Ein Tagtraum

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Pov Cassy

Die Gasse war eng und schmal, die hohen, düsteren Gebäude um mich herum wirkten bedrohlich. Lange Schatten zogen sich über den unebenen Boden, und das unaufhörliche Ticken lag wie ein Herzschlag in der Luft. Es war ein merkwürdiges Geräusch – mechanisch, kalt und dennoch lebendig, als ob diese Stadt selbst atmen würde. 

Ich blieb stehen, lauschte und sah mich um. Alles wirkte verlassen, keine Menschenseele weit und breit. Doch das Ticken wurde lauter, beinahe drängender, als würde es mich rufen. Unsicher, ob ich wirklich auf dem richtigen Weg war, folgte ich dem Geräusch. 

„Zeke?“ rief ich leise, meine Stimme hallte von den Wänden wider. Keine Antwort. Nur das Ticken, gleichmäßig und unaufhaltsam, als würde es mich an ein Ziel führen, das ich nicht verstand. 

Nach einiger Zeit entdeckte ich eine alte, schwere Tür, an der das Geräusch besonders laut war. Zögernd legte ich die Hand an den kühlen, metallischen Griff und drückte sie auf. 

Hinter der Tür befand sich ein kleiner Raum, der mit mechanischen Apparaten und Zahnrädern vollgestopft war. Maschinen klopften und surrten, ihre Bewegungen präzise und unnachgiebig. Es war, als hätte jemand hier die Zeit selbst in eine Maschine gepackt und zum Laufen gebracht. Doch von Zeke war keine Spur. 

„Verdammt,“ murmelte ich. Die Frau hatte mich offensichtlich auf einen Holzweg geschickt. Wut und Frustration stiegen in mir auf, während ich mich umsah und versuchte, eine Spur oder einen Hinweis zu finden. 

„So leicht ist er nicht zu finden.“ 

Die tiefe Stimme ließ mich zusammenzucken. Ich wirbelte herum, das Herz schlug mir bis zum Hals. Da stand er wieder – der Mann in Schwarz. Seine Brille mit den runden Gläsern glänzte im schwachen Licht der Maschinen, und die dunklen Stoffetzen, die sein Gesicht verhüllten, bewegten sich leicht, als ob sie lebendig wären. 

„Du!“ brachte ich hervor und wich einen Schritt zurück. „Was willst du?“ 

Er trat ruhig einen Schritt nach vorn, seine Präsenz füllte den Raum wie ein Schatten, der alle Winkel bedeckt. „Sicherstellen, dass du den Sandmann findest,“ sagte er mit ruhiger Stimme, die eine unheimliche Autorität ausstrahlte. 

„Zeke?“ fragte ich misstrauisch. „Warum interessiert dich das?“ 

Er ließ sich Zeit mit der Antwort, als ob er jedes Wort sorgfältig abwog. „Er ist wichtig. Nicht nur für dich, sondern für das Gleichgewicht der Welten. Ohne ihn …“ 

„Ohne ihn was?“ hakte ich nach. 

„… wirst du nichts von dem, was du suchst, retten können,“ fuhr er fort, ohne meine Frage wirklich zu beantworten. Seine Stimme klang wie ein Rätsel, eine Melodie, die sich jedem Versuch entzog, sie zu fassen. 

Ich spürte, wie sich meine Hände zu Fäusten ballten. „Du redest in Rätseln. Ich versuche doch gar nichts zu retten. Warum hilfst du mir nicht einfach, ihn zu finden?“ 

Er neigte den Kopf leicht zur Seite, wie ein Lehrer, der einen ungeduldigen Schüler beobachtet. „Er wird dich finden, wenn die Zeit reif ist. Bis dahin – lerne, zuzuhören. Die Maschinen sprechen, wenn du weißt, wie man hinhört.“ 

Bevor ich eine Antwort finden konnte, wandte er sich um und verschwand in den Schatten, so lautlos, wie er gekommen war. 

Das Ticken um mich herum schien plötzlich lauter und drängender, als wollte es mir etwas sagen. Ich biss die Zähne zusammen und ballte die Hände zu Fäusten. „Lerne, zuzuhören“, hatte er gesagt. 

