Kapitel 44

2 0 0
                                    

Ein Moment der Ruhe 

Nach dem Frühstück hatte sich Seonghwa diskret mit Hongjoong in sein Zimmer zurückgezogen. Der jüngere Prinz war noch immer blass, die Scherben des gestrigen Abends hatten ihre Spuren auf seiner Haut hinterlassen, und Seonghwa konnte die Anspannung in seinen Bewegungen spüren. Er wollte ihm helfen, sich wieder ein wenig normaler zu fühlen, und das bedeutete, dass er heute Morgen eine besondere Sorgfalt an den Tag legen wollte. „Komm, ich helfe dir beim Anziehen," sagte Seonghwa sanft, als sie das Zimmer betraten. Hongjoong zögerte einen Moment, sah sich um, als würde er nach etwas Vertrautem suchen, bevor er schließlich nickte und sich auf die Bettkante setzte. Seonghwa ging zu dem großen Kleiderschrank und öffnete die Türen, um eine Auswahl an Kleidung zu treffen. Er entschied sich für eine schlichte, aber elegante Tunika in einem tiefen Blau, die gut zu Hongjoong's blasser Haut und den dunklen Augen passte. Dazu wählte er eine schlichte Hose und ein paar weiche Lederschuhe. Er legte die Kleidung neben Hongjoong auf das Bett und kniete sich vor ihn, um ihm zunächst die Bandagen um den Arm zu lösen, die von der letzten Nacht übrig geblieben waren. „Tut es noch sehr weh?" fragte Seonghwa leise, als er vorsichtig die Bandagen abnahm und die darunterliegenden Schnitte begutachtete. „Es ist besser," antwortete Hongjoong ebenso leise und versuchte, ein kleines Lächeln aufzusetzen. Doch Seonghwa konnte sehen, dass der Schmerz noch nicht ganz verschwunden war, weder der körperliche noch der emotionale. „Gut," sagte Seonghwa und stand auf, um einen frischen Verband zu holen. „Ich werde es neu verbinden, bevor wir uns anziehen. Wir wollen schließlich, dass es schnell heilt." Mit sanften, geübten Bewegungen legte Seonghwa den neuen Verband an und half Hongjoong dann in die Tunika und die Hose. Er achtete darauf, dass alles bequem saß und nicht an den Wunden rieb. Hongjoong ließ es schweigend geschehen, seine Augen folgten Seonghwa's Bewegungen, als versuchte er, in den geschickten Händen seines Freundes eine Ablenkung von dem Schmerz zu finden. Nachdem Hongjoong angezogen war, trat Seonghwa einen Schritt zurück und betrachtete sein Werk. „Das steht dir gut," sagte er lächelnd, und dieses Mal schaffte es Hongjoong, das Lächeln zu erwidern, wenn auch nur schwach. „Danke, Seonghwa," murmelte Hongjoong und spielte nervös mit den Fingern seiner Hände. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich tun würde." Seonghwa spürte ein warmes Gefühl in seiner Brust, doch er zwang sich, ruhig zu bleiben. „Du bist stärker, als du denkst, Hongjoong. Aber ich bin froh, dass ich für dich da sein kann." Nun war es an der Zeit, sich selbst umzuziehen. Seonghwa griff nach einem einfachen, aber edlen weißen Hemd und einer schlichten, dunkelbraunen Hose. Er zog sich schnell an, wobei er die Bewegungen routiniert und effizient ausführte. Nachdem er fertig war, schnappte er sich einen kleinen Lederbeutel, den er zuvor vorbereitet hatte. Darin lagen zwei Bücher, eines für ihn selbst und eines für Hongjoong –Geschichten, die sie vielleicht zusammen lesen könnten, um ein wenig Ablenkung und Trost zu finden. „Bereit?" fragte er, als er den Beutel über seine Schulter warf. Hongjoong nickte und erhob sich. Gemeinsam verließen sie das Zimmer und machten sich auf den Weg nach draußen. Die Morgenluft war frisch, und die ersten Sonnenstrahlen erhellten den Schlossgarten, als sie die Türschwelle überschritten. Die Vögel zwitscherten fröhlich, und ein leichter Wind wehte durch die Bäume, ließ die Blätter sanft rascheln. Es war eine willkommene Abwechslung von der Enge des Schlosses und den Ereignissen der letzten Tage. Draußen warteten bereits Baekhyun und Chanyeol auf sie, beide in ruhige Gespräche vertieft. Als sie die jungen Männer kommen sahen, erhoben sie sich und lächelten ihnen zu. „Da seid ihr ja," sagte Baekhyun mit einer sanften Stimme, die jeden Anflug von Hektik in der Morgenstunde verblassen ließ. „Wollen wir?" Sie begannen ihren Spaziergang durch den Garten, ohne ein festes Ziel vor Augen. Die Stille war angenehm, und Seonghwa merkte, wie Hongjoong allmählich entspannter wurde. Die frische Luft, die Natur und die Nähe der Familie wirkten heilend, wenn auch langsam. Nach einer Weile erreichten sie eine große Eiche, deren weit ausladende Äste einen willkommenen Schatten spendeten. „Lass uns hier ein wenig rasten," schlug Chanyeol vor und begann, eine Decke auf dem weichen Gras auszubreiten. Baekhyun half ihm dabei, und bald war ein gemütlicher Platz geschaffen, an dem sie sich niederlassen konnten. Seonghwa setzte sich neben Hongjoong und zog den Beutel von seiner Schulter. „Ich habe etwas mitgebracht," sagte er leise und zog die Bücher heraus. „Vielleicht hilft es uns, ein wenig zu entspannen." Hongjoong nahm eines der Bücher entgegen und sah Seonghwa dankbar an. „Danke," flüsterte er und schlug vorsichtig die erste Seite auf. Seonghwa lehnte sich zurück und begann ebenfalls zu lesen, während seine Eltern sich ein wenig weiter entfernt unterhielten. Der Morgen verstrich in friedlicher Stille, nur unterbrochen vom gelegentlichen Rascheln der Blätter und dem leisen Umblättern der Seiten. Seonghwa spürte, wie die Anspannung, die ihn seit Tagen begleitet hatte, allmählich von ihm abfiel. Hier, unter dem schützenden Dach der alten Eiche, fühlte er sich sicher und geborgen – und er wusste, dass Hongjoong dasselbe fühlte. Es war ein seltener Moment der Ruhe in einer Welt voller Verantwortung und Herausforderungen. Und in diesem Moment, so entschied Seonghwa für sich, war alles in Ordnung.

Blue Blood (pausiert)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt