NINETEEN

523 16 52
                                    

Kenan

Ich betrete mein Hotelzimmer und schließe die Tür hinter mir.Statt glücklich zu sein, bin ich wütend. Ich lasse meine Tasche in die Ecke fallen, ziehe mein T-shirt aus und atme tief durch, aber die Anspannung bleibt.

Wie kann sie sich trauen, nach Deutschland zu kommen, nach allem, was sie getan hat? Allein der Gedanke an sie macht mich so wütend.
Macht sie das absichtlich? Denkt sie wirklich, es wäre einfach für mich, sie nach einem Jahr wiederzusehen, nachdem sie mir all das angetan hat, und mir dann auch noch die Schuld zu geben

Ich gehe ins Bad, drehe das Wasser auf und lasse es laufen, bis Dampf den Raum füllt. Ich brauche das jetzt. Einfach abschalten. Einfach vergessen. Doch es geht nicht. Ihr Gesicht drängt sich in meinen Kopf. Diese großen Augen, mit denen sie immer versucht, unschuldig zu wirken.

Nach der dusche schaue ich in den Spiegel im Badezimmer während ich mich schnell anziehe. Ich brauche frische Luft, irgendetwas, um mich wieder klar zu bekommen.

Als ich die Tür öffne, um nach draußen zu gehen, sehe ich sie.Sie tritt genau in dem Moment aus ihrem Zimmer.
Für einen Moment stehen wir uns gegenüber, ohne ein Wort zu sagen. Ich spüre, wie meine Faust sich von selbst ballt.

„Du? Hier?" spucke ich aus.

Sie sieht mich an, doch ihre Augen weichen meinem Blick. Sie ist nicht überrascht, nicht ängstlich, sondern einfach nur kalt. Diese verdammte Kälte in ihren Augen ist alles, was sie mir jetzt noch entgegenbringt.

„Warum bist du hier?" frage ich noch wütender als zuvor
,,Was interessiert es dich??"
„Wusstest du, dass ich in diesem Hotel bin oder was suchst du hier?!" sage ich
„Mach dich nicht so besonders, Kenan. Ich wusste nicht, dass du auch hier bist, weil ich es nicht gebucht habe, sondern meine Freundin" antwortet sie völlig genervt.

„Bist du nicht diejenige, die vor ein paar Stunden noch in meinen Armen geweint hat?" frage ich mit einem bitteren Lächeln. „Und jetzt? Jetzt tust du so, als hättest du es gar nicht getan. Anscheinend hast du es akzeptiert, denn du hast alles kaputt gemacht."

„Du hast alles kaputt gemacht, Kenan" sagt sie kalt. „Du hast mich einfach ersetzt. Glaub mir, du bist der Letzte, der hier von ‚kaputt gemacht' reden kann."

Die Wut steigt in mir auf, aber ich lasse sie nicht raus. Sie will mich verletzen, aber ich bin schon längst darüber hinweg. Sie hat sich selbst zerstört, nicht ich.

,,Genau sowie du mich ersetzt hast werde ich dich auch ersetzen" sagt sie was mich zum grinsen.

„Ich habe dich nicht ersetzt, Amira. Du warst diejenige, die mich ersetzt hat" sage ich laut, meine Stimme hallt durch den Korridor. Mein ganzer Körper brennt vor Wut, während ich sie ansehe.

„Wo hab ich dich ersetzt? Mit wem hab ich dich ersetzt?! Hörst du dir überhaupt zu? Du ergibst keinen Sinn!" schreit sie zurück.
Sie steht da, so stolz, so stur, und es macht mich krank.

Ich will etwas erwidern, ich will sie zum Schweigen bringen, aber dann fällt mein Blick auf ihre Kette. Die Kette, die ich ihr damals zum Geburtstag geschenkt habe. Der goldene Sternanhänger glitzert im Licht, so klein und bedeutungslos und doch schmerzt sein Anblick mehr, als ich zugeben will. Sie trägt ihn noch. Sie hat ihn nicht weggeworfen.

Gerade als ich den Mund öffne, um etwas zu sagen, unterbricht sie mich. „Das wird mir hier zu kindisch." sagt sie und dreht sich um um zu gehen. Doch bevor sie auch nur einen Schritt machen kann, packe ich sie grob am Arm und ziehe sie zurück. Mit einem harten Ruck prallt sie gegen meine Brust.

„Du kannst mich nicht ersetzen" sage ich kalt, mein Gesicht nur Zentimeter von ihrem entfernt. ,,Und warum nicht?" zischt sie verwirrt.
Ich sehe, wie ihr Gesicht kurz entgleist. Sie versucht, stark zu wirken, aber ich weiß, dass sie es nicht ist. Sie kann mich nicht belügen.

„Ich habe mit uns abgeschlossen" sagt sie schließlich mit entschlossener Stimme. Doch ich sehe die Unsicherheit in ihren Augen, wie sie versucht, sie zu verstecken

„Warum trägst du dann die Kette noch?" Meine Stimme ist leise, fast ein Flüstern, aber jedes Wort trifft sie. Mein Blick wandert wieder zu ihrem Hals, wo der goldene Stern wie ein schmerzhaftes Symbol hängt.

