Gedankenlesen

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Er schnallte mich einfach an, ohne auch nur einmal aufzusehen. Seine Hände strichen kurz an meiner Schulter fest und zielgerichtet, während er den Gurt um mich zog und dann einrastete. In den kurzen Sekunden die er nah an mir war, konnte ich seinen warmen Atem an meinem Hals spüren und eine Gänsehaut hatte sich breit gemacht.

Dann startete er den Motor und fuhr einfach los, als wär das eine alltägliche Geste gewesen. Als ich realisierte was gerade passiert war begannen meine Wangen zu glühen und ich merkte wie mein Atem kurz schnell ging.

Innerlich kämpfte ich darum, ruhig zu bleiben, doch das klappe nur mäßig denn jede Faser meines Körpers spürte noch den kurzen Druck seiner großen Hände.

Ich strich meine Hände nervös an meinen Oberschenkeln ab und sah aus dem Autofenster und versuchte mich auf die Fahrt zu konzentrieren.

Langsam muss ich echt aufhören mir diese Spannung einzubilden. Er schien so locker und entspannt während ich wegen Ihm hier halb austickte bloß weil er neben mir saß.

Als ein Klingeln ertönte traute ich mich langsam zu Ihm zu sehen. Es war das typische IPhone Klingeln, welches mir signalisierte, dass er gerade einen Anruf bekam. Am Auto Display in der Mitte stand groß und deutlich -Eingehender Anruf Milan-, direkt musste ich schmunzeln.

War klar, dass Sie auch in der Freizeit mit einander viel zutun hatten. Flink drückte Altin einen Knopf und schon konnte man Milans Stimmer durch die Lautsprecher im Auto hören.

,,Bruder?'', begrüßte Milan von der anderen Leitung und wartete wohl ab ob Altin wirklich abgehoben hatte.
Altin gab daraufhin nur ein kurzes Ja von sich, damit Milan weitersprach.

,,Und ? Hast du es gemacht? Hast du dich getra-'', schoss Milan schnell los und Altin unterbrach Ihn auf einmal schnell mit lautem Ton:,, Milan, ich ruf später zurück.'' knurrte er fast schon und legte ohne Antwort abzuwarten auf.

Das war aber unfreundlich dachte ich mir. Andererseits kam mir in den Sinn, dass Altin vielleicht nicht wollte, dass ich was privates mitbekam, da er mich ja nicht wirklich kannte. Deshalb sagte ich lieber Garnichts dazu.

Gerade als ich mich selbst fragte woher Altin eigentlich wusste wo hin er fahren musste kam er mir direkt zu vor, als könnte er Gedanken lesen. ,,Aylin hat uns vorhin gezeigt wo du wohnst.'', räusperte er sich und machte einen kleinen Schulterblick nach rechts bevor er in meine Straße bog. Na klasse, irgendwie auch beunruhigend, dass sie zwei fremden meine Adresse zeigt. Ich wusste aber dass es nicht der Grund war welcher störte, sondern eher der Gedanke , dass beide nun gesehen hatten, wie abgenutzt und runtergekommen die Gegend hier aussah wo ich wohnte.
Ich nickte nur verstehend, wollte Ihm nicht antworten.

Langsam kam sein Auto zum Rollen und er hielt am Gehweg an, vor dem Treppenhaus.

Ich spürt wie mein Puls leicht anstieg, als ich daran dachte, dass Altin jetzt ganz genau sehen konnte, wie es hier in meiner Gegend aussah, höchstwahrscheinlich weit entfernt von dem was er vermutlich gewohnt war. Ein Anflug von Scham mischte sich mit meiner Wut.

Bevor er auch nur ein Wort sagen konnte, schnallte ich mich hastig ab, griff nach meinem Ordner unten im Fußraum und murmelte nur ein kurzes ,,Dankeschön'' und stieg einfach aus. Ohne mich umzudrehen oder auf seine Reaktion zu achten, ging ich mit schnellen Schritten Richtung Haustür, spürte seine Augen im Rücken und konnte kaum schnell genug ins Treppenhaus verschwinden.

Oben angekommen sperrte ich zitternd vor Wut die Tür auf und schloss diese schnell wieder. Beruhigend legte ich meine Hand auf meiner Stirn ab. Atme. Mit geschlossenen Augen stand ich da und beruhigte mich selbst. Bis sich meine Augen aufrissen. Mein Fahrradschlüssel!

Geschockt schnappte ich nach Luft und schnell drückte ich die Türklinke runter um ihn schnell noch einzufangen. An der Türschwelle blieb ich stehen. Mein Blick glitt nach unten auf die Fußmatte.
Da lag mein Fahrradschlüssel. Mein Arm sackte nach unten und benommen sah ich den Schlüssel noch mindestens Zwei Minuten an bevor ich ihn aufhob und in die Schale neben meiner Tür legte. Er hatte Ihn hochgebracht.

Aylin und ich hatten uns eine Bank am Rand der Grünfläche gesucht und verbrachten die Pause gemeinsam. Gerade erzählte sie mir eine lustige Geschichte über Ihren alten Nachbarn, da bemerkte ich wie Milan plötzlich alleine auf uns zukam und sich lässig neben Aylin setzte. Ich blickte automatisch hinter ihn, doch niemand war da.

Ein leichter Anflug von Enttäuschung stieg in mir auf, gemischt mit einem Anflug von Verwirrung .

Milan bemerkte anscheinend meinen kurzen Blick, denn er hob eine Augenbraue und schmunzelte leicht. Genervt sah ich Ihn an und schüttete nur mit dem Kopf.

Es hatte mich nur überrascht, dass die beiden nicht wie sonst gemeinsam da waren.

Ich runzelte die Stirn während ich meine Mandarine schälte und sah nun neugierig zu Milan. ,,Sag mal, findet Ihr das nicht selbst irgendwie komisch?'', begann ich langsam. ,,Ihr seid doch erst mitten im Semester dazu gekommen oder? Und trotzdem wirkt ihr schon so, als wärt ihr voll auf dem Laufenden. Müsst ihr nicht richtig viel nachholen?''

Milan schaute erst zu Aylin und dann verwirrt zu mir und legte den Kopf schief. ,,Was meinst du mit dazugekommen?'' , fragte er offensichtlich irritiert. ,, Wir sind doch schon immer hier an der Uni gewesen und haben am selben Tag wie Ihr beide angefangen.'', setzte er fort.

Ich blinzelte überrascht und versuchte seine Worte von eben zu verarbeiten. ,,Moment mal... am selben Tag wie wir?'' ,murmelte ich leise vor mich hin. Das ergab für mich überhaupt keinen Sinn. Wenn Milan und Altin wirklich von Anfang an dabei waren, wieso hatte ich Altin bisher nicht einmal bemerkt?

An der Bank zurückgelehnt aß ich meine Mandarine fertig und hörte Milan und Aylin gar nicht mehr zu. Die zwei konnten eh nicht bei einem Thema bleiben und ich hatte eh leicht Kopfschmerzen. Gott sei Dank musste ich heute nicht noch arbeiten. Heute könnte ich nach der letzten Vorlesung gemütlich zuhause meine Notizen auffrischen und einfach mal entspannen.

Langsam taumelten wir in den Vorlesungssaal, noch halb im Gespräch vertieft. Doch sobald wir die Tür durchschritten, kam ich langsam zum stehen. Überraschenderweise saß Altin bereits da, ausgerechnet au dem Platz, auf dem ich sonst immer saß.

Ein kurzer Anflug von Unsicherheit überkam mich und ich wollte mich gerade zu Aylin drehen als sie ungeduldig lachte und mit einem belustigten Augenrollen in Richtung der drängelnden Studierenden hinter uns flüsterte: ,,Nora, setzt dich endlich rein!''

Widerwillig schritt ich zu meinem Platz. Naja vielmehr zu dem Platz direkt neben Altin.

Innerlich hatte ich irgendwie gedacht, er würde mir irgendwie zunicken oder irgendwas sagen aber er starrte nur gelangweilt vor sich hin und klickte rhythmisch mit seinem Kugelschreiber.

Oh das war ja meiner. Hatte er diesen echt behalten?

Als auch Aylin und Milan neben uns platz nahmen ließ etwas Anspannung von meinen schultern ab. Ich würde das schon überleben. Es war schließlich nur eine Vorlesung.

Doch kaum hatte ich mich halbwegs entspannt, ließ der Dozent vorne einen Satz fallen, der mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. : ,, Außerdem wird es heute ausnahmsweise eine kurze Partnerarbeit geben'', wurde freundlich verkündigt.

Das wars also.

Between Book'sWo Geschichten leben. Entdecke jetzt