Der Wecker klingelte laut und schrill. Tastend suchte ich nach dem Lichtschalter meiner Nachttischlampe. Ein klicken ertönt und grelles Licht quetscht sich durch meine noch geschlossen Augenlieder. Blinzelnd versuche ich, mich an das Licht zu gewöhnen. Meine Glieder schmerzten durch die Kälte, welche durch das undichte Fenster bis in meine Knochen drang.
Ich setzte mich aufrecht an die Kante meines Bettes und ließ meine Füße auf den kalten Boden sinken. Mein Zimmer war klein und chaotisch, ein reiner Haufen aus alten Büchern, zerknüllten Notizen und Kleidungsstücken, die keinen dazugehörigen Kleiderschrank hatten. An den Wänden hingen vergilbte Landschaftsposter, die trotz ihrer bunten Farben die Atmosphäre nicht aufhellen konnten.
Mein Blick fiel auf die Fotos auf meinem Nachttisch. Bilder von schönen Zeiten mit meinem Vater, der viel zu früh aus meinem Leben gerissen wurde. Seine Abwesenheit hatte eine tiefe Leere hinterlassen. Meine Mutter hatte aus finanziellen Gründen direkt nach seiner Beerdigung neu geheiratet. Sie schien mehr mit ihrem neuen Leben beschäftigt zu sein als über die Vergangenheitzu trauern. Ihr neuer Mann, mein Stiefvater, war oft zuhause, da er nur dreimal in der Woche ins Büro musste. Seine lauten, herablassenden Kommentare, mir gegenüber, und der Geruch von Zigaretten waren ständige Erinnerungen an seine Anwesenheit.
Ich schüttelte den Kopf und versuchte, die Gedanken zu vertreiben und mich auf das wesentliche zu konzentrieren. Nach einem hastigen kalten Duschen stellte ich mich vor den Spiegel. Das Licht war grell, und die Fliesen waren kalt unter meinen nackten Füßen. Als ich in den Spiegel sah, erkannte ich mich selbst nicht wieder. Meine blauen Augen waren von Schlafmangel grau umrandet, die Haut blass und fahl. Meine Lippen gerötet und eingerissen, durch den gestrigen Schlag eines Wutausbruchs. Ich blickte weiter nach unten und sah auf den Bluterguss an meinen linken Rippen welcher sich gelblich verfärbt. Ich konnte mittlerweile jede einzelne Rippe durch meine Haut erkenne.
Schnell zog ich mir einen Pullover und eine Jeans an. Make-up konnte ich vergessen, da es bei meinen Augenringen schon lange nichts mehr bewirkte. Der Spiegel zeigte mir ein Bild von Verletzlichkeit und Schüchternheit. Während ich meine Haare zu einem Dutt zusammenband, hörte ich, wie mein Stiefvater unten in der Küche fluchte und meine Mutter wie Sie versuchte, ihn zu beruhigen. Ich wusste, dass es nicht gut enden würde.
Ein leiser Schmerz zog sich durch meine Brust, und ich warf einen letzten Blick in den Spiegel, bevor ich mich dem unvermeidlichen Frühstück und der Begegnung stellte. Als ich die Treppe hinunterging, stellte ich mir vor, wie ich einfach durch die Wände gehen könnte, unbemerkt und unsichtbar. Der Geruch von Toast und Kaffee mischte sich mit der Kälte des Raumes und dem starken Zigarettengeruch. Meine Mutter saß am Tisch, eine dampfende Tasse in der Hand, während mein Stiefvater mit dem Rücken zu mir am Fernseher saß und rauchte. Kein 'Guten Morgen', nichts. Ich war jedoch schon daran gewöhnt.
Ich setzte mich an den Tisch, presste die Lippen zusammen und versuchte, ein Lächeln abzuringen. Es war ein tägliches Ritual, die Maske aufsetzen und den Tag ertragen. Während ich aß, war ich mir der ständigen Spannung im Raum bewusst, niemand sagte irgendetwas. Täglich fühlte sich es mehr so an, als ob ich in einem Käfig lebte, aus dem es kein Entkommen gab.
