Artesa
Es geht ihn rein gar nichts an. Nichts. Falls er auf eine Erklärung hofft, kann er das lange tun. Er hat nichts in unserem Leben verloren, also warum sollte ich ihm Luans Worte erklären. Obwohl sie Erklärung genug waren. Ich starre auf das kleine Spielhaus, in dem sich mein Bruder und seine Schwester befinden. Er sagt kein Wort und das ist gut so. Allerdings kann ich nicht einordnen, ob er es aus Respekt tut oder es ihn nicht genug interessiert. Beides ist mir recht wenn ich ehrlich bin.
Es wird dunkel, wir müssen wieder zurück. "Luan, zemer hajde po shkojm n'shpi" (mein Herz komm wir gehen nach Hause). Ich höre wie er sich verabschiedet und er sich zu mir begibt. Ich nehme seine Hand und wir gehen los. Ein sanfter aber doch fester Griff umfasst mein Handgelenk und zieht mich näher an einen großen braunäugigen Jungen. "Wenn du jemanden brauchst, du weißt wo du mich findest." Er löst den Griff und unsere Wege trennen sich. Seine Worte verlassen meine Gedanken nicht. Ich brauche ihn nicht. Ich bin nicht schwach. Sehe ich etwa schwach aus? Wut bildet sich in mir. Artesa er hat es nur gut gemeint. Warum hat er es nicht einfach bei Stille belassen. Jetzt bin ich ein hilfloses Mädchen in seinen Augen.
Ich will kein beschissenes Mitleid.
******
Wütend schminke ich mich ab und reinige mein Gesicht. Was denkt er sich? Oh Gott jetzt reicht es aber, er hatte eine gute Absicht. Ich mach aus einer Mücke einen Elefanten. Meine Gedanken kämpfen seit 2 Stunden miteinander. Mein Inneres kann sich nicht entscheiden, ob ich wütend auf ihn sein oder es dankend betrachten soll. Tupfend trockne ich mein Gesicht und sehe mich im Spiegel an. Die hohen Wangenknochen habe ich von meiner Mutter, genauso wie die vollen Lippen und den hellen Teint. Meine grünen Augen kommen von meinem Vater, genauso wie der Rest meiner Gesichtszüge. Ich sehe meinem Vater viel ähnlicher als meiner Mutter. Vielleicht ist das der Grund, wieso sie mir gegenüber so abgeneigt ist. Ein Gedanke, der mir einmal zu viel durch den Kopf geschossen ist. Eine Träne bildet sich in meinem linken Auge und fällt auf meine Wange. Sanft wische ich sie weg. Ich verdiene das nicht. Ich verdiene diesen Hass nicht. So sehr ich es mir einreden will, um mich besser zu fühlen, es funktioniert einfach nicht. Ich möchte doch nur Ruhe, warum hört mein Kopf nicht auf. Ich lege meine Hände auf meine Ohren und versuche meine Gedanken zu ignorieren. Es ist so laut. Es ist so verdammt laut. Es ist nur in deinem Kopf Artesa. Ich schlage gegen meinen Kopf. Tränen laufen mir übers Gesicht. Ich muss mich beruhigen. Angespannt versuche ich meine Atmung zu regulieren und meine Tränen zu verwischen. Ich schütte mir kaltes Wasser ins Gesicht. Der leichte Schock durch das kalte Wasser beruhigt mich ironischer Weise.
"Raus aus dem Bad" klopft mein Vater gegen die Tür. Sofort verlasse ich das Badezimmer und gehe ohne Umweg ins Bett.
******
"So wird das nie was" Erza seufzt genervt. Sie und ich sitzen seit Unterrichtsende in der öffentlichen Bibliothek und versuchen für die anstehende Mathearbeit zu lernen. Es liegt uns beiden nicht, aber dennoch versuche ich es mir irgendwie selbst her zu leiten. Unsere Mathelehrerin ist eine super nette alte Frau, aber unterrichten? Nicht jeder hat das Zeug dazu.
"Lass uns eine Pause machen und in 10 Minuten weiter machen."
"Oh perfekt" Sie schickt mir Luftküsse und tippt auf ihrem Handy rum. "Ich schaue mal, obs interessante Krimis gibt" gebe ich ihr Bescheid und spaziere in den Gängen herum. Sobald ein Cover hübsch genug ist, blättere ich kurz durch bis ich entschieden hab, ob es interessant genug ist. Ich bin extrem wählerisch wenn es um Bücher geht. Als Kind habe ich durchgehend gelesen, sodass meine Mutter mir irgendwann mein Buch aus den Händen reißen musste, nur damit ich endlich esse.Erneut greife ich nach einem Buch. Ein Kriminalroman. Ich lese die ersten paar Seiten, aber es fängt mich wieder nicht. Gerade als ich es zurückstellen möchte, füllt eine dunkle raue Stimme meine Ohren. "Ein wirklich spannendes Buch. Lass dich nicht von dessen Anfang täuschen" Ich blicke in seine brauen Augen und stelle es aus Trotz und auch Dickköpfigkeit zurück. "Ich brauche keine Hilfe von dir" und obwohl meine Worte auf das Buch bezogen waren, war es doch auch auf seine Worte von gestern gemeint. Sein Gesichtsausdruck deutet mir, dass er es auch so verstanden hat. Er lehnt seinen Oberkörper mit verschwränkten Armen gegen das große Bücherregal. "Bist du sauer auf mich?"
