2 Kapitel

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Pov Soren
Kapitel 2 Der Nachbar

In den ersten Wochen in der neuen Stadt blieb ich für mich. Ich ging meinen täglichen Aufgaben nach, half meinem Vater, das neue Zuhause einzurichten, und vermied es, zu viel Kontakt mit den Menschen um uns herum aufzunehmen. Doch eines Tages, als ich die letzten Kartons aus unserem Umzugswagen holte, stieß ich auf jemanden, der diese einsame Routine durchbrach.

Er stand lässig im Flur unseres Wohnhauses, lehnte sich an die Wand und sah mich neugierig an. Groß und schlaksig, mit gebräunter Haut, die von unzähligen Stunden in der Sonne zeugte. Seine blonden Locken fielen ihm wild ins Gesicht, und seine haselnussbraunen Augen leuchteten mit einem freundlichen Glanz.

„Ciao! Du bist neu hier, oder?“, rief er mir in einem singenden Ton zu, der sofort erkennen ließ, dass er Italiener war. Seine Stimme war warm und voller Energie, das Gegenteil meiner Stimmung in den letzten Tagen.

„Ja, wir sind gerade erst eingezogen“, antwortete ich zögerlich und stellte den Karton ab, den ich trug.

„Ich bin Finn“, stellte er sich vor und streckte mir die Hand entgegen. „Ich wohne nebenan. Wenn du irgendwas brauchst, sag Bescheid! Ich helfe gerne.“

Ich nahm seine Hand und war überrascht von seinem festen Händedruck. Er strahlte eine angenehme Vertrautheit aus, die mich sofort entspannte.

„Soren“, sagte ich kurz, immer noch etwas misstrauisch gegenüber der Freundlichkeit, die er so offen zeigte.

Finn grinste. „Soren! Klingt nordisch, oder? Aus Skandinavien?“

Ich nickte und musste unwillkürlich lächeln. Er sprach mit einem starken italienischen Akzent, aber es fiel ihm nicht schwer, mit mir ins Gespräch zu kommen. Sein Enthusiasmus war ansteckend, und obwohl ich immer noch nicht viel über diesen neuen Ort wusste, schien es so, als hätte ich zumindest einen ersten Verbündeten gefunden.

„Hast du dich schon ein bisschen umgesehen?“ fragte Finn, während er mir half, die letzten Kisten in die Wohnung zu tragen. „Es gibt hier ein paar schöne Ecken, auch wenn es auf den ersten Blick nicht so aussieht.“ Er grinste wieder, als ob er ein Geheimnis kannte, das er bald mit mir teilen würde.

Ich schüttelte den Kopf. „Noch nicht wirklich. Alles hier ist so… anders. Ich weiß nicht, ob ich mich jemals daran gewöhnen werde.“

Finn legte mir freundschaftlich den Arm um die Schulter, was mich zuerst überraschte. Er schien die Art von Mensch zu sein, die keine Berührungsängste hatte und die Welt um sich herum mit offenen Armen empfing.

„Keine Sorge, mein Freund“, sagte er, während er mir in die Augen sah. „Ich zeig dir die besten Plätze. Du wirst dich schon noch wohlfühlen. Gib der Stadt eine Chance.“

Es war seltsam, wie leicht er mir das Gefühl gab, dass vielleicht doch noch nicht alles verloren war. Vielleicht war der Neuanfang, den mein Vater mir versprochen hatte, nicht nur eine leere Hoffnung.

Die Tage vergingen, und Finn wurde zu einem festen Bestandteil meines neuen Lebens. Oft klopfte er einfach an unsere Tür und fragte, ob ich Lust hätte, mit ihm die Gegend zu erkunden. Er zeigte mir versteckte Parks, kleine Cafés und ruhige Orte, die sich inmitten des Beton-Dschungels versteckten. Seine unermüdliche Energie und Hilfsbereitschaft halfen mir, mich langsam in dieser fremden Stadt zurechtzufinden.

„In Italien ist es ganz normal, dass man sich gegenseitig hilft“, erklärte er mir eines Tages, als wir gemeinsam auf dem alten Spielplatz im Park saßen, den ich schon zuvor entdeckt hatte. „Familie und Nachbarn sind das Wichtigste. Und jetzt, wo du hier bist, bist du fast wie ein Teil meiner Familie.“

Seine Worte ließen mich schmunzeln. Ich wusste, dass er es ernst meinte, auch wenn wir uns noch nicht lange kannten. Finn war die Art von Mensch, die eine positive Kraft in jedem Raum ausstrahlte, und es tat gut, jemanden wie ihn an meiner Seite zu haben.

„Danke, Finn“, sagte ich schließlich. „Ich weiß nicht, was ich ohne dich gemacht hätte.“

Shadows of SacrificeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt