Spontane Pläne
„Dann wünsch ich dir auf jeden Fall ganz viel Spaß heute und grüß Mama und die anderen von mir. Bis bald!", verabschiedete ich mich von meinem 8 Jahre jüngeren Bruder. „Was gibt's?", fragte mein Verlobter Andrew neugierig, als er durch die Tür kam. „James hat heute Abend sein erstes Basketballspiel der Saison. Er ist ziemlich aufgeregt.", erwiderte ich lächelnd und gab ihm einen Kuss zur Begrüßung. Er nahm mich in den Arm und flüsterte: „Weißt du eigentlich wie schön es ist, zu wissen, dass du da bist, wenn man nach Hause kommt. Endlich keine verwackelten Skype Anrufe über zwei Kontinente mehr. In echt ist es doch am schönsten." Ich küsste ihn nochmal und er drückte mich gegen die Wand. Gerade als er mir mein Shirt ausziehen wollte, klingelte es. Grinsend löste ich mich von ihm und öffnete die Tür. „Hallo, ich habe ein Paket für Mr. Sullivan." „Das bin ich", meinte Andrew und schob sich an mir vorbei um dem Postboten das kleine Paket abzunehmen.
"Was ist das?", fragte ich und versuchte anhand der Größe zu erraten worum es sich handelt. Andrew versteckte es vor mir. "Ich geh mich umziehen. Wollen wir dann was bestellen?", fragte er und ich nickte zustimmend. "Klingt gut, ich such schonmal die Karten. Trotz des ungelüfteten Geheimnis um das Päckchen lief ich ins große Wohnzimmer und durchsuchte die Schränke nach den Karten für die Lieferdienste. Das war wohl die größte Umstellung für mich, als ich mit 19 das erste Mal in einer Großstadt gelebt hatte. Man kann wirklich alles bestellen. Also alles alles. Egal ob jede nur erdenkliche Essensrichtung, allle möglichen Haushaltsutensilien oder sogar Möbel. Wir gingen nicht mal mehr einkaufen, weil wir uns eigentlich alles direkt an die Haustür liefern ließen. Während meines Studiums in Großbritannien hat in der 5er WG dafür das Geld nicht gereicht, aber seit ich bei Andrew in dem riesigen Penthouse wohnte, lebte ich förmlich im Luxus. Zumindest im Vergleich dazu wie ich aufgewachsen bin, als ältestes von sieben Kindern in einem beschaulichen Einfamilienhaus.
Mit den Karten in der Hand ließ ich mich auf das lederne Sofa fallen und genoss es , meine schmerzenden Füße zu entspannen. Ich bin das lange Stehen im OP als Ärztin einfach noch nicht gewohnt. Kurz schloss ich die Augen und wollte gerade ein wenig entspannen, als mir einfiel, dass meine Mutter schon übermorgen Geburtstag hatte. "Fuck", ich schreckte hoch. "Andrew?! Wie lange brauchen Blumen von hier nach Fernley?" "Mindestens drei Tage", kam es prompt zurück. "Auch mit Express?" "Jap" Shit... Ich konnte ihr doch nichts einfach nichts schenken. Soll ich anrufen und sagen: 'Mum, sorry, aber ich habe zu spät an deinen Geburtstag gedacht und deswegen bekommst du erst morgen Blumen?' Auf keinen Fall. Schnell ging ich meine Schichtpläne durch und fasste einen Entschluss: "Andrew, ich flieg nach Nevada"
Diese Worte verleiteten ihn dann doch aus unserem Schlafzimmer zu kommen. Mit verstrubbelten Haaren und halb angezogenem Shirt stand er vor mir: "Was?!" Doch da hatte ich mir schon meinen Laptop geschnappt und suchte nach der schnellsten Flugverbindung. Ich könnte schon morgen Abend da sein. Ehe ich mich versah war der Flug gebucht. "Bestellst du schonmal das Essen? Ich pack nur eben meine Sachen", mit diesen Worten ließ ich meinen perplexen Verlobten stehen und lief ins Ankleidezimmer, wo ich meinen Koffer unter dem Schrank