Kapitel 10
Pov SorenDer Regen prasselte weiter auf mich nieder, während ich auf der Bank im Park saß, völlig durchnässt, doch ich spürte nichts außer dem dumpfen Schmerz in meiner Brust. Es war, als hätte die Welt sich gegen mich verschworen, als hätte mir das Leben alles genommen, was mir wichtig war. Meine Mutter war weg. Für immer. Und jetzt auch noch mein Vater... Er war körperlich noch da, aber in dem Moment, als ich ihn mit dieser Frau gesehen hatte, war er für mich gestorben. Die Art, wie er sie ansah, wie er ihre Nähe suchte, als wäre sie irgendein Ersatz – das war zu viel. Es fühlte sich an, als würde ein Teil von mir zerbrechen, ein Teil, den ich nie wieder heilen konnte.
Ich hatte versucht, stark zu sein. Für ihn. Für mich. Doch jetzt, in der Dunkelheit, unter dem endlosen Regen, war es, als würde die Welt um mich herum verschwimmen. Nichts fühlte sich mehr real an. Der Schmerz, der sich in meiner Brust ausgebreitet hatte, war überwältigend, wie ein Loch, das immer größer wurde, bis es alles verschlang. Die Tränen liefen mir unaufhörlich über das Gesicht, doch sie gaben mir keine Erleichterung. Sie waren einfach da, so wie der Schmerz, so wie die Kälte.
Ich dachte an meine Mutter. An ihr Lachen. An die Art, wie sie mich umarmte, wenn ich traurig war, wie sie mir immer das Gefühl gab, dass alles wieder gut werden würde, egal wie schlimm es aussah. Aber sie war nicht mehr da. Und nichts, was ich tat, konnte sie zurückbringen. Ich hatte das Gefühl, ertrinken zu müssen – in meiner Trauer, meiner Wut, meiner Hilflosigkeit.
„Warum hast du mich verlassen?“ flüsterte ich in die Dunkelheit, obwohl ich wusste, dass keine Antwort kommen würde. Die Leere war alles, was mir blieb.
Mein Vater... Ich hatte ihn gebraucht, mehr als je zuvor. Ich hatte gehofft, dass wir gemeinsam durch den Schmerz gehen könnten, dass er mir Halt geben würde, so wie ich ihm Halt geben wollte. Aber er hatte eine andere Wahl getroffen. Eine Wahl, die mir das Herz brach. Wie konnte er sie so schnell vergessen? Wie konnte er so tun, als wäre ihre Liebe einfach ausradierbar, als könnte man sie ersetzen? Der Gedanke daran, dass er jemand anderen küssen konnte, während ich jeden Tag um sie weinte, zerriss mich.
Ich weinte, bis ich keine Tränen mehr hatte, bis meine Augen brannten und meine Kehle rau war. Aber der Schmerz war immer noch da. Tiefer und schwerer als zuvor. Ich wollte schreien, wollte die ganze Welt anschreien, dass es nicht fair war. Dass es nicht fair war, sie zu verlieren. Dass es nicht fair war, ihn so zu verlieren.
„Warum?“ flüsterte ich noch einmal, meine Stimme kaum mehr als ein Hauch.
Doch diesmal spürte ich eine Veränderung in mir. Es war, als hätte der Schmerz, so unerträglich er auch war, mich an einen Punkt gebracht, an dem ich nicht mehr zurück konnte. Ein Punkt, an dem ich mich entscheiden musste. Aufgeben oder weitermachen. Meine Mutter hätte gewollt, dass ich weitermache. Das wusste ich. Sie hätte nicht gewollt, dass ich mich in meinem Schmerz verliere, so wie mein Vater es getan hatte. Aber wie sollte ich das schaffen? Wie sollte ich stark genug sein, wenn sich alles in mir anfühlte, als würde es auseinanderbrechen?
Ich atmete tief ein und spürte die kalte, feuchte Luft in meinen Lungen. Der Regen hatte etwas Beruhigendes, als ob die Welt mit mir weinte. Vielleicht, dachte ich, vielleicht war es okay, schwach zu sein. Vielleicht war es okay, jetzt zu weinen, jetzt zu zerbrechen. Aber irgendwann... irgendwann musste ich wieder aufstehen. Für mich. Für sie.
Ich wusste, dass es nicht einfach werden würde. Ich wusste, dass ich mich dem Schmerz immer wieder stellen musste. Aber in diesem Moment, als ich den Regen auf meiner Haut spürte und an das Lächeln meiner Mutter dachte, spürte ich eine winzige Flamme der Entschlossenheit in mir auflodern. Sie war klein, kaum mehr als ein Funke, aber sie war da.
Langsam stand ich auf, meine Beine zitterten vor Kälte und Erschöpfung, doch ich zwang mich, den ersten Schritt zu machen. Der Weg nach Hause war dunkel, genauso wie die Gedanken in meinem Kopf. Aber ich ging. Schritt für Schritt. Ich konnte nicht länger weglaufen, egal wie sehr es schmerzte.
Als ich schließlich vor der Haustür stand, hielt ich inne. Mein Herz pochte in meiner Brust, und ich wusste, dass es nicht einfach sein würde, diese Tür zu öffnen. Dahinter wartete er. Und sie vielleicht auch. Der Gedanke daran, ihn wieder zu sehen, ihn vielleicht mit ihr zu sehen, ließ mich beinahe umkehren. Doch ich blieb stehen. Ich musste es tun. Ich musste mich der Wahrheit stellen.
Mit zitternden Fingern griff ich nach dem Türknauf. Die Kälte des Metalls kroch mir in die Hand, doch ich drehte ihn und öffnete die Tür. Die Wärme des Hauses schlug mir entgegen, aber sie brachte keine Geborgenheit. Im Flur brannte immer noch das Licht, und ich hörte leise Stimmen aus dem Wohnzimmer. Es war, als wäre nichts passiert, als wäre die Welt einfach weitergegangen, während meine stehengeblieben war.
Doch in mir war etwas anders. Ich war nicht mehr derselbe, der aus diesem Haus gelaufen war. Der Schmerz hatte mich verändert, ja, aber er hatte mich auch stärker gemacht. Und egal, was passieren würde – ich wusste, dass ich weitermachen musste. Für meine Mutter. Und für mich.
Denn ich konnte nicht zulassen, dass ihre Erinnerung verblasste. Nicht für ihn, nicht für irgendeine andere Frau.