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Finn hatte nicht im Gästezimmer geschlafen. Finn war irgendwann abends gegangen, nachdem er auf seinem Handy herumgetippt hatte.

Romina hatte das restliche Geschirr abgewaschen und wieder ordentlich in den Schränken verräumt, wollte dann selbst in ihr eigenes Bett kriechen.

Das Erste, was ihr beim Betreten ihres Zimmer aufgefallen war, war, dass die Bettwäsche noch vom letzten Sommer war. Sie roch noch nach Finn und der weiße Fleck auf dem Laken ließ in Romina die Galle aufsteigen. Einen Augenblick fühlte sie sich schmutzig und ekelte sich zugleich vor sich selbst. Und dann war da noch dieses andere Polaroid im Kopf, nicht länger als ein Frame flimmerte es in ihren Gedanken auf. Wie sehr Finns Fingerkuppen doch auf der Haut gekribbelt hatten. Wie seine Küsse nach Lagerfeuer geschmeckt hatten und er nach Salzwasser gerochen hatte.

Wo ist denn deine Selbstachtung?, hatte Isa damals sauer gefragt, als Romi es erzählt hatte.

»Wo ist denn deine Selbstachtung Isa?«, grummelte Romi, begann dann kurzentschlossen die letzten Beweise des Sommers zu vernichten, räumte den Raum bis um vier Uhr morgens noch um, verbannte Fotos von der Collage über dem Bett und Klamotten aus dem Schrank.

Verbannte Finn verschissen Bukowski.

Sie warf nichts weg, sondern nur auf einen Haufen in die eine Ecke des Zimmers, die jeder hatte. Die Ecke, in der eben der Müll irgendwann landete, der noch zu schade für den Müll war.

Der Haufen, der sie am nächsten Morgen beim Augenaufschlagen verurteilend beobachtet.

Romina kneift die Augen zusammen, dreht den Kopf zur Decke. Ihr Zimmer in Westerland ist um einiges größer als das poplige WG-Zimmer in Konstanz. Ein Unterschied, der ihr erst jetzt wirklich bewusst wird. Man gewöhnt sich so schnell an Veränderungen, dass man sie erst registriert, wenn man sich wieder am Ursprungspunkt befindet. Wenn man weggeht und zurückkommt und plötzlich ein anderes Gefühl hat, wenn man sich die Dinge ansieht. Dann ist das Zimmer plötzlich größer, die Straßen enger, die Stadt leiser. Das Einzige, was sich kaum ändert, sind die Menschen um einen herum. Denn für sie hat sich nichts geändert. Ihre Zimmer waren immer groß, die Straßen immer eng, die Stadt immer leise.

Nur man selbst ist jemand anderes geworden.

Denn wer das alte verlässt, kann bei der Rückkehr darin etwas neues sehen.

Romina richtet sich auf, schlägt die Bettdecke zur Seite und sucht nach ihrer Motivation aufzustehen.

Aus ihren beiden kleinen Fenster heraus sieht man weder Meer noch Düne, sondern den Garten des Nachbarhauses. Ein Ferienhaus, das außerhalb der Saison leer steht. Früher hatte noch eine alte Dame darin gewohnt, dann ist sie gestorben und die Erben hatten das Haus verkauft, anstatt zu bewohnen.

Eine gängige Prozedur auf der Insel. Das Aussterben der Sylter.

Wirkliche Insulaner, die noch als Geburtsort Westerland im Personalausweise haben, wird es nur noch selten geben. Die Geburtenstation wurde etwa zehn Jahre nach Rominas Geburt geschlossen. Jetzt muss man entweder auf eine Hausgeburt zurückgreifen oder schon Wochen vor dem errechneten Geburtstermin aufs Festland gehen. Denn im Falle einer Geburt bei Sturm würde kein Hubschrauber eine Starterlaubnis erlangen und einen dorthin bringen können.

In gewisserweise war es hier eben doch nur ein Leben auf dem Land. Mit Kleinstädten überlaufen von Touristen, die behaupten, dass Stammgast sein sie zum Einheimischen machen würde.

Romina zieht sich Hose und Hoodie über, watschelt vorbei an Familienfotos den Flur zur Treppe herunter ins Erdgeschoss. Noch immer Steffis Bastelkram bei der Haustür.

Steffi starb bei einem Fahrradunfall. Sie wurde nachts bei Kampen auf der Straße von einem Auto erwischt, wie ein beschissenes Reh. Der Fahrer ist abgehauen. Die Polizei hat einen betrunkenen Touristen vermutet, aber nie jemanden gefunden.

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