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Familie Seil und Freunde essen im Wohnzimmer auf der Couch anstatt am Esstisch dahinter. Rominas Zeichnungen hängen über einer Reihe mittelhoher dunkelblauer Bücherregale. Der große beige Teppich hat Flecken und auch hier hat das Chaos sich ausgebreitet, zwischen Zeitungen, Papierkram aus Henries Laden, stehen immer wieder verteilt Tassen und Teller herum. In einer schimmelt ein Kaffee sich zur Unkenntlichkeit. Überall auf den Regalen stehen Fotos, von Henrie und Steffi, Henrie und Romina, Romina als Kind, Romina mit ihrem Abiturzeugnis. Ein Foto von dem gemeinsamen letzten Weihnachten mit Steffi, Romina und Henrie vor dem kleinen Weihnachtsbaum in Rominas WG in Konstanz. Und ein Foto von Finn, Claas und Romina, als Kinder barfuß im Watt. Im Hintergrund klimpert der NDR, im Vordergrund klimpert Finns Gabel auf dem Porzellan. Er kratzt die Reste Bolognese zusammen, während Romina nicht anders kann als immer wieder verstohlen zwischen ihm und ihrem Vater hin und her zu sehen. 

Ob Finn auf Steffis Beerdigung war?, schießt es ihr durch den Kopf. 

Die Wut über Finns Anwesenheit ist langsam abgeklungen, jetzt sind da nur noch tausende Fragen und Unsicherheiten in ihrem Kopf. Am liebsten würde sie gar nichts wissen wollen und gleichzeitig würde sie ihn am liebsten mit Fragen löchern. Mit all den Fragen, die sie Henrie nicht gestellt hat, nicht stellen wollte. Wie geht es ihm? Was macht er? Wo ist er? Wieso hat er sich nie gemeldet?

»Wie geht es Claas? Wie läuft seine Arbeit?«, fragt Henrie. Finn zuckt mit den Schultern, dann sieht er Romina an. »Er macht 'ne Ausbildung zum Kfz-Mechatroniker«, erklärt er mit unüberhörbarem Vorwurf darüber, dass sie das nicht wissen kann, weil sie einfach abgehauen hat, in der Stimme. Dann sucht sein Blick Henrie. »Gut. Sein Boss ist ziemlich korrekt und jetzt, wo die Saison wieder richtig startet, ist auch mehr zu tun.«

»Schön, das freut mich.«

»Ja, mich auch«, gibt Romina kleinlaut dazu. 

Finns Gesichtsausdruck ändert sich, der Kiefer spannt sich an. Als hätte sie mit ihren Worten direkt den Finger in eine tiefe Wunde gelegt. Er schmunzelt verächtlich. 

»Klar. Als ob«, murmelt Finn in seine Bolognese hinein.

Henrie räuspert sich, steht auf und nimmt seiner Tochter den Teller ab. Finns Teller lässt er ihm. »Ich hol mir noch einen Nachschlag. Möchtet ihr auch?«

Fast synchron schütteln Finn und Romina die Köpfe. Henrie nickt verstehend, macht auf dem Absatz kehrt. Romina schaut ihm nach, vergewissert sich, dass er nicht noch im Flur steht. Dann wendet sie den Kopf wütend zu Finn. »Was zum Fick machst du hier?«, zischt sie.

»Was zum Fick machst du hier?« 

»Ich wohne hier.«

»Ach wirklich? Wo warst du denn die letzten dreihundertfünfundsechzig Tage?«

»Das geht dich nichts an. Abgesehen davon hast du dich bestimmt in der Zeit hier eingezeckt.«

Finn will etwas entgegnen, aber Henrie kommt glücklich dreinblickend mit seinem vollen Teller zurück. »Schön, euch beide wieder zusammen zu sehen.«

Finn ringt sich ein Lächeln ab, sieht zu Romina. »Wieso bist du eigentlich wieder da?« Die Provokation in seinem Blick lässt wieder Romina wütend werden. Jetzt würde sie ihn am liebsten doch gar nichts mehr fragen. Ist doch scheißegal, wie es Finn Bukowski geht. 

»Unsere kleine Architektin hat Semesterferien.« Henrie schiebt sich eine Gabel Spaghetti in den Mund. Er ist so unbekümmert, als würde er die Wut in der Luft gar nicht registrieren. 

Finn stellt seinen Teller auf den Couchtisch. Romina versteift sich, beobachtet jede seiner Bewegungen. Gleich wird er etwas sagen, irgendetwas Verletzendes. Er überlegt sich noch, was er sagt, aber gleich, da wird er nochmal in ihr Herz reinstechen. Ganz sicher. Er schaut schon so. 

SYLTWo Geschichten leben. Entdecke jetzt