Kapitel 2

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Ich hasste mein Leben. Oder besser gesagt, das Leben, das nun auf mich zukommen würde. Vor gerade mal einer halben Stunde hatte man mich hier abgesetzt, und nun saß ich mit angezogenen Beinen gegen die kalte Steinmauer gelehnt. Meine Arme fest um meine Knie geschlungen, meinen Kopf schwer gegen die Wand gedrückt.

Der Himmel über mir war dunkel und schwer, als würde er jeden Moment einstürzen, genau wie mein Leben. Die Gewitterwolken schienen das Unheil widerzuspiegeln, das mich umgab. Ich starrte nach oben, wünschte mir verzweifelt, dass all das nur ein Albtraum wäre, aus dem ich aufwachen konnte. Wie konnte Vater diesem Kerl glauben und nicht mir??Ich war sein Sohn, sein Blut – und trotzdem hatte er mir den Rücken gekehrt. Er wurde mies hintergangen und merkte es einfach nicht!!

Dieser Typ... Ich hatte es von Anfang an gewusst. An ihm war etwas faul. Jedes Mal, wenn er mich ansah, spürte ich, dass etwas nicht stimmte. Schon das erste Mal als Kurama ihn uns vorstellte, spürte ich es. Er war zu perfekt, zu glatt, zu... falsch. Er sah mein Brüderchen an wie ein wunderbares Werkzeug und nicht wie die Liebe seines Lebens.

Aber niemand, absolut niemand, wollte mir glauben. Selbst als ich versuchte, Vater zu warnen, sah er durch den Schleier aus Lügen nicht hindurch. Der Kerl hatte alle getäuscht, jeden in meiner Familie gegen mich aufgebracht, und sie merkten es nicht. Er war ein Manipulator, und ich würde es beweisen. Irgendwie.

Ein wütender Schrei entfuhr mir, und ich trat frustriert gegen die Tasche, die achtlos vor mir lag. Er hatte mich einfach an der Taille gepackt und geküsst – warum hatte das keiner gesehen??!!

„Vater!!", brüllte ich laut in den Himmel, meine Stimme überschlug sich vor Zorn. „Mach das rückgängig, und wir tun so, als wäre nichts passiert!!Wir können reden und den richtigen verbannen, nicht mich!!" Meine Stimme hallte zwischen den Mauern wider, als ob ich tatsächlich eine Antwort bekommen würde.

Ein donnerndes Grollen durchbrach die Stille, und plötzlich begann es, in Strömen zu regnen. Tropfen prasselten schwer und kalt auf mich herab. „Ernsthaft, Dad??!!" rief ich frustriert, während der Regen mich gnadenlos durchnässte.

Mit jedem Tropfen, der auf mich niederfiel, schien meine Wut weiter zu brodeln. Ich fing an wie an trotzigen Kind mit den Füßen zu strampeln und rum zu kreischen. Dabei ließ ich mich die Mauer hinuntergleiten, bis ich flach auf dem nassen Boden lag. Das war es also?? Das war jetzt mein Leben?? Ein erbärmlicher Witz.

Alles in mir war voller Zorn – auf meinen Vater, meine Mutter, auf mein ganzes beschissenes Leben. Am meisten hasste ich mich selbst. Mein neues selbst.

Mit aller Kraft begann ich, mit den Händen in die Pfützen zu schlagen. Der Schlamm spritzte um mich herum, besudelte mich, doch ich spürte nichts außer dem kalten Regen, der mir ins Gesicht peitschte. Meine Haare klebten schwer an meinem Kopf, meine Kleidung war durchweicht. Aber all das zählte nicht mehr. Nichts zählte mehr.

Nachdem all meine Wut in einem letzten, verzweifelten Aufschrei verhallt war, blieb ich einfach reglos liegen. Mein Körper war ausgelaugt, kraftlos. Dieser menschlicher Körper war wirklich erbärmlich. Der Regen prasselte unbarmherzig auf mich herab, aber ich spürte ihn kaum noch. Die Kälte kroch in meine Glieder, doch sie schien mich nicht mehr zu erreichen. Alles, was in mir übrig blieb, war das Gefühl der Leere – und das unaufhaltsame, quälende Verlangen, mich selbst zu bemitleiden.

Ich hatte an einem einzigen Tag alles verloren, was ich kannte und das nicht mal aus eigener Verschuldung. Alles, was mir je etwas bedeutet hatte, war zerrissen und zerstört. Am meisten schmerzte jedoch der Gedanke an meinen kleinen Bruder. Er hasste mich jetzt bestimmt, obwohl ich noch nie jemanden so sehr geliebt hatte wie ihn. Er war mein Anker in dieser Welt gewesen.

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