Erion
Ich halte meine Karte an das Kartengerät der Kasse und bezahle unseren Einkauf. Artesa schwirrt noch irgendwo im Laden rum, aber ich will sie noch nicht zu sehr bedrängen. Ich werde sie sowieso wieder sehen, ich weiß es.
Meine Mutter läuft voran und ich schiebe den Einkaufswagen hinter ihr her bis zum Auto. "Mam hin ti n'kerr, ich räum die Sachen ein." (Mama, geh ins Auto). Sie setzt sich und ich räume alles in den Kofferraum.
Meine Familie ist ziemlich wohlhabend und dennoch besteht meine Mutter darauf im Aldi bei Angeboten selbst einkaufen zu gehen. Als die Familie meiner Mutter nach Deutschland geflohen ist, war das der einzige Supermarkt, in dem sie einkaufen gegangen sind. Für sie ist es ein nostalgischer Ort, egal wie oft sie den Laden umbauen.Langsam schließe ich den Kofferraum und schon fängt sich mein Blick auf langen schwarzen Haaren. Sie läuft mit einer großen Tüte den Parkplatz entlang und verschwindet. Ein wirkliches schönes Mädchen, das muss ich ihr lassen. Ich setze mich in den Fahrersitz und fahre los. Da sie in der Uni mit der Schulklasse war, nehme ich an, dass sie wahrscheinlich ihr Abi gerade macht. Schön, gebildet und herausfordernd. Ein Schmunzeln bildet sich auf meinem Gesicht, wenn ich daran denke, was sie für eine freche Ausdrucksweise besitzt.
"Wer war das Mädchen mit dem du geredet hast?" platzt es aus meiner Mutter heraus.
"Kenne sie aus der Uni Mam" Es stimmt. Ich habe meiner Mutter noch nie eine Frau vorgestellt und so bleibt es auch. Meine Priorität galt stets meiner akademischen Bildung und seit einigen Jahren dem Aufbau meines Körpers. Irgendwann werde ich sicher eine Familie gründen, aber eine Frau werde ich erst dann meiner Mutter vorstellen, wenn ich weiß, das sie die Mutter meiner Kinder wird. Noch ist das nicht geschehen."Ah studiert sie auch?" fragt sie neugierig. Ich schüttle den Kopf "Sie hat nur die Uni besucht".
"Ist sie Albanerin?" "Ja, woher weißt du das?" Sie zuckt mit den Schultern und sieht aus dem Fenster "Ich weiß sowas einfach" sagt sie gelassen. Ich bin ihr sehr dankbar, dass sie keine weitere Frage stellt. Ich kenne Artesa noch nicht gut genug um einschätzen zu können, was für eine Art Mensch sie ist. Es wird mein neues Hobby sein, das herauszufinden.******
"Bab, kommst du mit Joggen?"
Mein Vater steckt schon die ganze Woche in seinem Arbeitszimmer. Er muss seinen Kopf auch ab und zu mal frei machen. Etwas, was er mir früh beigebracht hat, aber es selbst nicht einhalten kann. Irgendwo ist es auch verständlich, wenn man bedenkt, dass er der Leiter einer Kette von Baufirmen ist. Meinem Vater war es damals möglich im Kosovo zu studieren. Heute ist er ein anerkannter Architekt. Ich denke, dass war meine Motivation Ingenieurswissenschaften zu studieren.
"Qe djali jem. Veq edhe ni minut." (Gleich mein Sohn. Nur noch eine Minute.)
Ich gehe in mein Zimmer und ziehe mir ein paar schwarze Jogger und dazu ein schwarzes Kompressionsshirt an. "Wohin gehst du?" Meine Schwester rennt auf mich zu und zieht an meinem kurzen Bart. Ich schiebe ihre Hand sanft weg, aber sie greift wieder zu. "Luana hör auf das nervt" sage ich ihr, aber es geht in ihr linkes Ohr rein und ihr rechtes raus. "Ich geh mit Babi joggen" teile ich ihr mit. "Und danach gehen wir auf den Spielplatz okay?" ich platziere einen Kuss auf ihren Kopf. Es ist mir wichtig, dass sie weiß, dass ich stets präsent in ihrem Leben bin. Familie ist das Wichtigste und sie soll wissen, dass ich immer für sie da bin. Das werde ich ihr jeden Tag bestätigen.
Ich schnüre meine Sneaker und mein Vater kommt direkt dazu. Er hat sich auch passend angezogen und Luana gibt ihm einen Kuss auf die Wange. Mein Vater und ich joggen schon mein Leben lang zusammen. Er hat mir früh beigebracht auf meine physische Gesundheit zu achten. Gesundheit ist ein Privileg und ich bin ihm sehr dankbar dafür, dass er mir das lehrte. Wir rennen die übliche Runde."Wie läuft die Uni Erion?"