Aber wem sollte ich zuhören, wenn ich alleine war? 

Ich beschloss, dass der Fremde mit seinen Rätseln völligen Unsinn geredet hatte, und lief zurück auf die Straße. Das stetige Ticken der Maschinen wurde schwächer, als ich mich weiter entfernte. Statt weiter zu grübeln, beschloss ich, einfach die Straße hochzugehen und irgendwann abzubiegen. Irgendwo würde ich schon landen, und hoffentlich würde dieser Ort mich näher zu Zeke bringen. 

„Hey! Warte mal!“ rief plötzlich eine Stimme hinter mir. 

Überrascht blieb ich stehen und drehte mich um. Ein Junge mit braunen Haaren und einem verschmitzten Lächeln joggte auf mich zu. Seine Kleidung war ein wilder Mix aus bunten Stoffen und Zahnrädern, als hätte er sich aus einer Werkstatt bedient, und er trug eine Brille mit winzigen, getönten Gläsern, die er sich jetzt lässig zurechtrückte. 

„Du bist nicht von hier, stimmt’s?“ fragte er, als er vor mir zum Stehen kam. 

„Nein, wieso?“ fragte ich verwundert. 

Er musterte mich von Kopf bis Fuß und nickte dann, als hätte er gerade seine Vermutung bestätigt. „Das sieht man sofort. Du bewegst dich so … vorsichtig. Ich bin Fabio, ein waschechter Tagtraum.“ 

Er streckte mir die Hand hin, als sei das die natürlichste Vorstellung der Welt. 

„Ich bin Cassy,“ sagte ich zögernd und schüttelte seine Hand. 

Fabio grinste breit. „Und was bist du?“ 

Ich blinzelte irritiert. Hatte er das mit dem Tagtraum wirklich ernst gemeint? Sein Gesichtsausdruck zeigte keine Anzeichen von Scherz. 

„Ähm …“ begann ich, suchend nach einer Antwort. 

„Ooookay,“ unterbrach er mich und tippte sich mit einem Finger an die Stirn, während er mich kritisch musterte. „Dann lass mich eben raten. Für einen Albtraum siehst du zu nett aus, außer du bist einer von der ganz üblen Sorte. Ein Tagtraum bist du auch nicht … was gibt es denn noch?“ 

„Ich bin ein Mensch,“ sagte ich schließlich und biss mir sofort auf die Lippe. Vielleicht hätte ich das besser nicht gesagt. 

Fabios Augen wurden groß, als hätte ich gerade eine Weltverschwörung aufgedeckt. Dann sah er sich hektisch um, sein Kopf schoss von einer Richtung in die nächste, als er die Straße absuchte. „Wenn das stimmt, darfst du das auf keinen Fall einfach so sagen! Menschen dürfen hier nicht sein. Was machst du hier?“ 

„Ich suche Zeke,“ antwortete ich leise, unsicher, ob das die Situation besser machen würde. 

Wenn möglich, wurden Fabios Augen noch größer. „Den Meister? Warum sucht ein Mensch ihn?“ 

„Naja … weil … ich ihn sprechen muss,“ stammelte ich, nicht sicher, wie viel ich ihm erzählen sollte. 

Fabio schüttelte ungläubig den Kopf. „Das ist Wahnsinn. Wenn die anderen hier erfahren, dass ein Mensch Zeke sucht, werden sie ausflippen. Oder schlimmer … sie erzählen es *ihm.*“ 

„Ihm?“ fragte ich nervös. 

Fabio packte meine Hand und zog mich in eine schmalere Seitengasse. „Lass uns erstmal hier weggehen. Wenn du Zeke wirklich finden willst, dann solltest du lernen, dich unauffällig zu bewegen.“ 

Seine Worte klangen nach einer Warnung, und der Ernst in seinem Gesicht ließ mich widerstandslos mitlaufen. Wer auch immer „er“ war, es klang nicht nach jemandem, den ich kennenlernen wollte.

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Ich weiß gar nicht bei wem ich es gerade interessanter finde 🤔
Wollt ihr lieber hier bei Cassy weiter lesen oder wieder zu Fips wechseln?

Achtsman jammern mit dem Osterhasen | Eine Julien Bam FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt