Artesa
"Hast du dich verlaufen"
Ein Junge mit wunderschönen braunen Augen, umrandet von dichten schwarzen Wimpern, steht vor mir. Ein gepflegter Ziegenbart schmeichelt seinen markanten Gesichtsstrukturen. Er ist ziemlich groß, zwei Köpfe größer sicher. Er muss wohl ein Student hier sein.
"Irgendwie schon. Hast du vielleicht eine große Gruppe gesehen?" frage ich. "Die sind sicher in einen Hörsaal rein." antwortet er mir. Ich merke wie tief seine Stimme ist, aber auf eine angenehme Art und Weise.
"Kann ich vielleicht kurz dein Handy benutzen? Ich ruf einfach meine Freundin an." "Du hast dein Handy auch verloren?" schmunzelt er. "Womöglich.." ich schaue beschämt auf den Boden.
Er reicht mir sein Handy und ich wähle schnell die Nummer von Erza. Nach ein paar Sekunden geht sie ran.
"Hallo?" fragt sie.
"Erz, ich bins. Wo seid ihr hin? Ich war nur zwei Minuten weg." Ich spüre seinen Blick auf mir, aber schaue weiterhin auf den Boden. "Wir stehen in einem Hörsaal, warte ich laufe in den Gang" sagt sie schnell und in der nächsten Sekunde höre ich sie durch den ganzen Flur schreien. "ARTESAA" winkt sie mir zu. Ich lege auf und reiche ihm sein Handy. "Danke" lächle ich ihn an und laufe zu Erza.
"Zwei Minuten weg und schon hast du dir einen heißen Studenten geangelt was?" zwinkert sie mir zu. "Shuj moj" verdreh ich meine Augen grinsend. "Ich hab mein Handy bei dir gelassen und er wollte mir helfen" stelle ich klar. "Natürlich wollte er das." zwinkert sie nochmal.
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"So wir sind nun am Ende unserer Tour" erklärt der Tourleiter. "Ich hoffe ich werde einige Gesichter im nächsten Jahr an unserer Universität. Vielen Dank für Eure Aufmerksamkeit" verabschiedet er sich.
"Also dann machen wir uns wieder auf den Rückweg" ruft unser Klassenlehrer in die Runde. Ich hacke mich in Erzas Arm ein und wir laufen gemeinsam zum Ausgang. Ich spüre erneut einen brennenden Blick auf mir und finde mich wieder in wunderschönen braunen Augen. Er sieht uns noch hinterher bis wir das Gebäude verlassen.
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"Artes" brüllt mein Vater aus dem Wohnzimmer. Ich laufe schnell zu ihm "ja?" sage ich leise. "Mach mir was zu Essen" sagt er selbstgefällig und sieht einfach wieder zum Fernseher. Ich eile in die Küche und sehe nach ob eine Mutter bereits etwas gekocht hat. Sie ist arbeiten, wahrscheinlich der bessere Ort gerade zu sein. Nein, natürlich nichts. Ich mache schnell ein leichtes albanisches Gericht. Speca me gjiz. Ein Sahne-Schmand Gericht mit gebratenen langspitz Paprika.
Ich richte alles an und bringe es auf einem Tablett zu meinem Vater. "Endlich" brummt er und ich gehe wieder in das Zimmer, dass ich mir mit meinen Geschwistern teile.
"Tesa kannst du meine Haare flechten?" lächelt Dea mich an. "Na klar". Ich greife nach meiner Bürste und deute auf den Boden. Sie setzt sich hin und zieht den Haargummi aus ihren Haaren. Ich kämme ihre seidenweichen schwarzen Haare durch und beginne sie in zwei lange Zöpfe zu flechten. Loresa ist die Einzige von uns, die mit Locken gesegnet wurde. Dea und ich haben beide schwarze Haare die bis zum unteren Rücken reichen. Ich platziere einen sanften Kuss auf ihren Kopf und wende mich zu Loresa. "Willst du auch?" frage ich sie. Sie kommt ohne ein weiteres Wort und setzt sich vor mich. "Aber ich kämme sie selbst". Sie greift nach der Bürste und kämmt ihre Locken durch.
Nachdem ich auch Loresas Haare geflochten habe, mache ich das gleiche bei meinen Haaren. Unzufrieden sehe ich in den Spiegel. Hätte ich wenigstens hellere Haare, dann würde ich nicht immer so bleich aussehen.
Die Wohnungstüre öffnet und schließt sich. Meine Mutter ist da. "Artes" schreit sie. Auch jetzt laufe ich schnell ins Wohnzimmer. "Hallo Mam" begrüße ich sie. "Was hast du bitte für ihn gekocht? Du hattest den ganzen Tag Zeit was richtiges zu machen und das ist alles?" pampt sie mich an. "Bitte? Es ist ja wohl mehr als genug. Wir haben nichts im Kühlschrank außer Sahne und Schmand. Was hätte ich sonst auf die Schnelle kochen sollen?" erwidere ich.
"Erheb deine Stimme gefälligst nicht du Respektlose." brüllt mein Vater mich an. "Mfal" sehe ich auf den Boden. "Verschwinde" schreit meine Mutter. Wenigstens bei einer Sache werden sie zum Team.Ich gehe wieder in unserer Zimmer und sehe zu meinen Geschwistern. "Wollen wir auf den Spielplatz gehen" frage ich. Loresa sieht mich schon wissend an und greift sich ihre Sachen. So sehr ich es auch versucht habe, sie vor allem zu schützen, je älter sie werden, desto mehr verstehen sie, warum ich random aus der Wohnung sein will. Ich ziehe Luan seine Jacke und Mütze an und wir machen uns alle auf den Weg zum Spielplatz. Der Spielplatz ist ein 5-minütiger Fußweg von Zuhause. Zuhause
Mein Bruder löst sich von meiner Hand und rennt auf die Schaukel zu. Dea direkt hinterher. Loresa und ich setzen uns auf eine Bank. Eine Stille ummantelt uns und wir blicken einfach nur auf die spielenden Kinder. Der Spielplatz ist heute nicht so voll wie sonst. Dennoch sind genug Kinder da um wenigstens Lachen anderer hören zu können.
