13 • Annäherung

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Jamals Sicht:

Seit einigen Minuten liege ich nun schon wach auf dem harten Boden unserer Hütte. Ich bin weiterhin sehr müde, weshalb ich die Augen noch geschlossen halte und den Geräuschen der Umgebung lausche. Ziemlich viel Schlaf habe ich in der vergangenen Nacht nicht gefunden - wie denn auch, wenn ich mit meinem besten Freund Flo wichsend und stöhnend die Zeit verbracht habe. Doch diesmal war es anders, als beim letzten Mal. Wir sind beide einige Schritte weitergegangen und haben Sachen zusammen gemacht, die keine normale Freunde jemals miteinander tun würden - sind wir zu weit gegangen? Oder haben wir genau das gemacht, was sich in den vergangenen Tagen bereits aufgebaut hat? Ich für meinen Teil bin mir nach dem gestrigen Abend sicher, dass das mehr zwischen uns beiden ist - dass es über eine normale Freundschaft hinausgeht. Das weiß ich nun. Doch bin ich bereit das auch Flo ins Gesicht zu sagen? Und die noch viel wichtigere Frage: was fühlt er? Ist er überhaupt bereit - dass wir...oh mein Gott, das fühlt sich noch immer so komisch an den Gedanken zu Ende zu denken...dass wir zusammen sind.

Ich will es hinter mich bringen. Ich kann nicht länger warten. Ich will über meinen eigenen Schatten springen und Flo sagen, was ich fühle. Es fühlt sich richtig an. Er ist der richtige. Ich weiß es. Auch wenn das bedeutet, dass ich Laura damit verlassen würde. Sie hätte es verdient, es persönlich von mir zu erfahren. Aber wie soll ich sie nur von einer verdammt nochmal einsamen Insel aus erreichen? Es geht nicht anders. Vergib mir, Laura. Es tut mir leid.

Als ich mich vom Boden der Hütte aufraffe sehe ich jedoch nichts. Keinen Menschen, der mir immer sofort ein Lächeln ins Gesicht zaubert. Keinen Menschen, in dessen Nähe ich mich sofort wohl gefühlt habe. Keinen Menschen, mit dem ich auf allen Ebenen toll verstehe. Keinen Menschen, der den heißesten Körper hat, den man sich nur vorstellen kann. Ich sehe keinen Flo. Auch als ich die Hütte verlasse finde ich Flo nicht. Ebenso wenig, als ich am Fluss nachsehe, wo wir einmal unsere Klamotten ablegten, bevor sie spurlos verschwunden sind. Wo ist er? So langsam werde ich innerlich ein klein wenig nervös. Der Strand. Er muss bestimmt am Strand sein. Denn immerhin, und das fällt mir in der ganzen Hektik erst jetzt so richtig auf, ist heute der erste Tag, an dem es nicht mehr regnet. Der Boden ist zwar weiterhin schlammig, aber das ist mir egal. Ich will meinen Flo finden. Sicherlich will er nach den vielen Tagen des Dauerregens, im Meer wieder etwas besseres zum Essen fangen.

Der Himmel ist weiterhin stark bewölkt und es weht noch immer ein lebhafter Wind, aber heute ist es endlich einmal wieder zum Aushalten. Wenige Minuten später komme ich schließlich am Strand an, doch zu meiner Verwunderung ist auch dort keine Spur von Flo. Wo ist er? Hat ihn der gestrige Abend etwa doch überfordert? Sind wir zu weit gegangen? Kann er mir nichts mehr ins Gesicht sehen und ist daher wo anders hin abgehauen?

Nach genauerem Umsehen entdecke ich schließlich Fußspuren im Sand. Diese müssen noch frisch sein. Der Blick in die Ferne zeigt, dass die Fußspuren weg von der bekannten Stelle führen, wo wir uns sonst immer am Strand aufgehalten haben. Daher beschließe ich, den Spuren zu folgen. Nach einigen Minuten habe ich mich bereits weit weg entfernt - so weit weg, wie bisher noch nie. Wo wollte Flo nur hin? Nach etwa 20 Minuten Fußmarsch verändert sich die Umgebung der Insel. Es wird felsiger. Ich nähere mich einer steinigen Bucht und dann sehe ich ihn...weiter oben am Ende eines Felsen sitzt Flo. Ich sehe zu ihm hinauf, muss aber feststellen, dass er mich gar nicht wahrnimmt. Er blickt ganz vertieft auf die Weiten des Ozeans.

Ich mache einen kleinen Bogen um die Anhöhe, klettere auf den Felsen und gehe zu Flo. Bevor ich mich zu ihm setzen möchte, fällt mein Blick dann aber auf die Aussicht - unfassbar! Von hier aus kann man eindrucksvoll sehen, wie sich das Meer vor uns erstreckt und wie das Rauschen der Wellen zu hören ist, die gegen die Bucht prallen. Gleichzeitig ist zu sehen, wie der Himmel nach den tristen Regentagen so langsam aufklart - der Sonne gelingt es aber noch nicht, sich gegen die Wolken durchzusetzen.

Gestrandet | Jamal Musiala & Florian WirtzWo Geschichten leben. Entdecke jetzt