"Gut Bab"
"Unterschätz das Studium nicht und auch dich selbst nicht"
Ich glaube, es war niemandem wichtiger als meinem Vater, dass ich studieren gehe. Glücklicherweise wird es Luana auch so treffen, ob sie will oder nicht. Er war immer der Erste zu dem ich aufgesehen habe. Schon immer. Egal um was es ging, seine Unterstützung war immer da. Das Gleiche kann ich auch von meiner Mutter sagen, aber ich war immer schon ein Vater-Kind.Wir beenden unsere Runde mit einem Wettrennen. Mein Vater verschwindet direkt wieder in sein Büro, dass er in unserem Haus eingerichtet hat und ich schnappe mir Luana. Hüpfend hält sie meine Hand als wir zusammen zum Spielplatz laufen. Es ist ein 15 minütiger Weg bis dahin und diese 15 Minuten nimmt eine Frau mit langen perfekten schwarzen Haaren meine Gedanken vollständig ein. Ich merke nicht einmal das wir angekommen sind, bis sich Luana von meiner Hand löst und auf die Rutsche zu rennt. Ich analysiere den gesamten Spielplatz in der Hoffnung sie zu sehen, aber vergeblich.
Ich warte am Ende der Rutsche auf Luana. "Erion, ich rutsche auf dem Bauch! Schau zu" ruft sie lautstark, sodass sie der ganze Spielplatz hört. Ich öffne meine Arme und warte auf meine Schwester. Sie rutscht auf dem Bauch runter und ab dieser Sekunde nimmt ihr Lachen meine Gedanken ein und die schwarzhaarige Schönheit verschwindet. Mit voller Schwung greife ich sie und drehe sie in der Luft herum.
"Luana! Luanaaa" Ich stoppe und drehe mich mit ihr um. Artesas Bruder rennt auf uns zu und ich setze Luana ab.
"Hallo Luan! Mein Bruder kann dich auch drehen" sagt sie ihm und ich sehe sie verwirrt an.
Jetzt sieht er mich mit großen Augen an. Ich kann Kindern einfach nichts abstreiten. Vorsichtig nehme ich ihn hoch und drehe ihn ebenfalls in der Luft. Luana springt vor Freude herum und ich lasse ihn wieder runter. Sie umarmt ihren kleinen Freund und ich sehe wie Artesa auf uns zu kommt."Luana ich muss dir was zeigen. Komm mit"
"Klaust du mir jetzt meine Schwester Luan?" frage ich ihn. Er nickt eingeschüchtert.
"Dann klau ich aber auch deine Schwester. Hast du was dagegen?" Dieses Mal schüttelt er den Kopf eingeschüchtert und rennt mit Luana weg. Mein Blick richtet sich sofort auf Artesa, die mich bereits mit roten Wangen ansieht. Sie hat den Teil der Unterhaltung gehört und ich hab kein einziges bisschen Scham in mir."Du hast es selbst gehört. Ich klaue dich Artesa" zwinkere ich ihr zu und verschränke meine Arme. Ihr Blick fällt kurz auf meinen Bizeps aber richtet sich schnell woanders hin. "Träum weiter. Und sag mal, stalkst du mich jetzt? Ich hab dich vorher nicht hier gesehen und jetzt schon das zweite Mal heute" Jetzt verschränkt sie die Arme. Sie trägt noch das gleiche Outfit wie heute Mittag auch. Einen dunkelroten Pullover, eine schwarze enge Jeans und schwarze Stiefel. Ihre Haare sind offen und ihr Makeup stark, aber es passt zu ihr. Ich nähere mich ihr bis ich nur noch ihr Parfüm rieche. Sie riecht nach Blumen und irgendwas dunkles, etwas anziehendes. Ich bin ihr so nah, dass ihr Gesicht nur noch einige Zentimeter von meinem entfernt ist. "Wäre das ein Problem?" Meine Stimme ist fast schon ein Flüstern. Aber es reicht, nur sie soll mich hören können.
Ich bekomme keine Antwort. Sie sieht auf den Boden offenbar beschämt, aber dennoch geht sie nicht. Ich schmunzle aber gehe an ihr vorbei und sehe nach meiner Schwester.
"Luan wie lange bleibst du heute?" höre ich meine Schwester. Die beiden sitzen in einem Minihäuschen und bauen Sandkuchen. "Bis meine Eltern aufhören zu schreien sagt meine Schwester" "Warum schreien sie?" fragt sie weiter. "Keine Ahnung" Die Trauer in seiner Stimme ist unüberhörbar. Ich spüre wie sich Artesa neben mich stellt. Auch dieses Mal hat sie die Unterhaltung gehört. Sie sagt kein Wort und ich sage kein Wort.
Trotz der lauten lachenden Kinder, füllt die Stille unsere Ohren.
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Malet
RomanceArtesa Cela ist ein 19-jähriges Mädchen. Aufgewachsen in einer albanischen Familie mit Eltern, die keine Kinder hätten bekommen sollen, versucht sie das perfekte Abitur zu erreichen. Beschäftigt ihre Geschwister vor Trauma zu bewahren und zu lernen...