Alles in mir stockt. Bin ich es? Gestern habe ich mich über jedes seiner Worte und über ihn durchgehend aufgeregt und gleichzeitig habe ich mich doch dankbar gefühlt. Und jetzt? Ich kann seine Frage nicht beantworten. "Artesa" Erza ruft nach mir und gerade als ich zu ihr will, zieht er mich an meinem Arm zu sich und positioniert mich zwischen ihm und dem Regal. Ich habe keinen Ausweg mehr. Er selbst stellt sich noch näher an mich hin, sodass meine Brust seine streift. "Was machst du da?" Wärme steigt in meine Wangen. Mir ist viel zu warm geworden. "Bist du sauer auf mich?" frägt er erneut. Sein warmer Atem berührt mein Gesicht und das macht meine ganze Situation nicht besser. Er riecht viel zu gut und es verwirrt mich. Sein Geruch benebelt meine Gedanken. Ich kann seine Frage immer noch nicht beantworten. Stille liegt zwischen uns. Niemand anderes ist in diesem Gang und der Gedanke, dass uns jemand so sieht sorgt für ein Gefühl von Scham. Er soll endlich weg. Das Letzte was ich gebrauchen kann, sind Gerüchte von mir und einem Jungen. Wenn meine Eltern das hören-
"Artes'?" haucht er. Seine Augen halten mich gefangen. Selbst wenn ich wegsehen wollte, ich kann es nicht. Es funktioniert nicht. Dieser Augenkontakt ist viel zu intensiv. So intensiv, dass ich nicht merke wie nah seine Lippen an meinen sind. "Ich..ehm" Ich lecke mir über meine mittlerweile trockenen Lippen. Ich kann keinen vernünftigen Satz bilden. Seine Nähe irritiert mich. Ein Schmunzeln bildet sich auf seinen Lippen. Dieser Arsch weiß ganz genau wie nervös er mich macht. "Erion.. wenn uns jemand so sieht.." stammele ich. "Beantworte meine Frage und ich lasse dich gehen" Er fordert mich heraus. Niemand fordert mich heraus, aber er schon.
"Nein" kommt es endlich über meine Lippen. Ich bin nicht sauer, aber doch etwas gekränkt. "Du lügst, aber ich lasse dich damit durchkommen" Er spielt auf das eine Mal im Supermarkt an als ich ihn wegen seiner zerkratzten Hände ansprach. Irgendwie scheint es unser Ding zu sein auf die Worte des anderen zu schließen. Er schließt seine Augen und es sieht so aus als ob er meinen Geruch einziehen würde. In diesem kurzen Moment bin ich keine Gefangene in seinem Blick, aber so schnell dieser Moment kam, so schnell ist er auch wieder weg. Er entfernt sich immer noch nicht von mir. "Du bist eine verwirrende Frau Artesa. Ich will wissen wer du bist und ich werde es herausfinden, ob du willst oder nicht." Er lässt von mir ab und verschwindet.
Keine Ahnung was gerade passiert ist und ich habe keine Zeit um nochmal alles in meinen Gedanken durchzugehen, denn schon wieder ruft Erza nach mir. Langsam und irritiert setze ich mich wieder an den Tisch. "Ich hab dir gerade ein Screen geschickt. Schau es dir bitte an" sagt sie mir und ihr Blick ist immer noch auf ihr Handy gerichtet. Ich taste nach meinem Handy aber ich spüre es nicht. Panisch suche ich meinen ganzen Körper ab. Wo ist es? Ich wühle zwischen den Blättern auf unserem Tisch. "Hast du dein Handy verloren?" frägt sie mich. Schlagartig kommt mir nur noch eine einzige Person in den Sinn, die ich verdächtigen könnte. Erion. Dieser verfluchte Arsch. Er hat einfach mein Handy geklaut. Jetzt reichts. Wütend stehe ich auf und suche die gesamte Bibliothek nach ihm ab aber erfolglos. Als ich an dem Regal von vorhin stehe, finde ich mein Handy genau vor dem Buch wieder, dass er mir empfehlen wollte. Ich hasse ihn. Sorgfältig checke ich mein Handy auf Schäden ab und entsperre es.
Eine neue Benachrichtigung.
"Du wirst immer schöner wenn du wütend bist" Die Nummer ist nicht eingespeichert, aber ich kann mir denken wer so einen Mist von sich gibt. Und doch gefällt mir dieser Mist.
_____________________________
Was haltet ihr von Artesas Einstellung gegenüber Erion?
Was haltet ihr von Erion selbst?
DU LIEST GERADE
Malet
RomanceArtesa Cela ist ein 19-jähriges Mädchen. Aufgewachsen in einer albanischen Familie mit Eltern, die keine Kinder hätten bekommen sollen, versucht sie das perfekte Abitur zu erreichen. Beschäftigt ihre Geschwister vor Trauma zu bewahren und zu lernen...