Hallo, mein Name ist Peter und ich bin fast sechsundfünfzig Jahre alt. Seit einigen Jahren bin ich arbeitslos, aber davor war ich sehr lange als Postbote tätig. Ganze neunundzwanzig Jahre lang, um genau zu sein. Wie lange ich jetzt keiner Tätigkeit nachgehe, weiß ich leider nicht mehr, aber es werden so um die fünf Jahre sein. Irgendwie habe ich ein wenig den Bezug zur Realität verloren. Es ist ein seltsames Gefühl nicht zu wissen, welches Datum, welcher Wochentag und wie spät es ist. Aber das kommt davon, dass ich hier in meinem Zimmer keine Fenster habe.
Als Postbote war ich es gewohnt gewesen, viel Bewegung zu machen, ständig auf Trab zu sein. Mittlerweile hätte ich schon ein wenig Fett angesetzt, würde meine Frau nicht so sehr auf mich schauen. Stattdessen habe ich sieben Kilo abgenommen. Manchmal habe ich Hunger, aber das habe ich gelernt zu ignorieren. Meine Frau weiß, was sie tut. Ich kann mich noch erinnern, dass wir früher des Öfteren essen gegangen sind, aber das hat aufgehört, seitdem ich hier Zuhause bei meiner Frau bin.
Oh, fast hätte ich vergessen, von meiner Frau zu erzählen! Sie heißt Sybille und ist drei Jahre jünger als ich. Ihre Figur würde ich, hinter ihrem Rücken, als leicht mollig beschreiben, aber das darf sie natürlich nicht erfahren, sonst bestraft sie mich wieder und in letzter Zeit war sie so nett zu mir. Sie hat mich viel seltener bestraft. Seit dem sie etwas älter ist, lässt sie sich ihr lockiges Haar kurz schneiden und ihre Stimme rasselt durch das jahrelange Inhalieren von Zigaretten. In ihrem Gesicht beginnen sich die ersten Falten ihren Weg zu bahnen, mal von den Zornesfalten, die sie immer zurecht macht, wenn ich etwas zu ihrer Unzufriedenheit anstelle, abgesehen.
Was sie derzeit beruflich macht, weiß ich leider nicht. Jeden Tag höre ich, wie sie das Haus verlässt und Stunden danach wieder zurückkommt. Wahrscheinlich geht sie noch immer ihrer Tätigkeit als Bibliothekarin nach, sicher bin ich mir jedoch nicht. Oft hat sie Besuch, manchmal höre ich sogar eine Männerstimme und wie sie lacht, aber sie wird mich doch nicht betrügen? Sie liebt mich doch so sehr, dass sie mich nicht rauslässt. Das ist doch der größte Liebesbeweis den es gibt! Würde sie ihn mehr lieben, würde er hier eingesperrt sein und nicht ich. Ganz sicher ist das nur ein Freund von ihr.
Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, wie es dazu gekommen ist, dass ich hier gelandet bin. Eines Tages bin ich um eine Stunde verspätet von der Arbeit nach Hause gekommen und Sybille war wie immer wutentbrannt auf mich losgegangen. Ehe ich mich versehen hatte, war ich bereits in diesem Zimmer aufgewacht. Ich war zur Tür gegangen und hatte versucht sie aufzumachen. Die Tür war versperrt gewesen, also begann ich auf sie einzutreten, um das sperrige Holz zu zerbrechen, aber ich war kläglich daran gescheitert. Panisch war ich auf und ab gelaufen und hatte herum geschrien, denn zu diesem Zeitpunkt hatte ich noch Angst gehabt und nicht verstanden, dass Sybille das alles aus Liebe tut.
Zuerst hatte ich sogar gedacht, dass sie mich hier sterben lässt, aber dann habe ich erkannt, dass in diesem Raum alles ist, was ich brauche: eine Toilette, ein Waschbecken, eine Couch und eine Dartscheibe. Jeden Tag bringt mir Sybille etwas zu essen und wenn sie länger weg ist, gibt sie mir auch mehr. Ab und zu gehen mir die Dartspitzen aus, dann kauft sie mir neue. Außerdem macht sie sich sogar die Mühe, mir jede Woche gewaschene Wäsche zu geben. Zu Beginn habe ich selbstverständlich viele Dinge vermisst. Zum Beispiel meine Freunde, die frische Luft, das Sonnenlicht, oder meine Arbeit, aber Sybille hat mir klar gemacht, dass ich nichts anderes brauche. Ich habe hier alles was ich benötige! Wieso in Freiheit leben wollen, wenn man bei seiner Frau im Paradies ist?
Einzig und allein die Bestrafungen machen mir Angst, denn seitdem ich hier eingesperrt bin, sind sie härter geworden. Da mich meine Frau nicht ernsthaft verletzen will, hat sie extra für mich Pfefferspray und einen Elektroschocker gekauft, aber wenn ich etwas Schlimmes getan habe, verwendet sie trotzdem den Fleischklopfer. Das tut doppelt so weh und hinterlässt teilweise tiefe Narben, die von meinem Versagen zeugen. Obwohl ich mich noch immer davor fürchte, kann ich ihr die Strafen nicht übel nehmen, sie will mich doch nur zu einem besseren Menschen erziehen.
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Das abgrundtief Böse
HorrorDas Böse ist nicht immer nur böse, weil es böse sein will. Oftmals kommt es vor, dass es nicht einmal weiß, dass es böse ist... oder doch? Achtung, dieses Buch besteht nur aus Kurzgeschichten, welche nicht zusammenhängen!