Ich sah auf meinen Teller und versuchte den Toast zu essen, jedoch bekam ich nur einen Bissen runter. Dieser Biss fühlte sich an wie ein weiterer Stein auf dem Weg zu meiner Einsamkeit und meinem elend. Ich fragte mich, wie lange ich noch durchhalten konnte, wie lange ich noch stark sein musste, während die Dunkelheit mich täglich weiter versuchte zu verschlingen.
Ich stand auf, nahm meine Tasche und quälte mich zur Haustür. Mein Stiefvater blickte auf und starrte mich wie immer so an, als wäre ich ein Möbelstück. Er drehte sich um und konzentriert sich wieder auf den Ferseher, während ich ihn dabei beobachtete, wie er eine Zigarette anzündete. Schlagartig verspürte ich einen Anflug von Angst. Ich wusste, dass er einen schlechten Tag haben könnte, und das bedeutete, dass ich es wieder ausbaden müsste. Ich schob den Gedanken schnell zu Seite und zwang mich, nach draußen zu gehen und die Kälte auf meiner Haut zu spüren.
Der Weg zur Schule war weit, und ich musste ihn zu Fuß gehen. Keiner in meiner Familie interessierte sich für mich. Die wenigen Minuten, die ich in der kalten Luft verbrachte, schienen sich wie Stunden zu dehnen, während ich durch die Straßen lief. Mit jedem Schritt schwang eine Mischung aus Hoffnung und Angst in mir, Hoffnung auf einen besseren Tag und Angst, dass ich nicht unbemerkt blieb.
Auf dem Weg zur Schule hielt ich immer wieder an und betrachtete mich in den Schaufenstern, an denen ich vorbei lief. Es war wie ein verzweifelter Versuch, mich selbst zu erkennen. Doch das, was ich sah, erfüllte mich mit Scham. Ich war ein Schatten meiner selbst und meine Augen strahlten nichts als Traurigkeit aus.
Die blauen und lila Flecken hatte ich zumindest durch den Pullover verdeckt. Ein Schmerz stieg auf, als ich meine Hand über meinen Pullovers strich, welcher ich gewählt hatte, um die Stellen zu verdecken. Eine Welle der Erinnerung schlug auf mich nieder. Ich konnte nichts tun, um die Erinnerung an die Gewalt, die mir zu Hause widerfuhr, zu vergessen. Der blaue Fleck an meinem Oberschenkel war das Ergebnis eines Stoßes meines Stiefvaters, als ich ihm versehentlich im Weg war. Sowie die rote Lippe. Die von einem Schlag stammte, der mich in einem unvorsichtigen Moment erwischte, als ich versuchte, in mein Zimmer zu flüchten.
Ich zog den Pullover fester um meinen schmalen Körper, als wäre es ein Schild, das mich vor der Welt schützen könnte. Dennoch fühlte ich mich nackt mit nichts als Bedenken welche mir die Luft zum Atmen abschnürte.
Ich erreichte die Schule, und der Anblick des großen, grauen Gebäudes ließ mein Herz schwer werden. Ein Ort, an dem ich nie wirklich dazugehört hatte, wo ich als 'als ein Nichts' wahrgenommen wurde. Ich blieb einen Moment stehen, die Hände zusammengepresst um ein wenig Wärme zu erhalten und schaute auf das Gewimmel der anderen Schüler.
"Ein weiterer Tag der Hölle", dachte ich mir, während ich einen tiefen Atemzug nahm und richtung Eingang lief. Ein weiterer Tag voller Gespött und dem ständigen Gefühl des Hasses lag vor mir. Jeder Schritt in die Schule fühlte sich an wie ein Schritt tiefer in ein Gefängnis, das ich nicht verlassen konnte. Und ich wusste, dass ich stark sein musste, selbst wenn alles in mir danach schrie, einfach aufzugeben und zu verschwinden.
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In the Shadows of Darkness
De TodoIn einer Welt voller Schatten der Vergangenheit kämpft Talia um ihr Überleben. Gefangen zwischen den Wänden von ihrem Zuhause wird Sie Misshandelt. Nicht nur Zuhause auch von den Blicken ihrer Mitschüler ist Sie nicht sicher. Dabei sucht sie nur ver...