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Das Handy vibriert erneut auf dem Klapptisch vor dem Bungalow. Es summt eine ganze Weile nach Aufmerksamkeit ringend, dann erstickt das Geräusch. Eine Benachrichtigung taucht auf, gesellt sich zu den anderen. Drei verpasste Anrufe. Isa. Vier ungelesene Nachrichten. Isa.
Finn schiebt den Filter in seine gedrehte Zigarette, leckt den Klebestreifen an und rollt den Tabak ein. Im Hintergrund läuft BHZ über die kleine Musikbox, die provisorisch am Karabinerhaken über dem Einfang hängt. 

In aller Ruhe nimmt Finn sein Feuerzeug, direkt neben dem Handy, in die Hand, zündet die Zigarette an und atmet tief ein. Müde schließt er die Augen. 

Gestern Abend hat er es Isa erzählt. Romi ist zurück. 

Romi. Da war Isa schon wütend, dass er sie beim Spitznamen genannt hat. 

Romi ist Isas wunder Punkt. 

Romi ist jedermanns wunder Punkt. 

Romi brennt auf der Haut, in der Haut. Als würde man das Feuerzeug dran halten. 

Schau mal wie lange du es aushältst. 

Schau mal wie lange du sie aushältst. 

Isa wäre es am liebsten, dass Romi nie zurückgekommen wäre. Sie fühlte sich schon immer in Konkurrenz mit ihr.

Verlustangst, denkt Finn. Sie unterstellt ihm immer, dass er sich verlieren würde, wenn es um Romi geht. Dass er schwach werden würde. 

Romi ist jedermanns wunder Punkt.

Dabei weiß er gar nicht so genau wieso. Sie ist hübsch, ohne Frage. Die rotgefärbten welligen Haare und der chaotische stets vom Wind verwehte Pony. Kluge Augen grüne Augen hat sie. Manchmal fehlt ihnen der Glanz. Manchmal, da kämpft sie zu sehr mit ihren eigenen Gedanken. 

Romi ist jedermanns wunder Punkt.

Finn nimmt einen tiefen Zug seiner Zigarette. 

Im Hintergrund kreischen die Möwen am Strand, es wirkt eigenartig harmonisch mit der Musik aus dem Bluetoothlautsprecher. Im Einklang miteinander. 

Gegenüber vom Bungalow parkt ein altes Ehepaar gerade sein Wohnmobil, will es anschließen. Sie streiten.

»Nein, das gehört da nicht rein.« Entnervtes Seufzen. »Frag doch nach! Herr Gott, Walther!«
Finn lässt sich weiter im Stuhl zurücksinken. Ein Teil von ihm möchte aufstehen und helfen, ein anderer, viel größerer Teil, will es nicht. 

Die Touristen sind so wahnsinnig oft entnervt, wenn sie den Inselboden betreten. Sie sind gestresst, nicht akklimatisiert, haben endlos lange Anreisezeiten hinter sich und keifen sich gegenseitig so lange an, bis die Sonne untergegangen ist. 

Meistens reicht ein Tag, dann ist alles gut. Dann sehen sie das, was man als Sylter jeden Tag sieht. 

Das Meer. Ganz rau schlägt es in Wellen gegen den Strand. Unnachgiebig. Dem Meer bist du egal. Dem Meer ist alles egal. Manchmal wünscht sich Finn, das gleiche für sich. Wie schön wäre es, wie das Meer zu sein. Völlig gleichgültig dem Leben gegenüber. Gesteuert von Ebbe und Flut, trägt es den Sand der Insel ab, völlig gleich, wer darauf lebt.

Wessen Leben es bedroht. 

Wessen Leben es nimmt.

Finn nimmt noch einen Zug, atmet verbrauchten Rauch aus. 

»Das reicht jetzt Marianne! Ich hab es so satt, dass du alles besser weißt!« 

Finn seufzt, noch ein letzter Zug, dann drückt er den Kippenstummel im Aschenbecher aus. Lustlos erhebt er sich vom Stuhl, tritt unter dem Vordach des Bungalows hervor und geht an seine Grundstücksgrenze. 

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