3 • Gestrandet

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Jamals Sicht:

Ein Pochen geht durch meinen Kopf. Schon lange habe ich nicht mehr solche Kopfschmerzen gehabt. Es fühlt sich so an, als wäre mit Gewichten gegen meinen Kopf geschlagen worden - nur, dass ich davon nicht K.O. gegangen bin, sondern jeden einzelnen Schlag nun spüre.

Als wäre das nicht mein geringstes Problem schwitze ich am ganzen Körper. Komplett durchnässt muss ich sein. Doch diesmal nicht vom Regen, sondern von dieser schwülen Hitze. Hat es im September plötzlich einen Temperatursturz gegeben, oder weshalb ist das Thermometer von einem auf den anderen Tag in München um gefühlt 30 Grad gestiegen.

Und seit wann ist mein Bett so unbequem? Von meiner bequemen Matratze spüre ich nichts, stattdessen fühlt es sich - nunja - trotzdem irgendwie weich an, aber ungewöhnlich körnig. Ich ruckle mit meinem Kopf umher - ja, definitiv körnig.

Komischerweise ist es auch überhaupt nicht still in der Wohnung. Eher höre ich ein Rauschen. Hört sich eher wie ein Meer an. Es muss wohl der Fernseher im Hintergrund laufen. Aber seit wann ist das Sounddesign unseres Fernsehers so gut, dass man meinen könnte, ich würde gerade am Strand liegen. Merkwürdig. Sehr eigenartig ist das alles.

Ich bin so fertig, ich mag gar nicht meine Augen öffnen. Doch je länger ich wach werde, desto mehr kann ich auch wieder klare Gedanken fassen. Körniger Untergrund. Schwüle Hitze. Meeresrauschen. Da kann was nicht stimmen. Langsam versuche ich meine Augen zu öffnen. Als die Augenlider sich zum ersten Mal öffnen, schließen sie sich nach dem Bruchteil einer Sekunde sofort wieder. Alter ist das hell.

Okay. Zweiter Versuch. Ganz langsam öffne ich beide Augen und mein Verdacht verhärtet sich. Ich blicke nicht gegen die hellgraue Decke meines Zimmers. Nein. Ich blicke auf einen strahlend blauen Himmel, keine einzige Wolke ist zu sehen. Das Rauschen des Windes ist zu hören. Ein kleiner Vogel kreist über mir. Träume ich? Bin ich gegen etwas gefallen?

Langsam versuche ich meinen Kopf nach rechts zu drehen. Ein klareres Bild bekommen. Keine gute Idee. Sofort machen sich meine Kopfschmerzen wieder bemerkbar. Hilft nichts, ich muss da jetzt durch. Im zweiten Versuch klappt es nun und was ich sehe lässt mich einerseits sprachlos, aber auch verwirrt zurück.

Ich blicke auf einen riesigen Strand, der sich vor mir entfaltet. Ein malerischer weißer Strand bahnt sich meines Blickes und ein türkisfarbenes Meer. Hinter dem Strand sind zunächst einige Palmen zu sehen und dann sieht man die Ansätze eines Waldes. Es muss ein großer sein, denn die Bäume erstrecken sich bis hoch zum Gipfel des Hügels. Bin ich im Jenseits? Es ist so malerisch hier.

Ich raffe mich auf und muss aufpassen, nicht sofort wieder hinzufallen. Mein Kreislauf scheint nicht gerade im besten Zustand zu sein. Aber streng dich an, Jamal. Schalte dein Hirn ein. Du bist nicht tot, nein! Ganz und gar nicht! Nur wo bin ich? Denk nach? Denk nach? Hat dir Laura einen Urlaub geschenkt? Nein, hat sie nicht und außerdem hätte sie das Geld für sowas überhaupt nicht. In der Lehre könnte sie sich noch keinen Traumurlaub leisten, in ein paar Jahren dann vielleicht.

Irgendwie muss ich doch hier gelandet sein? Nur wie? Denk nach! Denk nach! Gestern? Gestern! Was war gestern? Richtig! Es war ein Freitag, der dreizehnte. Abschlusstraining. München. Säbener Straße. Ich wollte mein erstes Mal haben, bin von den Jungs - nunja - nicht gerade nett aufgezogen worden, dass ich kein Mann sei. Ein Weichei, der nur anderen hinterherrennt und es mit 21 Jahren noch nicht einmal auf die Reihe bekommen hat, mit einer Frau das Bett zu teilen.