hervor zog und wahllos Sachen hineintat. Der Gedanke endlich mal meine Familie wiederzusehen machte mich glücklich. So sehr ich das Großstadtleben in den letzten Jahren auch lieben gelernt hatte, zuhause ist es doch am schönsten. Trotzdem würde ich das Leben hier nicht missen wollen. Am allermeisten aber freute ich mich auf meine kleinen Geschwister, die ich leider viel zu selten sah. James, der im dritten Jahr auf der Highschool war, die schüchterne Hope, die erst seit fünf Jahren bei uns lebte, die Zwillinge Dave und Duke, die gerade im ersten Highschool Jahr waren und nur Unfung im Kopf hatten und die Kleinen Coley und Maddy, die man keine Sekunde aus den Augen lassen durfte. Unsere Mum hatte alle Hände voll zu tun. Ich muss unbedingt noch ein paar kleine Geschenke mitbringen, Maddy zum Beispiel liebt Schneekugeln. Bestimmt gibt es hier welche mit der Freiheitsstatue, sie ist mit neun Jahren schon so schlau, dass sie bestimmt jede Sehenswürdigkeit der Welt aufzählen könnte.
Später am Abend saß ich mit Andrew auf dem Balkon und betrachtete den atemberaubenden Ausblick über die Skyline. Ich fand es jedes Mal aufs neue faszinierend. "Wann fliegst du morgen los?" Mittlerweile hatte er sich mit meinen ständigen spontanen Ideen arrangiert, auch wenn er es definitiv nicht begrüßte. Als Statistiker für Daten ist er jemand, der alles schon Wochen im Voraus plante und nicht wie ich in wenigen Stunden. Inzwischen sagte er aber nichts mehr, sondern ließ mich einfach machen. 'Widerstand zwecklos', sagt er immer. "Gegen 14pm.", antwortete ich müde und lehnte mich an ihn. Von außen waren wir ein wenig wie eins von diesen Bilderbuchpärchen in den Werbefilmen. Beide blond, er ein bisschen größer, wohlhabend mit guten Jobs und einer schicken Wohnung, ...
Nur die Kinder fehlten. Das Streitthema bei uns. Andrew wollte höchstens ein, lieber gar kein Kind und ich möglichst viele. Im Gegensatz zu ihm liebte ich Trubel, Stress und Aufregung, wenn ich abends ausging, blieb er lieber zuhause. Auch bei meiner Familie war er erst einmal. 'Zuviel Durcheinander' war seine Begründung. Am liebsten war er alleine mit seinen tausend Zahlen im Büro und fertigte Statistiken an. Mir hingegen machte die Arbeit dann am meisten Spaß, wenn viel los war und viele Menschen um mich herum waren. Aber letztendlich war er immer noch der Mann, den ich über alles liebte, trotz jeglicher Differenzen. Ich war froh, dass die Fernbeziehung nun endlich vorüber war und wir jede freie Minute miteinander verbringen konnten. Nachdem wir uns über Tinder kennengelernt haben, haben wir uns in den fünf Jahren, die ich in Großbritannien Medizin studiert habe, nur viermal für je eine Woche gesehen, ansonsten lief alles über unsere Handys. Doch es war Liebe auf den ersten Blick und seit knapp einem Jahr lebte ich nun bei ihm und arbeitete dank einem errungen Durchbruch in der Forschung in einer angesehen und modernen Privatklinik als Stationsärztin.
Ich hatte das Gefühl, endlich angekommen zu sein.
Dabei wusste ich noch nicht, wie sehr sich mein Leben in den nächsten Wochen verändern würde...
DU LIEST GERADE
Everything for them
Teen FictionJanine ist gerade 25 Jahre alt, steht zwei Jahre nach Abschluss ihres Studiums in einer Großstadt Großbritanniens mitten im Leben und will bald heiraten. Die junge Ärztin hat erst kürzlich einen Job als Stationsärztin in einer der besten Kliniken Ne...