II / Umschlag, verborgene Zeichen und Verwirrung

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Ich stand vor dem Spiegel in meiner kleinen Wohnung und strich ein letztes Mal über meine blonden Haare, bevor ich sie in einem lockeren Dutt zusammenband. Meine Gedanken hingen noch immer bei der Sonnenblume, die der mysteriöse Junge am Tag zuvor im Café hinterlassen hatte. Es war eine simple Geste gewesen, doch sie hatte in mir ein Gefühl geweckt, das ich lange nicht mehr gespürt hatte. Aufregung. Hoffnung. Und Angst. Angst vor dem Fremden. Davor, was hinter ihm lauerte.

– Nur eine Blume – murmelte ich vor mich hin, während ich mich auf dem Weg zur Arbeit befand.

Doch der Gedanke ließ mich nicht los. Warum hatte er mir ausgerechnet eine Sonnenblume geschenkt? War das wegen meines Posts auf Instagram? Warum hatte er überhaupt eine Blume für mich dagelassen? In der stillen Morgenluft summte diese Frage wie eine unausgesprochene Melodie in meinem Kopf.

Als ich das Café betrat, war es noch ruhig. Die frischte Brise brachte die Vorhänge zum Flattern. Die morgendliche Sonne tauchte den Raum in ein warmes Licht, das die Holztische und die Blumensträuße auf den Fensterbänken golden glänzen ließ. Ich stellte meine Tasche unter dem Tresen ab und begann, die Kaffeemaschine für den Tag vorzubereiten. Der Geruch von frischem Kaffee vermischte sich mit dem dezenten Duft der Blumen und für einen Moment fühlte sich alles so vertraut und friedlich an. Ich liebte es.

Doch die Stille wurde bald durch das leise Klingeln der Eingangstür unterbrochen.

– So früh habe ich mit dir nicht gerechnet – sagte ich, noch bevor ich mich Richtung Tür umdrehte.

– Mit solch einer Unfreundlichkeit habe ich auch nicht gerechnet – antwortete der ältere Mann und zog eine unangenehme Grimasse.

– Es tut mir enorm leid! – entschuldigte ich mich sofort bei dem Gast und wurde ganz rot im Gesicht. – Was kann ich für Sie tun?

– Kaffee toogoo – antwortete er ganz trocken und warf ein paar Münzen auf den Tresen.

– Entschuldige, was für einen Kaffee hätten Sie gerne? – fragte ich nach, weil ich ihn akustisch nicht verstanden hatte.

– TOOGOO! – sagte er deutlich lauer.

– Ach, Kaffee to go, verstehe.

Es war mir sehr peinlich, dass ich ihn so unfreundlich begrüßt hatte. Aber es war auch einfach nur ein Versehen und ich entschuldigte mich doch bei ihm. Sein jetziges Arschloch-Verhalten konnte er sich deshalb sparen.

Er nahm sein Getränk in die Hand und verließ das Café, ohne sich zu verabschieden oder wenigstens ein "Dankeschön" dazulassen. Der Tag fing ja super an.

Doch eine kurze Weile später begrüßte ein kleiner Sonnenstrahl das Lokal. Ich sah auf und erblickte den namenlosen Jungen, der gerade den Raum betrat. Er trug wie immer ein weißes T-Shirt und hatte die Kapuze seines Hoodies über den Kopf gezogen, um sich vor dem kühlen Morgenwind zu schützen. Er ging direkt zu seinem üblichen Platz am Fenster, doch bevor er sich hinsetzte, sah er zu mir hinüber und schenkte mir ein kurzes, scheues Lächeln.

Natürlich erwiderte ich das Lächeln, konnte aber nicht verhindern, dass meine Augen sofort zu der Sonnenblume glitten, die ich in einer kleinen Vase auf dem Tresen platziert hatte. Er bemerkte meinen Blick und seine Lippen verzogen sich leicht, als hätte er meine Gedanken gelesen.

– Möchtest du wieder einen Cappuccino, Fremder? – fragte ich, als ich zu ihm hinüberging.

– Ja, bitte – antwortete er und setzte sich. – Und vielleicht auch ein Croissant, Stella.

Er machte bei meinem Stella-Fremder-Spiel mit, klärte mich aber über seinen Namen nicht auf. Wie frustrierend! Ich nickte und ging zurück zum Tresen, um seine Bestellung vorzubereiten. Während ich den Cappuccino machte, dachte ich darüber nach, wie ich das Thema der Blume ansprechen könnte. Ich wollte nicht zu direkt sein, aber ich spürte, dass ich mehr über diesen zurückhaltenden Jungen erfahren wollte, der offenbar etwas Besonderes in mir sah. Ich musste es sogar erfahren!

Wenn er mir keine Blumen schenkt, dann will ich ihn nichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt