlich so weit von dem entfernt, was ich von ihm gekannt hatte.

Amber – die Begegnung mit ihr war noch frisch in meinem Gedächtnis. Ihre makellose Erscheinung und das perfekt inszenierte Auftreten ließen mich an ihren wahren Beweggründen zweifeln. Ihre Perfektion wirkte so geplant, so berechnend, dass es schwer war, einen echten Eindruck von ihr zu gewinnen. 

„Bist du noch da?" Adrian fragte sanft, und ich stellte überrascht fest, dass ich stehen geblieben war, den Blick über das Wasser gerichtet. Ich nickte, riss mich aus meinen Gedanken und lächelte ihn an.

„Ja, alles gut. Ich hab nur nachgedacht", antwortete ich. „Es ist einfach so surreal, all das hier. Aber es ist schön, diesen Moment hier draußen zu haben."

Adrian nickte verstehend, als wir weitergingen, die Aussicht und die friedliche Atmosphäre genießend. Der Wind spielte mit meinen Haaren, und für einen kurzen Moment konnte ich die Welt um mich herum vergessen, während ich den klaren, frischen Duft des Meeres tief einatmete. Es war genau das, was ich brauchte, um mich zu entspannen und die bevorstehende Herausforderung ein wenig gelassener zu betrachten.

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