Kapitel 3 - Vorbereitungen

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Die Tage verschwammen in einem endlosen Strom von Worten, Sätzen und Seiten, während ich mich so sehr in die Überarbeitung meiner Masterarbeit vertiefte, dass die Zeit einfach an mir vorbeizog. Jeder Tag begann und endete mit dem Korrigieren, und ich war so fokussiert, dass ich kaum bemerkte, wie der Tag der Hochzeit unaufhaltsam näher rückte. Der Druck und die Konzentration waren wie ein Schutzschild, der mich davon abhielt, zu tief in meine Gedanken abzutauchen – Gedanken, die mich sonst nur zu sehr mit dieser verfluchten Hochzeit und zu Noah zurückgeführt hätten.

Die Arbeit an meiner Masterarbeit bot mir die perfekte Flucht, eine willkommene Ablenkung von den quälenden Fragen, die ich nicht beantworten wollte. Es war leichter, sich mit Fußnoten und Formulierungen auseinanderzusetzen, als mich dem emotionalen Durcheinander zu stellen, das Noahs Einladung in mir ausgelöst hatte. Denn es war nicht nur eine Hochzeitseinladung; es war das endgültige Zeichen, dass unser Kapitel abgeschlossen war – ein Kapitel, das ich insgeheim nie ganz bereit gewesen war, zu beenden.

Unsere Zeit zusammen war schön gewesen. Nicht spektakulär, nicht dramatisch – einfach schön. Doch am Ende hatte es nicht gereicht. Er war nicht bereit gewesen, für uns die Strapazen einer Fernbeziehung auf sich zu nehmen. Und obwohl wir ohne Streit, ohne Bitterkeit auseinandergegangen waren, nagte der Schmerz dieser Entscheidung noch immer an mir. Es war nicht das Ende, das ich gewollt hatte. Es war das Ende, das er gewählt hatte, weil er nicht bereit gewesen war, alles für unsere Beziehung zu geben. Und genau das hatte mich tief verletzt.

Damals waren wir noch jung gewesen, und vielleicht war es naiv von mir, an das Märchen von der großen Liebe zu glauben, die alle Hürden überwindet. Doch ein Teil von mir hatte immer an diese stille Hoffnung festgehalten, dass wir eines Tages wieder zueinanderfinden könnten. Dass es nur eine Frage der Zeit und des richtigen Moments wäre. Aber jetzt – jetzt war diese Hoffnung endgültig zerschlagen, und die Realität, die ich so lange verdrängt hatte, holte mich mit voller Wucht ein.

Vielleicht war es genau diese unerfüllte Hoffnung gewesen, die mich all die Jahre blockiert hatte. Kein Wunder, dass keine meiner Beziehungen danach wirklich funktionierte. Im Nachhinein erkannte ich, dass ich nie ganz mit Noah abgeschlossen hatte. Dieser dämliche Wunsch nach einer zweiten Chance hatte wie ein unsichtbares Hindernis zwischen mir und jedem neuen Anfang gestanden.

Und jetzt? Jetzt heiratete dieser verfluchte Mistkerl tatsächlich – als wäre es das Einfachste der Welt.

"Wir gehen shoppen!", Helen kam in mein Zimmer gestürmt und grinste mich an.

"Shoppen?", fragte ich verwirrt.

"Ja, du musst ganz hinreißend aussehen für die Woche und dafür gehen wir shoppen", erklärte sie dann.

"Seh ich nicht immer ganz hinreißend aus?", fragte ich sarkastisch.

"Na klar, aber nicht so hinreißend, wie ich's meine."

"Dir ist schon klar, dass ich diese Hochzeit nicht sprengen will? Ich geh hin, sehe alte Freunde dort und gratuliere ihm. Finito", sagte ich, machte dabei eine Handbewegung, die das Gesagte nochmals unterstrich.

"Trotzdem solltest du gut aussehen. Wer weiß, wie sie sich da alle entwickelt haben", sagte Helen beiläufig und schaute dabei mit arroganter Miene, auf ihre Nägel.

"Na gut", sagte ich dann ergeben und erhob mich vom Stuhl.

"Yay, sehr gut!", aufgeregt, klatschte sie in die Hände.

Ich hasste die Londoner Shoppingstraßen. Sie waren immer überfüllt, laut und schmutzig. Menschenmengen drängten sich hektisch aneinander vorbei, während hupende Autos und das Rattern der Busse im Hintergrund einen konstanten Lärmteppich erzeugten. Doch trotz des Chaos gab es einen unschlagbaren Vorteil: Man konnte hier wirklich alles finden. Egal, was man suchte – irgendwo zwischen den endlosen Schaufenstern würde man fündig werden.