"Es ist unfair" platz es aus Loresa raus. "Was meinst du?" frage ich verwirrt. Sie nickt in die Richtung der Kinder auf der Rutsche. Sie werden von ihren Eltern ermutigt zu rutschen und dann bejubelt sobald sie unten ankommen. Ich verstehe direkt was sie meint und drehe mich wieder zu meiner Schwester. "Gott prüft uns alle anders Lores" erzähle ich ihr auch wenn es kaum etwas bessert. "Wieso können wir nicht auch gute Eltern haben?" fragt sie und ich habe keine Antwort darauf. Ich stelle mir diese Frage mein Leben lang aber eine Antwort konnte ich nie finden. Sie lehnt ihren Kopf an meine Schulter und beobachtet weiterhin die Kinder. Irgendwann werde ich uns hier rausholen."Tesa Tesa, Luana ist wieder zum Spielen da" rennt mein Bruder aufgeregt auf uns zu. "Geh spiel mit ihr" sage ich ihm lachend. Er ist wirklich der Glücklichste von uns.
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"Komm meine Schwester kann deine Haare flechten" höre ich meinen Bruder als er wieder auf uns zukommt, aber dieses mal mit einem kleinen Mädchen an seiner Hand. Er zieht sie bis vor zu uns und sieht mich schon mit Hundeaugen an. "Tesa kannst du Luanas Haare in Zöpfe machen? Wegen ihren Haaren können wir nicht richtig spielen" bittet er in einem jammernden Ton. Das kleine Mädchen neben ihm will seine Hand nicht loslassen und wirkt eingeschüchtert. "Du bist also Luana" lächle ich sie sicher an. Sie nickt. "Soll ich dir Zöpfe machen?" frage ich sie sanft. Sie nickt wieder. Ich hole eine kleine Bürste aus meiner Tasche und bitte sie sich zu mir zu setzen. Vorsichtig flechte ich ihre Haare und schließe sie dann mit zwei Haargummis. "Wie eine kleine Prinzessin siehst du aus" sichere ich ihr zu und sie sieht mich mit großen Augen an. "Danke" lächelt sie zuckersüß und die beiden rennen wieder auf den Spielplatz. Loresa und ich unterhalten uns weiter über Gott und die Welt."So sieht man sich wieder Artesa" höre ich wieder die tiefe Stimme und drehe mich sofort zu ihm. "Woher kennst du-" ich beende die Frage nicht einmal, da mir sofort wieder einfällt, was für eine laute Person meine liebste Erza ist. Meine Wangen erröten wirklich wie auf Knopfdruck und ich spüre ihn schon grinsen.
"Was machst du hier?" frage ich den großen braunäugigen Mann vor mir, dessen Namen ich immer noch nicht kenne. "Meine Schwester auf den Spielplatz begleiten" erwidert er "Ich nehme an, dass du dasselbe machst" Ich nicke "Ich bin auch hier mit meinen Geschwistern". Er sieht zu Loresa und muss sie wohl als meine Schwester sehen. "Es ist übrigens ziemlich unfair, dass du meinen Namen weißt und ich deinen nicht." behaupte ich. "Das musst du wohl selbst herausfinden" erwidert er. "Wieso machst du so ein Geheimnis daraus?" frage ich ihn langsam genervt. "Sonst hätte ich keinen Grund mit dir zu reden" sagt er grinsend und meine Wangen erröten sich wieder. Verraten vom eigenen Körper wow. Luan rennt mit Luana wieder auf uns zu und erst jetzt merke ich, die Ähnlichkeiten ihrer Namen. Wirklich lustig.
Luana sieht zu dem Mann neben mir und rennt auf ihn zu. Das muss wohl ihr Bruder sein. "Erion können wir noch Süßigkeiten kaufen?" fragt sie ihn mit demselben Blick den mir Luan vorhin auch gegeben hat. Zwei kleine Teufel. Ich grinse siegreich, da ich seinen Namen gerade erfahren hab. Er hebt sie auf seinen Arm und platziert einen Kuss auf ihre Wange. "Natürlich zemer" sichert er ihr zu. Eine Gänsehaut bildet sich auf meiner Haut als er das Wort "Zemer" ausspricht. Irgendwas an seiner Aussprache macht es faszinierend.
Luan winkt ihr zum Abschied zu und ich rufe ihm zu "Auf Wiedersehen Erion" und betone dabei seinen Namen siegreich. "Ich brauch wohl einen neuen Grund um mit dir zu reden, bis zum nächsten Treffen am Spielplatz Artesa." und wieder eine Gänsehaut. Er geht mit Luana am Arm und wir machen uns auch langsam auf dem Heimweg.
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Malet
RomanceArtesa Cela ist ein 19-jähriges Mädchen. Aufgewachsen in einer albanischen Familie mit Eltern, die keine Kinder hätten bekommen sollen, versucht sie das perfekte Abitur zu erreichen. Beschäftigt ihre Geschwister vor Trauma zu bewahren und zu lernen...