Aber was war dann? Ich bin raus auf die Straße, mitten in den Münchener Regen. Und dann kam dieses Auto. Dieser fremde, aber doch vertraute Mann saß am Steuer. Ich setze mich hinein. Oh! .... Und da hört es auf. Hä? Komm Jamal, denk nochmal nach. Aber so sehr ich mich auch bemühe, an diesem Punkt enden meine Erinnerungen. Das ergibt doch alles keinen Sinn. Ich gehe aus dem Vereinsgelände, steige in ein Taxi und lande auf einer Insel, wo Gott verdammt keine einzige Person zu sehen ist.

Was mache ich jetzt nur. Ich sehe nochmal um mich. Es ist wirklich nichts außer Strand, Meer und Bäume zu sehen. Keine Menschen, kein Schiff, kein Boot, keine Häuser - nichts, rein gar nichts. Aber das kann doch nicht sein. Irgendwas muss doch hier sein. Wie bin denn ich hier gelandet? Es sind nicht mal bis auf meine eigene Fußstapfen irgendwelch andere im Sand zu sehen.

Je weiter ich auf den Ozean hinaus blicke, desto mehr wird mir klar. Auf dem Meer werde ich keine Rettung finden. Ich muss mir einen genauen Überblick über die Insel verschaffen. Der schnellste Weg auf die gegenüberliegende Seite führt durch den Wald. Also gehe ich ohne Proviant, ohne Tasche und mit einer völlig durchnässten Boxershort sowie kurzen Hose und Shirt in den Wald. Eines gute hat dieser Wald. Er schützt zumindest vor dieser brutalen Sonne.

Im Wald ist kein Fußgängerweg zu sehen, leider kein gutes Anzeichen dass sich hier lebende Menschen befinden. Nervosität macht sich mit jedem Schritt breit, den ich vorwärts gehe. Was ist, wenn ich wirklich alleine hier bin? Ich bin doch dann komplett aufgeschmissen. Bleib ruhig, Jamal! Nur keine Panik! Ja, einreden lässt sich das leicht. Doch Verzweiflung macht sich breit. Und wann nimmt dieser endlose Wald endlich ein Ende? Gefühlt 30 Minuten laufe ich jetzt schon gerade aus. Diese Insel muss tatsächlich größer sein, als zunächst angenommen.

„Haaaaalllooooo!!! Ist hier irgendjemand! IS ANYONE HERE? HEEEELP!", rufe ich lautstark, aber auch verzweifelt. Ich lausche kurz. Aber es herrscht bis auf das Zwitschern der Vögel nur Stille. Keine Reaktion. Ich gehe weiter, doch plötzlich kann ich ein klar zu hörendes Rascheln zwischen den Gebüschen hören. Die Blätter haben sich klar bewegt, und das war nicht der Wind. Schnell eile ich zu der Stelle. Aber Vorsicht, Jamal. Nicht, dass es ein wildes Tier ist. Ich verlangsame meinen Schritt, doch leider tritt die Stille wieder ein. Es rührt sich nichts mehr. Es muss ein Versehen gewesen sein.

Ich gehe trotzdem mit ganz kleinen Schritten auf die Stelle zu. Die Stille umgibt mich. Die Blätter liegen still. Nichts rührt sich mehr. Genau in diesem Moment ist auch das Zwitschern der Vögel nicht mehr zu hören. Für einen Moment ist es absolut still. Bis auf meinen eigenen viel zu schnellem Atem ist nichts mehr zu hören. Und dann passiert es. Plötzlich springt etwas aus dem Gebüsch, greift mich direkt an, reißt mich zu Boden und schreit laut auf. Ich versuche mich zu befreien, werde aber nach unten gedrückt. Ein fettes Stechen durchzieht meine Beine, meine Hände werden festgehalten. Verzweifelt will ich mich befreien, durch die Hektik in meinen Kopfbewegungen kann ich nicht sehen, wer oder was mich gerade zu Boden gerissen hat. Nach Sekunden der Hektik sehe ich ein, dass es zwecklos ist, Widerstand zu leisten. Ich gebe mich geschlagen, vernehme das hektische Atmen des Angreifers, lasse meinen Kopf behutsam nach oben wandern und binnen einer Sekunde weiten sich meine Augen und ich bin völlig sprachlos. Das kann nicht sein. Völlig entgeistert sind die ersten Worte, die ich von mir geben kann: „Flo?"

Gestrandet | Jamal Musiala & Florian WirtzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt