Kapitel 4
Pov Finn---
In den folgenden Tagen und Wochen wurde meine Freundschaft mit Soren tiefer, aber es war mehr als das – ich fühlte mich zu ihm hingezogen, auf eine Weise, die ich nicht ganz verstand. Es war, als hätte er eine stille, geheimnisvolle Kraft um sich, etwas, das mich nicht losließ.
Soren war das Gegenteil von mir: still, fast zurückgezogen, als würde er sich in seiner eigenen Welt bewegen, während ich immer laut und voller Energie war. Doch genau das faszinierte mich. Seine blasse Haut, die im Kontrast zu meinen sonnengebräunten Armen fast durchsichtig wirkte, erinnerte mich manchmal an einen Geist. Besonders seine schwarzen, strubbeligen Haare, die er sich ständig aus dem Gesicht strich, verstärkten diesen Eindruck. Es war, als würde er immer ein bisschen in den Schatten stehen, selbst wenn wir in der Sonne saßen. Ich fand das süß – und irgendwie beruhigend.
Er sprach nicht viel über sich, aber ich merkte, dass da etwas Schweres in ihm war, das er nicht losließ. Etwas, das er nicht offen zeigte, aber das immer in der Luft lag, wenn wir schwiegten.
Eines Abends, nachdem wir den Tag damit verbracht hatten, durch die Stadt zu streifen und ich ihm wieder einige meiner Lieblingsplätze gezeigt hatte, saßen wir in einem kleinen Park auf einer Bank. Die Sonne war gerade untergegangen, und die Dämmerung legte einen weichen Schleier über die Stadt. Es war still, nur das Rascheln der Bäume und das leise Rauschen des Verkehrs in der Ferne waren zu hören.
Soren starrte auf seine Hände, die in seinem Schoß lagen, und ich spürte, dass er etwas sagen wollte, aber nicht wusste, wie.
„Was ist los, Soren?“ fragte ich schließlich leise. Ich wollte ihn nicht drängen, aber ich wollte auch nicht, dass er sich allein fühlte.
Er seufzte, und dann hob er den Kopf, um mich anzusehen. Seine haselnussbraunen Augen waren dunkel, fast traurig, und es brach mir das Herz, ihn so zu sehen.
„Finn...“ Er zögerte, als wüsste er nicht, ob er mir das anvertrauen sollte. „Meine Mutter ist vor zwei Jahren gestorben.“
Seine Worte trafen mich unerwartet, und ich wusste nicht sofort, was ich sagen sollte. Ich hatte so etwas schon geahnt, weil er nie von ihr sprach, aber die Bestätigung machte es real.
„Es tut mir leid, Soren“, sagte ich, und meine Stimme klang hohl, weil ich wusste, dass Worte in solchen Momenten nie genug sind.
Er nickte nur und fuhr fort, als ob er das jetzt loswerden musste, als ob er es die ganze Zeit in sich getragen hatte und endlich bereit war, es zu teilen. „Es war Krebs. Sie... sie hat lange gekämpft, aber am Ende war es einfach zu viel.“
Ich legte vorsichtig meine Hand auf seine, und er ließ es zu. Es war das erste Mal, dass er so etwas wie Trost annahm, ohne sich zurückzuziehen.
„Das tut mir wirklich leid“, wiederholte ich, weil ich nichts anderes sagen konnte. Ich wollte, dass er wusste, dass ich da war, dass ich zuhörte.
Soren schüttelte leicht den Kopf, und ich konnte sehen, dass es ihn viel kostete, weiterzusprechen. „Nach ihrem Tod... ich wusste nicht, was ich mit meinem Leben anfangen sollte. Ich wollte etwas tun, das... das ihrem Kampf gerecht wird.“ Er sah mir in die Augen, und ich spürte die Schwere seines Entschlusses. „Deshalb habe ich beschlossen, in die Armee zu gehen. Ich dachte, vielleicht könnte ich damit irgendetwas bewirken. Vielleicht könnte ich stark sein, wie sie es war.“
Seine Worte ließen mich nach Luft schnappen. In die Armee? Soren? Der Junge, der so zart und verletzlich wirkte, der so viel Schmerz in sich trug? Es erschien mir unvorstellbar, aber gleichzeitig verstand ich, warum er diesen Weg gewählt hatte. Es war sein Versuch, mit dem Verlust fertigzuwerden, auf eine Weise, die ihm sinnvoll erschien.
„Soren...“ Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. „Das ist eine große Entscheidung.“
Er nickte stumm, und ich konnte sehen, dass er lange darüber nachgedacht hatte. „Ich weiß. Aber ich habe das Gefühl, dass ich ihr das schulde.“
Wir saßen eine Weile schweigend nebeneinander, und ich konnte die Last spüren, die er trug. Ich wollte ihn festhalten, ihm sagen, dass er nicht allein war, aber ich wusste, dass er diesen Weg selbst finden musste.
„Ich verstehe“, sagte ich schließlich leise, weil es das Einzige war, was ich sagen konnte, ohne seine Gefühle zu übergehen. „Aber egal, was du entscheidest – ich bin da. Du bist nicht allein, Soren.“
Er sah mich an, und zum ersten Mal seit langer Zeit sah ich ein kleines, ehrliches Lächeln auf seinen Lippen. „Danke, Finn“, flüsterte er, und in diesem Moment wusste ich, dass unsere Freundschaft tiefer war, als ich je gedacht hätte. Egal, was kam, wir würden es gemeinsam durchstehen.