Helen hingegen schien sich in diesem Trubel wie ein Fisch im Wasser zu fühlen. Ihre Augen leuchteten vor Begeisterung, während sie mich von einem Geschäft zum nächsten zog. Ihre Schritte waren schnell und zielstrebig, ihre Energie schien grenzenlos. Wo ich mich durch den Lärm und die Menschenmassen kämpfte, schien Helen nur noch mehr aufgeweckt zu werden.

Sie präsentierte mir Kleider, bei denen ich sofort dachte, dass sie zu viel Haut zeigten – doch Helen bewertete sie mit einem begeisterten Daumen nach oben. „Das steht dir hervorragend!", verkündete sie, als ob sie ein verborgenes Juwel entdeckt hätte. Jeder Kommentar von ihr schien aus purer Freude und Überzeugung zu kommen, als ob diese Kleider der Schlüssel zu einem glamourösen Geheimnis wären.

Gleichzeitig quittierte sie die Kleider, die ich hervorzog, als „nicht der Hit" mit einem entschiedenen Stirnrunzeln und einem leicht frustrierten Kopfschütteln. Ihre Reaktionen waren ein eindringlicher Kontrast zu meinem inneren Unwohlsein – für sie waren diese Entscheidungen ein persönlicher Kampf, den sie nicht verlieren wollte.

"Das ist keine Pyjama Party", hatte sie gesagt, während sie die Kleider wieder zurück an die Stange hing.

"Warst du schon mal dort? Obwohl August ist, ist die Höchsttemperatur 18 Grad. Ich brauche zumindest ein paar Pullis und Jeans", erklärte ich ihr.

"Okay, für Tagsüber in Ordnung. Aber abends, wenn gefeiert wird, brauchst du ein Kleid mit Wow-Effekt", bestand sie und zog ein Kleid hervor, was ihre Worte definitiv unterstrich.

Ein dunkelgrünes Satinkleid mit Spagetthi-Trägern, welches sich an meine leichten Kurven schmiegte und meine mittelgroße Oberweite hervorragend zur Geltung brachte. Es passte perfekt zu meinen hellbraunen Haaren und meinen grünen Augen.

"Wow", hauchte sie, als ich aus der Kabine trat und mich einmal drehte.

"Das ist perfekt!", sagte sie dann erfreut.

"Nicht zu viel?", murmelte ich. Normalerweise trug ich keine enganliegende Kleider.

"P E R F E K T", sagte Helen nochmal deutlich und betonte dabei jeden Buchstaben.

"Eben gerade nicht zu viel. Hätte ich was mit Tüll und so ausgesucht, okay. Aber das sieht hammer aus", fügte sie dann hinzu

Nervös nestelte ich an dem Stoff herum, während ich in den Spiegel blickte.

"Okay, ich nehms", sagte ich dann nach einer Weile.

Ein erfreutes Lächeln erschien auf Helens Gesicht, welches ich vorsichtig erwiderte.

"So ein paar von solchen Kleidern und tolle Schuhe und du bist perfekt ausgestattet", sagte sie dann und weiter ging unsere Shoppingtour.

Am Abend fielen wir beide erschöpft auf mein Bett. Umgeben von Taschen, in denen Schuhe und Kleider waren.

"Das war erfolgreich", sagte Helen zufrieden.

Ich nickte und bewegte meine Füße ein wenig, die vom ganzen Laufen noch immer schmerzten.

"Wie fühlst du dich?", fragte sie dann nach einer Weile und drehte sich zu mir, stützte dabei ihren Kopf auf ihre Hand.

"Nervös", murmelte ich ehrlich.

"Du bist nicht alleine dort. Und vielleicht merkst du, dass es für dich wirklich aus und vorbei ist", sagte sie dann.

"Ja, ich bin mir eigentlich sicher, dass es das ist", erwiderte ich, während ich an die Decke starrte.

"Eigentlich", grinste Helen.

"ahh", rief ich aus und legte meine Hände über mein Gesicht, verdeckte so meine deprimierende Sicht auf die weiß-gestrichene Decke.

"Wenn es dir zu viel wird, gehen wir uns einfach die Schafe anschauen", grinste Helen und entlockte mir doch tatsächlich ein Lachen.

"Oder trinken ein gutes altes Ale in einem alten Pub an der Klippe", fügte ich hinzu.

"Oder hüpfen, frohlockt durch die Fehler", sagte sie, verstellte ihre Stimme dabei so, als käme sie aus dem 19. Jahrhundert.

"Oder gehen Eisbaden", fuhr ich fort. Eine Weile war es still, ehe wir uns angrinsten. "Nee, das ist zu kalt", entschieden wir uns gemeinsam und lachten.

Zwischen Herz und HorizontWo Geschichten leben. Entdecke jetzt