Für einen Moment sagt sie nichts, dann sieht sie selbst zu der Kette. Ihre Hand berührt den Anhänger. Plötzlich verändert sich ihr Gesichtsausdruck.

Ohne ein Wort greift sie nach der Kette, ihre Finger umklammern das Gold. Mit einem Ruck reißt sie sie ab. Das leise Knacken des Metallbands schneidet durch die Stille, als hätte sie gerade das letzte Band zwischen uns zerrissen. Sie hält die Kette einen Moment in der Hand, bevor sie sie mir in die offene Handfläche drückt.

„Jetzt habe ich mit uns komplett abgeschlossen, Kenan"
Ich sehe sie an, meine Hand umklammert die Kette, ich will was sagen. Doch ich kann nicht.
,,Du kannst es Alina schenken"
Sie dreht sich um und geht.

Amira

Nicht weinen, Amira. Nicht jetzt. Ich kämpfe gegen die Tränen an. Es fühlt sich an, als hätte ich ihm gerade mein Herz zurückgegeben, das Einzige, was ich noch von ihm hatte. Und jetzt habe ich nichts mehr. Ich bereue es so sehr. Aber ich will nicht, dass er denkt, ich würde noch an ihm hängen, auch wenn es genau das ist.

Im Aufzug sehe ich mein verschwommenes Spiegelbild und wische mir die Tränen weg. Als ich aus dem Hotel trete, steht Can bereits da und wartet. Sein Blick trifft mich, seine Augen mustern mich kurz, und dann fragt er leise „Hast du geweint?"
Ich schüttele den Kopf. „Nein", sage ich, vielleicht ein bisschen zu schnell. Er sieht mich skeptisch an, sagt aber nichts. Wir steigen ins Taxi, und die unangenehme Stille füllt den Raum zwischen uns.

Die Fahrt dauert eine Stunde, es fühlt sich an wie eine Ewigkeit. Keine Musik, keine Worte, nur das brummen des Motors und meine Gedanken, die sich wie ein Sturm in meinem Kopf drehen. Endlich kommen wir in Regensburg an, genau an dem Platz, an dem wir damals ausgestiegen sind, als wir hierhergezogen sind. Mein Blick fällt auf die Bank, wo Kenan, Asli und Talha damals saßen. Erinnerungen überfluten mich, und mein Herz zieht sich schmerzhaft zusammen. Doch ich lasse mir nichts anmerken.

Can und ich gehen zur Tür. Als wir klingeln, öffnet meine Mutter mit einem breiten Lächeln. Sie zieht uns sofort in eine enge Umarmung, ihre Wärme und ihr vertrauter Duft bringen für einen Moment etwas Ruhe in meinen Kopf. Wie sehr ich sie vermisst habe.

Nach dem Essen, das ich kaum schmecke, beschließe ich, das erste Mal seit Langem in mein altes Zimmer zu gehen. Es fühlt sich seltsam an, diese Tür wieder zu öffnen, als würde ich einen Raum betreten, der in der Zeit eingefroren ist. Und genau das ist es. Alles ist noch genauso, wie ich es vor meinem Umzug nach Miami hinterlassen habe.

Mein Blick fällt auf die Wand, an der ein Bilderrahmen hängt. Ein Bild von Kenan und mir. Wir sahen so glücklich aus. Die Tränen, die ich den ganzen Tag über zurückgehalten habe, steigen sofort in meine Augen. Wie konnte er mich betrügen? Wie konnte er mich so hintergehen, nachdem wir uns gegenseitig alles versprochen hatten? Ich verstehe es nicht. Es ergibt einfach keinen Sinn.

Keine Sekunde länger halte ich es in diesem Raum aus. Ich drehe mich um, verlasse ihn und schließe die Tür hinter mir.

Auf der Rückfahrt rede ich mehr mit Can. Er scheint so viel erwachsener geworden zu sein, fast wie ein Fremder. ,,Wie ist Miami?" fragt er schließlich, und ich erzähle ihm von der Hitze, von meinem Studium, von meinen Freundinnen.

Doch plötzlich unterbricht er mich.
„Hast du nicht was vergessen zu erzählen?" Seine Stimme ist ruhig, aber es liegt etwas in seinem Ton, das mich verwirrt.

„Ehh, nein?" Ich sehe ihn fragend an, doch er nickt nur und wird wieder still. Seine Reaktion bleibt mir im Kopf hängen, aber ich traue mich nicht nachzufragen.

Als wir zurück im Hotel sind, gehe ich direkt in mein Zimmer. Heute war einfach zu viel. Zu viele Erinnerungen, zu viele Gefühle, die ich nicht loslassen kann. Ich will nur noch schlafen, um für einen Moment alles zu vergessen.

________________________________

Our Destiny|| Kenan yildizWo Geschichten leben. Entdecke jetzt