5-Schuld und Vergebung

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-Jiho Sicht-

Ich bleibe stehen, ihre verzweifelte Stimme hält mich wie ein unsichtbares Band zurück. Der Schmerz in ihren Worten spiegelt den meinen wider. Meine Augen brennen, und ich spüre eine einsame Träne, die über meine Wange rollt. Langsam drehe ich mich zu Sujin um und schließe für einen Moment die Augen.

„Verdammt... ich hasse mein schlechtes Gewissen," murmele ich schließlich und atme tief aus. Ich gehe auf Sujin zu und blicke sie fest an. „Gut, ich helfe dir. Aber wenn ich den anderen gegenübertrete, der Familie von der Jiho dieser Welt... dann müsst ihr an meiner Seite stehen. Und verspricht mir, dass Jun mir nichts antun wird," füge ich eindringlich hinzu.

Sujin wischt sich die Tränen ab und nickt lächelnd. „Ich verspreche es." Sie umarmt mich kurz, bevor sie sich wieder fängt und Sora uns weiterführt. „Dann kommt."

Am Gefängnisgitter angekommen sehen wir eine Gestalt im Dunkeln – Jun, die auf dem kalten Boden sitzt. Die Knie an die Brust gezogen, den Blick leer auf den Boden gerichtet. Ihr Gesicht ist von Schrammen gezeichnet, und das Brot und Wasser neben ihr scheinen unberührt. Die Dunkelheit lässt kaum etwas von ihr erkennen, doch ihr Zustand spricht für sich.

„Jun..." Sujin's Stimme bebt, als sie ihren Namen ausspricht. Doch Jun reagiert nicht, starrt weiterhin auf die kalten Steine vor sich.

„Jun," flüstert Sujin und presst eine Hand gegen das Gitter, ihre Augen werden glasig. „Jun, du... du wirst bald frei sein."

Noch immer keine Regung. Jun bleibt in ihrer Haltung , bis ein kaltes und kaum hörbares Murmeln von ihr ausgeht. „Wie oft noch... komm mich nicht besuchen." Die Bitterkeit in ihrer Stimme lässt Sujin zusammenzucken, als hätte sie einen Schlag erhalten.

Sujin kämpft mit den Tränen, die sich in ihrer Kehle festsetzen, und Sora legt tröstend eine Hand auf ihre Schulter. Schließlich trete ich einen Schritt nach vorne, lege entschlossen meine Hand ans Gitter.

„Jun," sage ich und lasse meine Stimme fest und ruhig klingen, auch wenn es mich alles kostet. „Sieh mich an. Ich bin Han Jiho. Ich lebe."

Der kalte Raum scheint sich anzuhalten, als Jun ruckartig ihren Kopf hebt und mich ansieht. Ihre Augen weiten sich, fangen die Dunkelheit und das Licht der fernen Laternen ein, als ob sie ein Gespenst erblickt hätte. Die Worte bleiben mir im Hals stecken, während ich Jun's Blick erwarte, ein Blick voller Wut, Schmerz oder Schuld, ich kann es nicht vorhersagen.  Es ist, als hätte sie einen Geist gesehen – und vielleicht bin ich das für sie, ein Phantom aus der Vergangenheit, das sie nie wieder erwartet hätte.

„Was... wie...?" Ihre Stimme ist rau, kaum mehr als ein Flüstern. Ihre Finger krallen sich in den Boden unter ihr, als ob sie nach Halt suchen würde. Sie atmet stoßweise, völlig außer Fassung.

„Ja, Jun, ich bin es wirklich... Han Jiho. Die Jiho, die lebt."

Die Worte klingen eigenartig in meinen Ohren, weil sie für mich eine Lüge sind, und doch steckt so viel Wahrheit darin. Ich lebe, aber es ist nicht das Leben, das sie kennt. Sie scheint meinen Worten nicht zu trauen, und ich kann sehen, wie Verwirrung und Misstrauen in ihren Augen aufblitzen, doch darunter liegt etwas anderes. Ich hoffe auf Reue.

„Das ist nicht möglich," flüstert sie, den Blick immer noch auf mich gerichtet, als könne sie meinen Anblick nur schwer ertragen. „Du... warst tot. Ich habe dafür gesorgt."

