Verängstigter Junge

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Inhaltswarnung: Panikattacke

Inhalt:

Rhun fühlt sich wie ein verängstigter kleiner Junge und hat mit seiner Psyche zu Kämpfen.


Obwohl Rhun nicht der älteste der Wächter war, würde es für Außenstehende immer so wirken. Mit seinen 16 Jahren war er der Einzige, der noch nie aus dem Kloster geflohen war, um im nahegelegenen Dorf etwas Spaß zu haben. Rhun blieb immer im Kloster, um die Brüder zu decken und um sich in der Alchemie weiterzubilden. Rhun war wohl auch der Bruder, den die Nonnen am liebsten mochten.

Ob er die Regeln befolgte? Natürlich.

Seine Antworten im Unterricht? Fehlerlos.

Sein Erscheinungsbild? Makellos.

Zu wem gingen die Brüder, wenn ein Problem unlösbar erschien? Natürlich zu Rhun. Er konnte einen zwar nicht so trösten wie Klaus, dessen warme Worte oft heilend wirkten, doch wenn es darum ging, logische Ratschläge einzuholen, war Rhun die erste Anlaufstelle.

Was die anderen nicht ahnten? Rhun sah sich selbst nicht als ansatzweise so perfekt und vernünftig an, wie er nach außen schien. Tatsächlich war er sogar ziemlich unvernünftig.

Denn keiner der Brüder wusste, dass die Zahnfee für immer mit etwas Dunklen  zu kämpfen hatte, das sich wie ein Parasit in ihr eingenistet hatte und ihr ständig zuflüsterte, was sie tun sollte – ihre dunkle Seite.

Diese innere Stimme, ihr ständiger Begleiter. Etwas, gegen das sie immer alleine kämpfen würde. Sie war sich sicher, ihre Brüder würden sie niemals verstehen; sie würden sie als schwach ansehen, wenn sie ihnen von „Dark" erzählen würde.

„Rhun, willst du wirklich nicht mit?", fragte Klaus ihn nun sicherlich schon zum Hundertsten Mal. Rhun verdrehte die Augen und schüttelte den Kopf: „Geht endlich! Irgendeiner muss euch doch decken, außerdem sollte sich jemand um Fips kümmern."

„Hey, mir geht es gut! Lasst mich mitkommen!", rief Fips und versuchte, sich aus dem Bett zu erheben, doch er kippte direkt um und landete, zum Glück, wieder auf der Matratze.

Fips war schon immer der zerbrechlichste der Brüder. Mit seinen zarten Zügen und seinem schüchternen Lächeln wirkte er wesentlich jünger als die anderen. Während die anderen ihre Kräfte früh entdeckten, war Fips ein Spätzünder. Erst vor kurzem hatten sich seine Fähigkeiten endlich gezeigt, und damit begannen die Experimente der Nonnen. Er kam nur schwer damit zurecht, weshalb er oft krank wurde und sich immer seltener mit Klaus, Eos und Zeke ins Dorf schleichen konnte.

Klaus seufzte und ging zu Fips, der mit schweißnassen Haaren und blassem Gesicht dalag. „Vielleicht ist es wirklich besser, wenn du hierbleibst", sagte er sanft, während er Fips mit seiner Decke zudeckte. „Die Experimente haben dir zu viel abverlangt, du bist noch nicht ganz fit."

Rhun beobachtete, wie Klaus sich liebevoll um den kränklichen Fips kümmerte, ihm beruhigende Worte zuflüsterte und die Decke sanft über seine Schultern zog.

Ein stechendes Gefühl der Eifersucht und Frustration regte sich in Rhuns Brust. Er sehnte sich danach, so zu sein wie Klaus – so mühelos in seinen Worten und Gesten, jemand, zu dem die anderen aufschauten, und nicht nur der stille Beobachter im Hintergrund. Warum fiel Klaus der Umgang mit anderen so leicht?
Vielleicht war es einfacher, die perfekte Fassade aufrechtzuerhalten, selbst wenn sie ihn innerlich zerfraß. Die anderen Brüder strahlten Stärke und Selbstbewusstsein aus, während Rhun nur ein verängstigter Junge war.

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