„Und jetzt bin ich hier, Jun." Meine Stimme klingt ruhig, aber mein Herz schlägt wild. „Ich weiß, was du getan hast. Ich weiß, was für eine Vergangenheit du mit der Jiho dieser Welt teilst. Aber ich bin nicht die Jiho, die du getötet hast. Ich bin... jemand anders." Das zu sagen, fühlt sich schmerzhaft an, aber es ist wahr. 

„Warum... warum bist du hier?" Ihr Gesicht ist von Verzweiflung gezeichnet, eine seltsame Mischung aus Erleichterung und Qual. Sie wirkt, als würde sie nicht wissen, ob sie lachen oder weinen soll.

Ich nehme einen tiefen Atemzug. „Ich bin hier, weil ich Frieden schaffen soll – nicht nur zwischen den Königreichen, sondern auch zwischen uns allen. Dein Hass hat dich hierher gebracht, aber vielleicht... kann mein Mitgefühl uns beide befreien."

Jun schüttelt den Kopf und sieht plötzlich unendlich müde aus. Sie lacht bitter und sieht zu Boden. „Mitgefühl... Mitgefühl hat mir alles genommen. Ich habe schon lange verlernt, was das heißt. Du solltest mich hassen, Jiho. Ich habe dich getötet... oder sie... oder was auch immer das hier ist." 

Ich spüre Mitleid, obwohl ich es eigentlich nicht fühlen möchte. „Vielleicht hast du das Mitgefühl verlernt, Jun, aber vielleicht kann ich dir dabei helfen, es wiederzufinden. Du hast Dinge getan, die ich nie verstehen werde, aber ich bin bereit, dir die Hand zu reichen. Weil... weil ich weiß, wie es ist, seine Familie oder geliebte Personen zu verlieren.''

Der Gedanke an meine Schwester  bringt mich selbst fast zum Weinen. Ich gehe einen Schritt weiter, meine Hand umschließt die Gitterstäbe des Kerkers. „Wir brauchen dich, Jun. Für den Frieden. Für deine Familie, für Sujin... und vielleicht auch ein kleines bisschen für mich."

In ihrem Blick sehe ich, dass meine Worte auf irgendeine Weise zu ihr durchgedrungen sind, und sie senkt ihren Kopf, als ob sie nicht wagt, mich weiter anzusehen. Ihre Stimme bricht, als sie leise sagt: „Wenn du mir wirklich verzeihen kannst... dann lass mich dir helfen, den Frieden zu schaffen, den ich dir einst genommen habe."

Ich nicke, und für einen Moment scheinen die dunklen Mauern des Kerkers nicht mehr ganz so bedrückend zu sein.

Als ich mich zu den anderen drehe trifft Soras blick mich.  Ihre Augen sind fest, als würde sie sich innerlich schon auf das vorbereiten, was kommen wird. „Jiho...", sagt sie ruhig, aber mit Nachdruck, „damit Jun wirklich frei kommt, musst du deiner Familie beweisen, dass du lebst. Du musst vor allen Menschen in dieser Welt zeigen, dass du nicht tot bist. Nur dann können wir das Urteil aufheben, das sie Jun auferlegt haben."

Ich schmunzle, da mir eine Idee aufkommt, die auch ein Vorteil für mich trägt. „Das werden ich...", sage ich mit einer Entschlossenheit, die mir selbst überrascht. „Ich werde die Hochzeit einfach stürmen. Wenn wir das tun, wird jeder von mir erfahren, meine Schwester wird nicht heiraten müssen und Jun kommt auch Frei"

Sora runzelt die Stirn. „Jiho, du weißt, was das bedeutet, oder? Du kannst nicht einfach eine Hochzeit stürmen. Das könnte uns alles kosten. ''

„Das spielt keine Rolle", antworte ich, ohne zu zögern. „Wenn das der Preis ist, den ich zahlen muss, dann werde ich ihn zahlen. Niemand, niemand wird Suhee zwingen. Ich werde für sie kämpfen, egal was passiert. Und wenn ich dadurch meine Familie und mein eigenes Leben riskiere, dann ist es das wenigstens wert."


Ich wünschte ich hätte mich auf diese Begegnungen, die mich erwarten vorbereiten können...

Tanz der KirschblütenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt